Die Arbeiterklasse muss wieder eine revolutionäre politische Führung bekommen
Rede zum 1. Mai 1992
Der 1. Mai – Weltfeiertag der Arbeit, Kampftag der internationalen Arbeiterklasse und aller Entrechteten und Unterdrückten, hat in der Arbeiterbewegung eine doppelte Funktion: Auf Demonstrationen und in Kundgebungen fordern die arbeitenden Menschen weltweit von der Gesellschaft die Sicherung und die Ausgestaltung ihrer Lebensrechte, protestieren sie gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Entrechtung, gegen imperialistische Kriegspolitik und für den Frieden.
In Veranstaltungen wie dieser hier versuchen wir, uns selbst Rechenschaft abzulegen über die Ergebnisse der Arbeit im seit dem vorigen 1. Mai abgelaufenen Jahr, versuchen wir, das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit einzuschätzen und – davon ausgehend – die Kampfpositionen für die bevorstehenden Auseinandersetzungen zu bestimmen.
Das in dieser Beziehung herausragende Ereignis war im letzten Jahr der Untergang der Sowjetunion. Mehr als 70 Jahre lang wurde der erste sozialistische Staat – hervorgegangen aus dem Feuersturm der Oktoberrevolution, gegründet von Lenin, gefestigt und gegen den Faschismus verteidigt von Stalin – von fortschrittlichen Menschen in aller Welt als Hort des Friedens, Bastion gesellschaftlichen Fortschritts und feste Basis für den weltweiten Sieg des Sozialismus angesehen. Das war über Jahrzehnte hinweg selbst dann noch so, als mit der Aufgabe von Grundprinzipien des Marxismus-Leninismus auf dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 der Erosionsprozess eingeleitet wurde, der mit unerbittlicher Konsequenz jetzt zur Liquidierung des Sowjetstaates geführt hat.
Das Bekenntnis von Gorbatschow nach seinem Abgang als Generalsekretär der KPdSU und Präsident der Sowjetunion: „Ich habe mein Lebenswerk vollbracht", ist entlarvendes Zeugnis der Verkommenheit der letzten Führungsspitze der KPdSU. Kennzeichnend für den Grad des politisch-moralischen Verfalls unter den leitenden Kadern der einstigen „Avantgarde des Weltproletariats" ist, dass im Aufruf der Putschisten vom August 1991 an die Völker der Sowjetunion, dem letzten, kläglich misslungen Versuch, das Ruder noch einmal herumzuwerfen, das Wort „Sozialismus" nicht vorkommt!
Untergang der Sowjetunion – Niederlage der internationalen Arbeiterbewegung
Konkret bedeutet der Untergang der Sowjetunion, dass die internationale Arbeiterbewegung zurückgeworfen ist auf den Stand von 1917 vor der Oktoberrevolution. Zwar gibt es noch das sozialistische Cuba und noch die sich selbst offiziell „sozialistisch" verstehenden asiatischen Volksrepubliken China, Korea und Vietnam, doch zu welchem Ergebnis die dort sich vollziehenden inneren Entwicklungen am Ende führen, bleibt abzuwarten. Nach jüngster Erfahrung mit „Reformprozessen" in Ländern des „real existierenden Sozialismus" ist jedenfalls äußerste Zurückhaltung angebracht. Schlussfolgerung: Die revolutionären Kräfte in einer vom Imperialismus dominierten Welt stehen jeweils allein in ihrem Land den Ausbeutern und Unterdrückern gegenüber. Und sie sind weitgehend isoliert voneinander, denn auch nur in Ansätzen ist so etwas wie eine „Kommunistische Internationale" nicht erkennbar. Ähnlich ist die Situation der Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt, die jede für sich allein stehen.
Dieser deprimierende Zustand der fortschrittlichen Kräfte in der Welt steht in krassem Gegensatz zu den Lebensnotwendigkeiten der Menschheit, für die es in absehbarer Zeit nicht nur ums Weiterleben, sondern ums schiere Überleben geht!
„Sinnlos treibt die Welt zum Abgrund", schreibt die führende Wochenzeitschrift der Bundesrepublik, „Die Zeit", in der Ausgabe vom 13. März 1992 einen langen Artikel auf der ersten Seite, in dem die Unfähigkeit der Herrschenden analysiert wird, die weltweiten ökologischen Probleme in den Griff zu bekommen. Der „Kölner Stadtanzeiger" stellt am 4. April 1992 die Frage: „Wird die Erde unbewohnbar wie der Mond? Die Frage beinhaltet eine Schreckensvision, sie ist aber mehr denn je berechtigt. Der so genannte zivilisierte Mensch zerstört in immer größerem Maße und immer rasanterem Tempo seine eigenen Lebensgrundlagen. In einem Bericht der UNEP, der Umweltinstitution der Vereinten Nationen, wird festgestellt, dass seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges über ein Zehntel der Erdoberfläche – so viel wie China und Indien zusammen – zerstört worden sind und für die Nahrungsmittelproduktion ausfallen. In dem Report wird die Sorge dargelegt, dass mit einem Anwachsen der Weltbevölkerung von gegenwärtig 5,5 Milliarden Menschen auf bis zu zehn Milliarden bis zum Jahre 2050 der Mangel an landwirtschaftlich nutzbarer Fläche zu einer weltweiten Nahrungsmittelknappheit führen wird."
Zusätzlich zur ökologischen Umweltvernichtung wächst die Kluft zwischen Armut und Reichtum
Aber nicht nur die „Grundlagen" menschlichen Lebens wie Luft, Wasser und Boden sind gefährdet. Das Menschengeschlecht selbst ist bereits in der eigenen Zerstörung begriffen – von der Cholera in Latein- und Mittelamerika bis zu den Hunger- und Aids-Toten in Afrika, vom massenweisen Mord an so genannten Straßenkindern in Brasilien bis zur weltweiten Ausbreitung der Drogenpest, der in einem so hochzivilisierten Land wie der Bundesrepublik im letzten Jahr über 2000 Menschen zum Opfer fielen. Die Dimension des Drogenproblems machte erst kürzlich der bayerische Innenminister Stoiber mit seiner Aussage deutlich, der geschätzte Umfang des internationalen Drogenhandels mit achthundert Milliarden Dollar im Jahr übersteige bereits den Umfang des Ölgeschäfts! Im Hinblick auf den sich verschärfenden Verelendungsprozess immer größerer Teile der Menschheit kommt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" in ihrem Leitartikel am 17. 12. 1991 zu dem Schluss: „Die Zahl der Armen auf der Welt entfernt sich immer schneller und immer weiter von der Zahl der Wenigen, die alles Lebensnotwendige haben und noch viel mehr: Das kann auf die Dauer nicht gut gehen. Immer mehr Arme werden versuchen, sich bei den Reichen notfalls mit Gewalt zu holen, was diese ihnen ihrer Meinung nach vorenthalten. Es wird ungemütlicher auf der Erde. Die Zeichen sind überdeutlich."
Doch, mögen die Zeichen auch noch so deutlich sein und die Horrorvisionen noch so einprägsam über alle Bildschirme geistern, die Machthaber des Imperialismus erweisen sich aus der Profitlogik des kapitalistischen Systems heraus als unfähig, dem Prozess menschlicher Selbstzerstörung Einhalt zu gebieten. Der bekannte CDU-Politiker Heiner Geißler wies am Karfreitag dieses Jahres (gemeint ist 1992; d.Red) in seiner Gedenkrede für die Opfer des Nazi-Terrors im Dortmunder Rombergpark darauf hin, dass rund eine Milliarde Menschen mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen müssen und forderte zur Solidarität mit den Armen der Welt auf – aber die Bosse und Banker der Finanzmetropolen in den imperialistischen Zentren kassieren mittlerweile an Zinsen und Rückzahlungen von Krediten den dreifachen Betrag, der an sogenannter „Entwicklungshilfe" von den reichen Ländern an die Dritte Welt gegeben wird, wohl wissend, wie sehr durch solch brutale Ausbeutung das Massenelend dieser Regionen verschärft wird. Das Profitsystem, dem sie dienen, macht die Bosse und Banker unfähig, die „überdeutlichen Zeichen", von denen in der FAZ die Rede war, zu verstehen.
Ein weiteres Beispiel: Um dem „Ökozid" im Hinblick auf das Klima und die drohende Erwärmung der Erdatmosphäre zu entgehen, darf unter keinen Umständen der Co2-Ausstoß weiter steigen. Er muss sogar, trotz wachsender Weltbevölkerung, reduziert werden. Und doch verweigert sich z.B. die imperialistische Hauptmacht, die USA, jedem Schritt in dieser Richtung. „Die Zeit" schreibt dazu in dem eingangs erwähnten Beitrag: „Vor allem die Vereinigten Staaten blockieren im Vorfeld der Rio-Konferenz einen Kompromiss gegen den globalen Kollaps. Präsident Bush (Senior; d.Red.), der ansonsten gern von einer neuen Weltordnung redet, verweigert sich jeder neuen ökologischen Ordnung. Nicht einmal einer Begrenzung des Co2-Ausstoßes mag er zustimmen."
Warum? Weiß man in den USA nicht um die Gefahren der Übersättigung der Erdatmosphäre mit Kohlendioxyd? Natürlich weiß man das auch dort sehr genau, aber, so urteilen die „Aachener Nachrichten" am 26. März 1992 nach Bekanntwerden der US-amerikanischen Verweigerung: „Dem Wahlkämpfer Bush steht das Wasser bis zum Hals, und das ist (noch) keine Folge schmelzender Polarkappen, sondern Ausfluss einer gründlich verkorksten Wirtschaftspolitik. Aus blankem Opportunismus gegenüber der Industrie blockiert Bush eine Konvention, deren Ansatz ja ohnehin schon bescheiden genug ist."
Im Klartext heißt das: Im Interesse der Profitmacherei der großen Monopole werden systematisch Lebensgrundlagen des Menschen – Luft und Klima – zerstört. Zwingende Schlussfolgerung: wenn die Menschheit denn auch im nächsten Jahrtausend eine Zukunft haben will, muss der Imperialismus gestürzt, muss die Profitlogik als Organisationsprinzip der Wirtschaft durchbrochen werden!
Welche verheerenden Folgen die Einführung der Profitlogik für eine Volkswirtschaft und die in ihr und von ihr lebenden Menschen mit sich bringt, das können wir in geradezu klassischer Form am Beispiel DDR studieren. Bis zum konterrevolutionären Umsturz im Herbst 1989 nahm diese kleine DDR unbestritten den zehnten Platz in der Rangliste der Industrienationen der Welt ein.
Erich Honecker warnte vor der „Marktwirtschaft" und vor ihren Folgen
Dies wurde erreicht in jahrzehntelanger Arbeit unter in jeder Beziehung extrem schwierigen Bedingungen. In dem zum Teil kriegszerstörten, rohstoffarmen Land, das praktisch allein die Last der Reparationen als Folge des verbrecherischen Hitler-Krieges zu tragen hatte, vollzog sich bei zunächst offener Grenze gegenüber einem von Anfang an feindlichen Nachbarstaat ein grundlegender, wahrhaft revolutionärer Umbruch.
Er hatte zum Ziel – und hier wiederhole ich ein Zitat aus meiner Rede zum 1. Mai im vergangenen Jahr -, was der bürgerliche Philosoph und Soziologe Niklas Luhmann das „Jahrhundertexperiment einer ethischen Steuerung der Wirtschaft" nannte oder, wie es unser scharfer und kompromissloser ideologische Gegner, der erzreaktionäre Historiker Ernst Nolte, bezeichnete, „den großen und erst sehr allmählich in seinem Scheitern erkennbaren Versuch einer Verwirklichung des uralten Menschheitsgedankens des Sozialismus in Russland und den von Russland beherrschten und beeinflussten Gebieten der Welt". Dieser grandiose Versuch ist gescheitert. Es geht heute und hier nicht um die Ursachenforschung. Was man der ehemaligen Führung der DDR zu Recht oder zu Unrecht auch vorwerfen mag: Sie hat bis zuletzt, trotz der erkennbar größer werdenden ökonomischen Zwänge nicht versucht, Schwierigkeiten durch Abstriche am sozialen und kulturellen Standard der Werktätigen zu überwinden. Es gab zahlreiche unbequeme Mängel und Probleme im Alltag der DDR – aber dieser erste Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden war und blieb bis zuletzt ein Sozialparadies mit hohem kulturellem Niveau für alle Bevölkerungsschichten. In der Stunde der Bewährung reichte das Bewusstsein der Massen nicht aus, ihre ureigensten Interessen zu erkennen und zu verteidigen. Das Bewusstsein reichte nicht aus, obwohl den Menschen in der DDR damals klar und deutlich gesagt wurde, wohin das Abweichen von den Prinzipien des Sozialismus führt.
So schrieb Professor Hans Luft in der DDR-Zeitschrift „Staat und Recht" in Nr. 5/87, also zu einer Zeit, da bereits Gorbatschows angeblich „Neues Denken" die Gemüter der SED-Genossen verwirrte: „Von westlichen Ideologen wird den Menschen vorgegaukelt, dass sich hinter der Forderung nach
Erich Honecker führte in seiner Rede zum 70. Jahrestag der Gründung der KPD im Dezember 1988 aus: „Nein, eine Marktwirtschaft, womöglich mit Arbeitsmarkt, wird es bei uns nicht geben, weil sie zum Privateigentum an Produktionsmitteln und damit zum Kapitalismus, zu seinem Wolfsgesetz zurückführt."
Nun haben die Menschen seit der Annexion durch die einstige Bundesrepublik vor eineinhalb Jahren „Marktwirtschaft" – sprich Kapitalismus – und es ist alles genau das gekommen, wovor Professor Luft und Erich Honecker gewarnt hatten. Die Realität heute ist sogar viel schlimmer als irgend jemand sich das hat vorstellen können, wobei es mir leid tut, Erich Honecker und diesen Herrn Luft in einem Atemzug nennen zu müssen. Denn während Erich Honecker zu der Sache steht, die er sein Leben lang vertreten hat, hat sich der Herr Luft als ein Wendelump sondergleichen erwiesen, als einer jener intellektuellen Parasiten an der „Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED", die heute die so genannte „soziale Marktwirtschaft" propagiert. Damit hat aber nichts zu tun, dass er 1987 in seinem Aufsatz „Staat und Recht" korrekte Ansichten vertreten hat. Die bitteren Tatsachen unserer Tage sind Beleg dafür. Genau das ist eingetreten, was er für den Fall von „weniger Staat" und „mehr Markt" vorhergesagt hat. „Betriebsbankrotte"? Tausende Betriebe sind in kürzester Zeit in den Ruin getrieben worden, einschließlich solcher, die unter DDR-Bedingungen rentabel gewirtschaftet haben. Das Ausmaß der Katastrophe macht eine Meldung der FAZ vom 15. April 1992 deutlich, wonach die Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe in Ostdeutschland im Januar mit 1,1 Millionen Mitarbeitern 47 Prozent geringer gewesen ist als 1991. Damit ist der Industriestandort „DDR" auf dem Weg in die Liquidation. „Arbeitslosigkeit?" Vierzig Jahre lang sorgte „sozialistische Misswirtschaft" dafür, dass es dieses Erzübel des Kapitalismus in der DDR nicht gab. Heute sind sogar der offiziellen Statistik nach 1,3 Millionen Menschen arbeitslos. Einschließlich der in Kurzarbeit und so genannter „Umschulung" Befindlichen sowie der in den Vorruhestand Gekündigten liegt die Zahl der Beschäftigungslosen tatsächlich bei drei Millionen! Und sie wäre noch um ein paar Hunderttausend höher, würden nicht so viele „Pendler" aus der DDR unter meist diskriminierenden Bedingungen in Westdeutschland und West-Berlin arbeiten.
„Die allerdümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber"
Arbeitslosigkeit ist entwürdigend. Arbeitslosigkeit beraubt die Werktätigen des ersten Menschenrechtes, des Lebens Notdurft aus eigener Kraft zu erarbeiten – und das zu tun, ist die Voraussetzung aller anderen gesellschaftlichen Rechte! Millionenfache Arbeitslosigkeit – das war schon immer der Knüppel in der Faust des Kapitals, mit dem versucht wurde, die arbeitenden Menschen den Mechanismen der Ausbeutung gefügig zu machen. Mauer, Stacheldraht und Staatssicherheit dienten auch dazu, die Menschen der DDR vor dem bitteren Schicksal der Arbeitslosigkeit zu bewahren!
Stichwort „Strukturkrisen". Nehmen wir das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern an Hand von in der FAZ vom 9. April 1992 gemachten Angaben. Danach beträgt die Arbeitslosenquote 17,7 Prozent. Werden aber die Arbeitslosen mit den durch die so genannten „arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen" Scheinbeschäftigten, Vorruheständler usw. zusammengerechnet, ergibt sich eine, wie es schönfärberisch heißt, „Unterbeschäftigungsquote" von sage und schreibe 42 Prozent! Das heißt, nahezu die Hälfte der erwerbsfähigen Bevölkerung in Mecklenburg-Vorpommern lebt von öffentlichen Hilfen, ist des Selbstwertgefühls, das auf Einkommen aus eigener Arbeit beruht, beraubt. Allein in der Landwirtschaft, dem wichtigsten Wirtschaftszweig dieses Landes, haben 50.000 Menschen ihren Arbeitsplatz verloren. Drastisch treten die sozialen Folgen dieser Entwicklung in Erscheinung.
Die Kriminalität steigt steil an und es ist kein Zufall, sondern von Marxisten-Leninisten schon immer erkannte und behauptete Gesetzmäßigkeit, wenn jetzt im ärmsten Land Mecklenburg-Vorpommern – bezogen auf die Einwohnerdichte – die höchste Zahl von Straftaten von allen Ländern im Annexionsgebiet gemeldet wird (FAZ, 15.4.92). All das zusammengenommen ist das keine „Strukturkrise" mehr – es ist eine strukturelle Katastrophe!
In dieser Situation setzen die „Volksvertreter" im Schweriner Landtag noch eins drauf und beschließen am 14. April die Entlassung von 4.000 Lehrern! Einen solchen Beschluss, der einem Verbrechen an der Jugend gleichkommt, fasst eine Mehrheit von Parlamentariern, die in „freien Wahlen" das „Vertrauen" ihrer Wähler erhalten hat. Wenn jemals, dann trifft hier das alte, böse Wort zu: „Die allerdümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber". Mecklenburg-Vorpommern, das ist ein Musterbeispiel für den Kahlschlag-Kapitalismus der Kohl, Möllemann und der „Treuhand" im Interesse der Konzern- und Bankherren und der Junker aus der imperialistischen Bundesrepublik! Und zu dem von ihnen verursachten Elend der Menschen in der DDR fügen sie noch den Hohn, indem sie diesen Zusammenbruch der ökonomischen und sozialen Grundlagen im Annexionsgebiet in ihren Zeitungen einen „Akt der schöpferischen Zerstörung" nennen, nach einem Wort des Ökonomen Schumpeter, das von diesem in ganz anderem Zusammenhang gebraucht wurde.
Noch einmal Erich Honecker: „Nein, eine Marktwirtschaft, womöglich mit Arbeitsmarkt, wird es bei uns nicht geben, weil sie zu Privateigentum an Produktionsmitteln und damit zum Kapitalismus, zu seinem Wolfsgesetz zurückführt." Jetzt haben die Menschen der DDR Arbeitsmarkt, Privateigentum an Produktionsmitteln und damit Kapitalismus und es regiert dessen „Wolfsgesetz" – wobei diese Wendung eigentlich eine Beleidigung der Wölfe darstellt, denn niemals verhalten sich Wölfe untereinander so, wie die Menschen in der Ausbeutergesellschaft miteinander umgehen!
Wie sie miteinander umgehen, den „Gesetzen des Marktes" folgend, dafür einige Selbstzeugnisse aus der bürgerlichen Presse. So berichtet die „Süddeutsche Zeitung", München, am 9. Januar 1990 mit der Überschrift „Vor Agrar-Kannibalismus gewarnt" über eine Sondersitzung des Arbeitskreises Landwirtschaft der CSU-Fraktion. Thema war der so genannte „Strukturwandel" in der Landwirtschaft, das heißt, die Verdrängung kleinerer Betriebe, der seit 1949 in der BRD mehr als eine Million bäuerlicher Existenzen zum Opfer gefallen sind. Wie es in der „SZ" heißt, warnte der Abgeordnete Martin Haushofer „vor einer Art Agrar-Kannibalismus, bei der ein Bauer den anderen auffrisst". Genau das ist seit Jahrzehnten die sozial-ökonomische Realität in der BRD – und jetzt importieren die alten Junker und die neuen Agrarkapitalisten den „Agrar-Kannibalismus" in die DDR! Wohin das am Ende führt, beschreibt der „Spiegel" in seiner Ausgabe15/92 unter der Überschrift „Ostbauern am Ende". 340.000 Beschäftigte in landwirtschaftlichen Betrieben sind danach heute noch von einst 840.000 übriggeblieben – und mittelfristig werden, so der „Spiegel", ganze 40.000 – noch einmal, man glaubt es nicht: 40.000 - übrig bleiben!
Weiteres Beispiel: Am 10. März 1990 brachte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" eine Reportage über einen mittelständischen Fleischereibetrieb aus damals noch Karl-Marx-Stadt unter der Überschrift: „Die westdeutschen Konkurrenten werden wir die Rottweilerhunde sein." Diese Überschrift deshalb, weil der Meister im Hinblick auf die bevorstehende Konkurrenz aus dem Westen geäußert hatte, die Fleischereibetriebe und –fabriken könne man nicht mit Lämmern vergleichen. Wörtlich sagte er: „Das sind Rottweiler", und charakterisierte damit treffend die im Kapitalismus üblichen Geschäftspraktiken, vor denen der Mittelstand der DDR dank der auf das Wohl der ganzen Gesellschaft ausgerichteten sozialistischen Wirtschaftspolitik der SED vier Jahrzehnte bewahrt geblieben war!
Drittes Beispiel: Am 31. Januar 1992 äußerte sich in der in Berlin erscheinenden „Neuen Zeit" der Landrat des Kreises Finow zur Zukunft des Walzwerkes Niederfinow, das in seiner Existenz ebenfalls gefährdet ist. Er erklärte, die westdeutschen Unternehmer verhielten sich „wie die Haie". Sie warteten ab, bis ein Betrieb in den Bankrott gewirtschaftet ist und „schneiden dann die Filetstücke heraus".
Am Sonntag humanistische Phrasen – wochentags das „Wolfsgesetz"
So sieht das eben in Wirklichkeit aus – unterm Glockengeläut ihrer schwülstigen Phraseologie ist an Sonn- und Feiertagen von Humanismus, Menschenrechten und der „Wirtschaftsethik im christlichen Abendland" die Rede! Und in der Woche, wenn es im kapitalistischen Alltag um Profite geht, dann praktizieren die gleichen Leute den „Agrar-Kannibalismus", führen sich als Konkurrenten auf wie „die Rottweiler" und „die Haie" – Ausdruck dafür, dass jetzt eben das „Wolfsgesetz des Kapitalismus" herrscht, vor dem Erich Honecker warnte!
In den angeführten Beispielen wird die nackte, menschenfeindliche Brutalität der Profitgesellschaft, die jetzt über die DDR hereingebrochen ist, beim Namen genannt. Der von vielen ihrer Bürger tatsächlich so erlebte „Rausch der Einheit" ist verflogen – und das sogar im ganz trivialen Sinne des Wortes. Denn in den so genannten „neuen Bundesländern" wurde 1991 nur noch halb so viel Bier getrunken wie 1990! (FAZ, 30.1.92). Selbst die Banane, Symbolfrucht des Kniefalls vor bundesdeutschem Konsumglanz, wird im Zeichen der EG erheblich teurer werden. Die Arbeitslosen haben jetzt zwar genügend Zeit, aber eben kein Geld, um auf Mallorca Urlaub zu machen – und sogar die 100 DM schmutziges „Begrüßungsgeld" sind längst aufgebraucht! Was nun?
Angriff der Kapitalistenklasse auf die Werktätigen in Ost und West
Die Arbeiterklasse in ganz Deutschland steht mit dem Rücken zur Wand, vor sich den Abgrund einer drohenden großen ökonomischen Krise des Kapitalismus. Durch den Zusammenbruch der DDR und des ganzen sozialistischen Lagers haben sich die Kampfbedingungen entschieden verschlechtert. Massenarbeitslosigkeit als Folge der Annexion der DDR ist ein Trumpf in der Hand der Monopolherren. Diese Trumpfkarte wird ganz gezielt ausgespielt. Im Hinblick auf die laufenden Tarifkämpfe ist es kein Zufall, wenn jüngsten Meldungen zufolge die BRD vor „der größten Rationalisierungswelle ihrer Geschichte steht", durch die zwei bis drei Millionen Arbeitsplätze gefährdet werden. Die Automobilindustrie macht bereits ganz konkret den Anfang. Am 28. 4. 1992 berichtet die „Recklinghäuser Zeitung", Mercedes plane für die nächsten zwei Jahre den Abbau von 20.000 Stellen. In der neuesten Ausgabe des „Manager-Magazin" heißt es, der neue VW-Chef Piéch wolle 25.000 Jobs streichen. Der durch eine solche Entwicklung auf die arbeitenden Menschen ausgeübte Druck wird benutzt zu dem Versuch, die gigantischen Kosten der Annexion der DDR allein auf die werktätigen Massen abzuwälzen. Die ÖTV-Vorsitzende Wulf-Mathies hat vorgerechnet, dass die Annahme des Schlichterspruches von 5,4 Prozent Lohn- und Gehaltserhöhung immer noch angesichts von Steuer- und Abgabenerhöhungen und einer Preissteigerungsrate von fast 5 Prozent einen Reallohnverlust bedeutet. Undenkbar - eine solche Kapitulation der Gewerkschaften zu Zeiten, als sich die BRD noch in der Systemkonkurrenz mit der DDR befand. Undenkbar - zu Zeiten des Bestehens der DDR, dass sich Bundeskanzler Kohl für eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit auszusprechen gewagt hätte! Und ebenso undenkbar, dass Vertreter der Unternehmerverbände wie Weiss oder Murmann einer Verlängerung der Wochenarbeitszeit über vierzig Stunden hinaus das Wort geredet hätten oder der Notwendigkeit der Reallohnsenkung – denn nichts anderes bedeutet es, wenn Lohnerhöhungen lediglich an der Produktivitätssteigerung orientiert werden sollen ohne Berücksichtigung der Inflationsrate. Und noch undenkbarer bei Weiterexistenz des Sozialstaates DDR die jüngste Provokation von Regierung und Kapital – die Forderung nach Einführung von Karenztagen bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall!
Ermutigt durch den Sieg über die als Staat „Deutsche Demokratische Republik" organisierten Arbeiter und Bauern, gehen die Monopolherren und die in ihrem Auftrag handelnde Kohl-Regierung jetzt zum Großangriff auf den Lebensstandard der Werktätigen und ihre schwer erkämpften sozialen Rechte über. Von einer „Null-Runde" bei Lohn- und Gehaltserhöhungen reichen die unverschämten Vorschläge bis zu einer Beteiligung mit einem Prozent vom Bruttoverdienst an den Krankheitskosten und der Wiedereinführung von Karenztagen. Die uralte Klamotte vom „Investiv-Lohn" wird wieder ausgegraben, um den ohnehin Ausgebeuteten auch noch das Geld für „Investitionen in den neuen Bundesländern" aus der Tasche zu holen.
Die ganze Unverschämtheit solcher Ideen wird deutlich, wenn man weiß, dass laut Bundesbankbericht die westdeutschen Unternehmen nach fast zehn Jahren wirtschaftlichen Wachstums mehr als etwa 670 Milliarden DM liquide Mittel, d.h. frei verfügbare Kapitalien angesammelt haben. Beispiel dafür etwa der Siemens-Elektro-Konzern, der laut „Süddeutsche Zeitung" vom 17. 1. 1992 bei einem Umsatz von rund 74 Milliarden DM so genannte „liquide Mittel" von über 18 Milliarden DM in seiner Bilanz ausweist! Allein die Finanzanlagen des Konzerns erbrachten daraus einen Ertrag von zwei Milliarden DM = 60 Prozent des Gesamtgewinns und damit mehr, als im Elektrogeschäft verdient wurde!
Konzerne akkumulieren Kapital – Arbeiter sollen Investitionen durch Lohnverzicht bezahlen
Natürlich ist es nicht Siemens allein, wo das Geld auf solche für ein produzierendes Unternehmen parasitäre Weise verdient wird. Beim Stromlieferanten Bayernwerk AG München sind die liquiden Mittel im Verlauf eines Jahres sogar um eine Milliarde von 2,6 auf 3,6 Milliarden DM gestiegen – und das bei einem Umsatz von gut sechs Milliarden DM (FAZ, 23.4.1992). Geradezu „aus den Ohren" läuft das Geld bei den „großen Drei" der Bankenbranche – Deutsche Bank, Dresdner Bank, Commerzbank -, die für das vergangene Jahr Rekord-Abschlüssen meldeten. Während Wirtschaft und Privatverbraucher über hohe Zinsen stöhnen, steigerte die Commerzbank z.B. ihren Gewinn um dreißig Prozent, erhöhte die Deutsche Bank ihren Profit auf mehr als sechs Milliarden DM. Angesichts dieser Superprofite nehmen sich die Investitionen westdeutscher Unternehmen im Annexionsgebiet im letzten Jahr geradezu lächerlich gering aus. Sie werden auf nicht mehr als 13 Milliarden DM geschätzt (Presseclub, WDR 5, 26.4.1992). „Rekordinvestitionen von deutschen Unternehmen im Ausland" meldet dagegen die FAZ am 13.4.1991. Das Kapital geht wie immer dahin, wo es sich „lohnt" – die großzügig angekündigten Investitionen in der DDR sollen aus unserem Lohnverzicht finanziert werden.
Schon längst im Gange ist ja die Ausplünderung der Taschen der Werktätigen durch die gigantisch steigende öffentliche Verschuldung. Laut Bericht der Bundesbank halten sich mittlerweile Bund, Länder und Gemeinden mit von ihnen geliehenem Geld in Höhe von 1,3 Billionen Mark – das sind eintausenddreihundert Milliarden DM! – finanziell über Wasser. Das ist ein Betrag, der nahezu der Hälfte des Sozialprodukts, ausgedrückt in Geld, entspricht. Für diesen erdrückenden Schuldenberg müssen jährlich einhundert Milliarden DM an Zinsen aufgebracht werden – letzten Endes auf unsere Kosten! Deshalb predigen uns die Vertreter von Regierung und Kapital „Maßhalten" bei Tarifabschlüssen, und „Konsumverzicht" muten sie den Rentnern - mit einer lächerlichen Erhöhung ihrer Bezüge von 2,7 Prozent bei einer Inflationsrate von fast 5 Prozent eine definitive Einkommensminderung – zu.
Doch, wie schon Heinrich Heine das nannte, die Damen und Herren predigen öffentlich Wasser und heimlich saufen sie Wein! Denn, wie das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt" kürzlich berichtete, haben sich die Unternehmensvorstände der großen Konzerne im letzten Jahr Gehaltserhöhungen von rund zehn Prozent von ihren Aufsichtsräten genehmigen lassen! Während Finanzminister Waigel ständig von „strengster Sparsamkeit" bei den Staatsausgaben spricht, wird so ganz nebenbei laut Meldung vom 16. April („Bild") für Bundeskanzler Kohl ein neuer Dienstwagen in Betrieb genommen. Kostenpunkt 420.000,- DM, fast eine halbe Million!
Und wenn im Bundeskabinett jetzt das Büßerhemd übergestreift wird mit einem fünfprozentigen Gehaltsverzicht, dann ist das billige Augenwischerei, denn jedermann weiß, dass bei einem Ministereinkommen fünf Prozent weniger nicht weh tut. Ein Alarmsignal aber ist es für uns, wenn diese Leute „freiwillig" auf das liebste, was sie haben, verzichten wollen, auf Geld. Denn das bedeutet unter Garantie am Ende für den „kleinen Mann" noch viel mehr Verzicht – wenn wir es uns gefallen lassen.
Wie knapp es jetzt schon bei der Masse der Lohn- und Gehaltsempfänger zugeht, dafür ist ausnahmsweise mal die BILD-Zeitung unverdächtiger Zeuge. Am 16. April 1992 ist auf der Frontseite zu lesen: „Immer mehr Frauen bestürmen ihre Männer", und darunter in bekannten Großbuchstaben als Blickfang: „Vati, bitte mehr Haushaltsgeld." Im Text ist dann von „Horrorpreisen", zunehmender Familienzerrüttung wegen des täglichen Streits um das Geld und daraus folgend „steigenden Scheidungsraten" die Rede.
Das ist der Hintergrund, vor dem Heiner Geißler, Präsidiumsmitglied der CDU, auch mit Blick auf die Wahlergebnisse in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein, am 12. April in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" schrieb, in der Stimmung der Bevölkerung bilde sich ein „explosives Gemisch". Massenarbeitslosigkeit, sinkender Lebensstandard, rückläufiges Wirtschaftswachstum, katastrophale Wohnungsnot – aus all dem resultierende weitverbreitete Unzufriedenheit in der Bevölkerung, die in schweren Stimmverlusten der großen Parteien, Rechtsradikalisierung und hoher Wahlenthaltung ihren Ausdruck findet – das sind in der Tat die Voraussetzungen für das Entstehen eines „explosiven Gemischs" in der Stimmung der Bevölkerung. Wir nähern uns einer Situation, in der das eintritt, was Marxisten-Leninisten immer vorhergesehen haben:
Popper: „Wir dürfen nicht davor zurückschrecken, für den Frieden Krieg zu führen."
Auf Dauer erweist sich der Imperialismus als unfähig, die Existenzprobleme der Gesellschaft zu lösen. „Sinnlos treibt die Welt dem Abgrund zu" – ich zitiere noch einmal die verzweifelte Überschrift aus „Die Zeit", die sich auf die globale Umweltproblematik bezog. Und auch wir treiben mit der innenpolitischen Entwicklung auf einen Abgrund zu, weil sich der Staat Bundesrepublik wegen seines imperialistischen Charakters mehr und mehr als unfähig erweist, die sich häufenden Probleme im Interesse der Menschen zu lösen. Die großen, daraus entstehenden Gefahren sind ein Anwachsen rechtsradikaler, neofaschistischer Kräfte und der Versuch der Machthaber in Bonn, der gesellschaftlichen Probleme Herr zu werden durch eine aggressive Politik nach außen. Und das heißt: Verschärfung des Kriegsgefahr!
Die Ideologen des Imperialismus wie z.B. Karl R. Popper, Hausphilosoph des einstigen sozialdemokratischen Bundeskanzlers Helmut Schmidt, sind schon eifrig dabei, auf eine neue Kriegspolitik einzustimmen. So wagte Popper in einem Interview im „Spiegel" zu äußern: „Wir dürfen nicht davor zurückschrecken, für den Frieden Krieg zu führen. Das ist unter den gegenwärtigen Umständen unvermeidbar. Es ist traurig, aber wir müssen es tun, wenn wir unsere Welt retten wollen." („Spiegel", 13/1992) Der sächsische CDU-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf vertritt angesichts der hohen Kosten der „deutschen Einheit", wie er die Annexion der DDR nennt, die nur noch verbrecherisch zu nennende Ansicht, der Frieden erweise sich als kostspieliger als der Krieg. (FAZ, 28.4.1992)
Jeder irrt, der solche Art ideologischer Kriegsvorbereitung als nicht ernst zu nehmendes Geschwätz von ewiggestrigen Philosophen und Politikern abtut – Generalstabsoffiziere der Führungsakademie der Bundeswehr im Hamburg haben im Auftrag von Bundeswehr-Generalinspekteur Klaus Naumann in Zusammenarbeit mit dem Bundesverteidigungs-ministerium eine Studie ausgearbeitet für die Vorbereitung eines weltweiten Einsatzes der Bundeswehr. Ein neuer Generalstab soll gebildet werden und es müssten „etwa 100.000 Soldaten" für Einsätze wie im Golfkrieg Gewehr bei Fuß stehen („Spiegel", 6.4.1992). Schon zweimal in diesem Jahrhundert hat der deutsche Imperialismus, unfähig, die durch das Profitsystem selbst geschaffenen inneren Probleme zu lösen, den Weg der Aggression nach außen gesucht und damit unsägliches Leid über viele Völker der Welt und das eigene Volk gebracht. Ein neuerlicher Sturz in solches Verderben kann nur durch den Widerstand der Volksmassen, deren stärkste antiimperialistische Macht die Arbeiterbewegung ist, verhindert werden.
In den augenblicklichen Tarifauseinandersetzungen und Streikkämpfen wird sich die Arbeiterbewegung erneut der Kampflosung bewusst: „Wenn Dein starker Arm es will, stehen alle Räder still". Aber dieser heute um ökonomische Forderungen im Rahmen der jetzigen Gesellschaftsordnung geführte Kampf wird letztlich doch erfolglos bleiben, wenn es nicht endlich gelingt, diesem Kampf eine revolutionäre politische Führung zu geben durch die Herausbildung einer starken, marxistisch-leninistischen, einer kommunistischen Partei.
Aktionseinheit der marxistisch-leninistischen Organisationen gegen Kapital und Staat ist das Gebot der Stunde
Die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen können sich unter Umständen sehr schnell dramatisch zuspitzen – denken wir an „Rheinhausen!" – und wir befinden uns in der widernatürlichen, beschämenden Situation, dass wir im Lande von Karl Marx und Friedrich Engels, August Bebel, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, von Ernst Thälmann und Wilhelm Pieck keine starke, ideologisch wie politisch-organisatorisch zur Führung der Arbeiterklasse und des antiimperialistischen Kampfes fähige Partei haben. Alle Anstrengung muss jetzt darauf gerichtet sein, diesen Zustand zu überwinden. Jede weitere Zuspitzung der Klassenkonflikte wird mehr und mehr zeigen, dass entgegen dem jetzigen Anschein von Interesselosigkeit und Apathie nach der Niederlage des real existierenden Sozialismus ein starkes revolutionäres Potential in der Arbeiterklasse, in den fortschrittlichen Teilen der Intelligenz und vor allem in der Jugend, um deren Zukunft es geht, vorhanden ist. Dieses Potential gilt es zu mobilisieren.
Die zwischen den bestehenden Gruppierungen DKP, MLPD, KPD/Roter Morgen, FAUP, Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD, Kommunistische Plattform der PDS, KPD der DDR existierenden mehr oder weniger großen ideologischen Meinungsverschiedenheiten machen zur Zeit jeden Gedanken an den eigentlich erforderlichen organisatorischen Zusammenschluss dieser Organisationen oder von Teilen von ihnen illusorisch. Dieser objektiv absolut notwendige Prozess des Zusammenwachsens kann nur zustande kommen in gemeinsamen Kampfaktionen gegen den gemeinsamen Feind.
Die Praxis des Klassenkampfes ist der wahre Prüfstand für die heute noch so unterschiedlichen Positionen. Kameradschaftlicher ideologischer Dialog, der scharfe Auseinandersetzungen einschließt, muss diesen Prozess begleiten. Erste Schritte auf diesem Weg sind sofort möglich. Uns alle eint z.B. das Gedenken an Philipp Müller, den jungen Friedenskämpfer und Kommunisten, der vor 40 Jahren, am 11. Mai 1952, als Teilnehmer der „Friedenskarawane gegen die Remilitarisierung" in Essen von der Adenauer-Polizei hinterrücks erschossen wurde. Aus Anlass dieses Jahrestages findet in Essen am 9. Mai (1992, d.Red.) eine Demonstration statt. DKP, MLPD und der „Arbeiterbund" werden dort vertreten sein. Diese Demonstration sollte auch von allen revolutionären und fortschrittlichen Kräften in Berlin unterstützt werden, allen voran natürlich die KPD/Roter Morgen. Dort könnte erstmals bundesweit gemeinsam gegen den gemeinsamen Feind demonstriert werden, und das sollte man auch versuchen, zum Ausdruck zu bringen.
In der Perspektive bietet es sich dann an, die alljährlich stattfindende Liebknecht-Luxemburg-Demonstration hier in Berlin zu einem Kristallisationspunkt aller revolutionären antifaschistischen antiimperialistischen Kräfte in Deutschland zu machen. Diese Demonstration ist die letzte uns verbliebene große Manifestation in der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gehören – über alle ideologischen Meinungsverschiedenheiten hinweg, die uns sonst trennen mögen – uns allen, die wir uns als Revolutionäre verstehen. Der Januar ist keine günstige Jahreszeit für ein solches bundesweites Massentreffen. Aber angesichts heutiger Möglichkeiten der Mobilität dürfte darin kein Hindernis liegen. Als ich Anfang der 50er Jahre ins Ruhrgebiet kam, erzählten mir Genossen der alten KPD, wie sie 1926 zum Reichstreffen des „Rotfrontkämpferbundes" mit dem Fahrrad nach Berlin gefahren sind!
In diesem Zusammenhang der Vorschlag an die Versammlung, sich mit einem Aufruf zu wenden an die genannten Organisationen und andere Gruppen und Einzelpersonen, sich zu kameradschaftlicher Diskussion der bestehenden Meinungsverschiedenheiten und gemeinsamem Handeln gegen den gemeinsamen Feind zusammenzufinden. Das ist das Gebot der Stunde revolutionären Handelns an diesem 1. Mai 1992.
Rolf Vellay, 1. Mai 1992
"…Ohne Kenntnis der SED-Führung…"!
Diskussionsbeitrag von Rolf Vellay zum „Dialogpapier" SED – SPD, gehalten beim Symposion „Deutsch-deutsche Beziehungen auf dem Prüfstand der Geschichte" der Arbeitsgemeinschaft Geschichtsforschung der Marx-Engels-Stiftung am 11./12. Dezember 1993 in Wuppertal.
Bei einer Veranstaltung des IMSF in Frankfurt im Herbst 1987 referierte der damalige erste Mann der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, Prof. Otto Reinold, das kurz zuvor veröffentlichte so genannte „Dialogpapier" zwischen SED und SPD. In einer Pause brachte ich gegenüber Prof. Reinold meine Bedenken zu solcher Art ideologischer Gemeinsamkeit mit der SPD vor. Er tat sie ab mit der Bemerkung" „Wir müssen es versuchen, vielleicht lohnt es sich". Ich nahm es zur Kenntnis, ohne überzeugt zu sein – aber wie kam unsereiner als Basiskommunist dazu, die bei den besten Köpfen unserer Ideologie-Arbeit konzentrierte Weisheit in der Konkretisierung marxistisch-leninistischer Politik in Frage zu stellen?
Heute wissen wir: „Es hat sich gelohnt!" – aber für die Sozialdemokratie, die heute wie eh und je in ihrer Führung nichts anderes ist als die, wie Lenin sie zu seiner Zeit apostrophierte, „sozialchauvinistische" Fraktion des deutschen Imperialismus. Heute stellt sich die Übereinkunft zum „Dialogpapier" dar geradezu als Krönung der einst von Egon Bahr in die Wege geleiteten Politik des „Wandels durch Annäherung". Der damalige Außenminister der DDR, Otto Winzer, hatte noch genügend Scharfblick, um diese Politik als Konterrevolution auf Filzlatschen" treffend zu charakterisieren. Das war die Aktualisierung und konkrete Nutzanwendung in der Tagespolitik der Aussage Lenins in „Staat und Revolution", die Führer der Zweiten Internationale seien „Agenten der Bourgeoisie in der Arbeiterbewegung".
Noch in den 70er Jahren war diese Einsicht in der kommunistischen Weltbewegung und insbesondere in der gerade wieder legal gewordenen kommunistischen Partei der Bundesrepublik Deutschland lebendig – wie anders sonst hätte der unvergessene Max Schäfer, zu der Zeit Chefredakteur der „Marxistischen Blätter", in der Ausgabe 8/73 von „Probleme des Friedens und des Sozialismus" als Resumée einer kritischen Auseinandersetzung mit der damals von der SPD als Gegenpol zu unserer Ideologie vertretenen These vom „demokratischen Sozialismus", folgendes schreiben können: „Eine Untersuchung der Konzeption des „demokratischen Sozialismus" führt zu dem Ergebnis, das in den Thesen des Düsseldorfer Parteitages der DKP mit folgenden Worten festgehalten wird:
Noch im Jahr 1977 heißt es in der Unterrichtsvorlage des „MSB Spartakus" zum ersten Ausbildungsthema „Kautsky – ein Vorläufer des demokratischen Sozialismus" über selbigen: „Er (der demokratische Sozialismus, d. Verf.) dient der Reformierung des imperialistischen Systems und der Integration der Arbeiterbewegung und der Linkskräfte". An anderer Stelle wird festgehalten, „dass der demokratische Sozialismus nicht wesensverschieden ist von der herrschenden Klasse" und schließlich: „Der demokratische Sozialismus fungiert als Konjunktursozialismus und als Integrationsideologie gegenüber der linken Basis der Sozialdemokratie".
Wer heute unter der Flagge des demokratischen Sozialismus segelt, ist ja landläufig bekannt, und dass es dieses Phänomen gibt, beweist, als wie tauglich sich der demokratische Sozialismus als „Integrationsideologie" gegenüber bestimmten Kräften in der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED und darüber hinaus bis hin zu mindestens einem Bezirkssekretär der SED und sogar bis ins Politbüro hinein erwiesen hat.
Denn inzwischen hatte reichlicher Genuss der bekannten Wodka-Marke „Gorbatschow" und der triviale „Friedensfusel" der achtziger Jahre die Verstandeskräfte verantwortlicher Leute offenbar so weit beeinträchtigt, dass man dem Imperialismus „Friedensfähigkeit" zusprach. Dazu muss man fragen: „Warum dem Imperialismus etwas zusprechen, wessen er offenbar nicht entbehrt?" Denn, wären die imperialistischen Mächte nicht auch „friedensfähig", würden sie ja nicht nur von Zeit zu Zeit, sondern ununterbrochen Krieg führen! Was die Autoren des den Befürwortern eines „Eia-Popeia-Friedens" so verführerisch in den Ohren klingenden Begriffes wirklich meinten, war, den Imperialismus „kriegsunfähig" zu machen – was allerdings nicht anders möglich ist, als ihm seine Herrschaftsgrundlage revolutionär zu entziehen. Und um eben von dieser unausweichlichen Notwendigkeit - wenn man denn der Menschheit den Frieden dauerhaft sichern will – nicht reden zu müssen, wurde die Basis unter Missbrauch des ehrlichen Friedenswillens der einfachen Menschen mit dem Scheinbegriff der „Friedensfähigkeit" des Imperialismus ideologisch entwaffnet.
Hans Peter Brenner hat dankenswerter Weise in einem Beitrag in der UZ vom 10. April 1992 dargelegt, dass eben diese ideologische Entwaffnung der Kommunisten sorgfältig geplanter Teil der Langzeitstrategie des US-Imperialismus war. Er weist ferner darauf hin, welche Rolle die Sozialdemokratie bei der ideologischen Unterwanderung gespielt hat und dass dieses obskure so genannte „Ideologie"-Papier von Anfang an nichts anderes als Teil dieser Unterwanderungs-strategie war und der ideologischen Aushöhlung des real existierenden Sozialismus diente – wozu sich inzwischen explizit ja auch die damaligen SPD-Protagonisten Eppler, Bahr und Vogel offen bekennen – so noch jüngst in der Enquete-Kommission des Bundestages zur Erforschung der DDR-Geschichte.
Wie aber war es denn möglich, dass trotz der vorhergehend zitierten Einschätzungen der Sozialdemokratie und des „demokratischen Sozialismus" durch Lenin, Otto Winzer, Max Schäfer usw. diese Politik Erfolg haben konnte? Heute kann man sagen, dass das nur möglich war, weil die Sozialdemokraten auf der anderen Seite Partner hatten, die mit gezinkten Karten spielten. Den authentischen Beweis dafür, dass dem so ist, liefert ein Interview mit Prof. Rolf Reissig, ehemals führendes Mitglied der ZK-Akademie, das er dem Deutschlandfunk am 8. August 1992 aus Anlass des 5. Jahrestages der Veröffentlichung des „Ideologiepapiers" gab. Eingangs des Interviews führte Reissig zu der Frage, welche Bedeutung das Papier für die SED-Führung hatte, aus: „Hier ist etwas ganz Eigenartiges geschehen. Dieses Papier ist eben nicht von der SED-Führung initiiert worden, ist nicht von ihr ausgearbeitet worden, auch nicht in ihrem Auftrag, nicht von ihr kontrolliert. Das mag viele überraschen, aber es ist so. Es ist von uns im ganz kleinen Kreis erarbeitet worden, ohne Kenntnis der SED-Führung, weil wir immer der Meinung waren, das Papier wird so nicht durchgehen, das wird abgelehnt werden, wir warten bis zuletzt, bis eine günstige Gelegenheit entsteht, um dann in einem Überraschungsmoment dies uns bestätigen zu lassen. Das ist gelungen."
Was Reissig hier erklärt, heißt nichts anderes, als dass im ideologischen Zentrum der Partei hinter dem Rücken der Führung unter Verschweigen der wahren Absichten gearbeitet wurde. Es ist dies – aus meiner vielleicht als „orthodox" empfundenen Sicht – das Schlimmste, was ein Kommunist parteiintern tun kann! Reissig weiter, befragt nach der Wirkung des Papiers in der SED: „In der SED-Basis hat es wie eine Lawine gewirkt, darf man sagen. Es hat eine Diskussion ausgelöst, zumindest wie ich sie seit dem Prager Frühling 68 nicht mehr gekannt habe. Es war ein Aufruf im Grunde genommen nach einem Einstieg in eine DDR-spezifische Perestroika- und Glasnostpolitik, es war ja doch ein Bruch mit der Realität der DDR und mit der Politik der SED, mit der Informationspolitik, mit der Medienpolitik, mit der Verweigerung des Dialogs, mit der Propagierung der Feindbilder, einem überlebten, aggressiven Imperialismusbild, einer Konzeption von revolutionären Weltprozessen – das alles wurde dort in Frage gestellt."
Ganz genau so, denke ich, haben sich die Planer der ideologischen Diversion auf der Gegenseite die Wirkung der Tätigkeit derjenigen, die objektiv die Rolle ihrer Handlanger im Innern der Partei spielten, vorgestellt. Schwerpunkt: „Bruch mit einem überlebten, aggressiven Imperialismusbild" – statt dessen Ronald Reagen mit der Friedenspfeife, Helmut Kohl mit Appetit höchstens auf Pfälzer Saumagen statt auf die DDR – und die Bundeswehr als die „größte deutsche Friedensbewegung" im Rahmen des „friedensfähigen Imperialismus"!
Schließlich bekennt sich Reissig zur unmittelbar konterrevolutionären Zielsetzung des Papiers – oder wie anders soll man folgende Passage aus dem Reissig-Interview verstehen? Auf die Frage, welche Bedeutung das Papier damals denn für die oppositionellen Gruppen in der DDR gehabt habe, antwortete Reissig: „Als wir das Papier ausarbeiteten, spielte das eine große Rolle. Natürlich war zunächst ein Papier gedacht zwischen der Staatspartei SED und der SPD zur Entwicklung des Aussen- und des Innendialogs. Gleichzeitig war in diesem Papier der Gedanke, die Opposition – dort formuliert als Individuen, Bürger, Gruppen aller Art – soll in den Dialog einbezogen werden."
Was heißt das, „die Opposition einbeziehen"? Das heißt nichts anderes, als Hilfestellung leisten für die Mobilisierung der Konterrevolution aus der Partei heraus! Wenn man ein solches Eingeständnis heute liest, versteht man den November 89 und begreift jetzt, warum die Partei kampflos vor Bärbel Boley und Pfarrer Eppelmann mit Kerzchen in der Hand und der Forderung nach „Freiheit für Andersdenkende" auf den Lippen kapitulierte!
Schließlich bestätigt Reissig genau die Einschätzung der sogenannten „Entspannungspolitik" durch Otto Winzel als „Konterrevolution auf Filzlatschen". Gefragt zu dem im Zusammenhang mit dem Papier der SPD gegenüber erhobenen Vorwurf, sie „biedere sich der SED an", erklärte Reissig: „Ich fand das nicht. Ich glaube, es war die Fortsetzung, allerdings in neuer Form, der SPD-Entspannungspolitik, die nun erweitert werden sollte um eine Dimension, die man bisher ausgeklammert hatte, die Dimension des Ideologischen..."
Abschließend nach seiner jetzigen Einschätzung des „Dialog"-Papiers befragt, bewertete es Reissig auch heute noch (8. August 1992; Red. Offensiv) als für die damalige Situation positiv. Angesichts der seither eingetretenen Entwicklung mit ihren katastrophalen Folgen sprich eine solche Äußerung für sich selbst und bedarf aus meiner Sicht keines weiteren Kommentars.
Rolf Vellay, 12. Dezember 1993
Der wiedererstandene deutsche Imperialismus gefährdet Stabilität und Frieden in Europa
Broschüre, herausgegeben als „Nicht Konform - Dokument" 1997
Der Sieg der Konterrevolution in den einst sozialistischen Ländern Osteuropas und schließlich auch in der Sowjetunion selbst hat zu einer grundlegenden Veränderung der Machtverhältnisse in Europa geführt. Der auf diesem Kontinent seit der Niederlage des durch den Hitlerfaschismus repräsentierten deutschen Imperialismus 1945 gesicherte Friedenszustand beruhte auf einem klassischen ,,Gleichgewicht" der Kräfte, einer ,,balance of power" zwischen den kapitalistischen Mächten des Westens mit der Supermacht USA im Rücken und den zum Sozialismus hin sich entwickelnden Ländern Osteuropas mit der sozialistischen Sowjetunion als Schutzmacht. Die Möglichkeit der gegenseitigen atomaren Vernichtung machte eine bewaffnete Auseinandersetzung höchst unwahrscheinlich. Gleichzeitig bedeutete das Bestehen zweier deutscher Staaten politisch eine Stabilisierung des Friedenszustandes. Denn zweimal in diesem Jahrhundert hatte der Vorherrschaftsanspruch des deutschen Imperialismus, gestützt auf die große Volkszahl und die geballte ökonomische Kraft des seit der Reichsgründung 1871 im wesentlichen staatlich geeinten deutschen Volkes, zu großen Kriegskatastrophen geführt. Allein schon das Bestehen der DDR als selbständiger Staat mit militärisch gesicherten Grenzen bedeutete eine Fußfessel für den in der Bundesrepublik schon bald nach 1945 revitalisierten deutschen Imperialismus. Genau diese friedenssichernde Funktion der Deutschen Demokratischen Republik hob Genosse Stalin hervor, als er 1949 in seinem Glückwunsch-telegramm zur Gründung der DDR betonte, durch die Existenz der DDR könne der Frieden in Europa als gesichert angesehen werden.
Wie wichtig, über die gesellschaftlichen Veränderungen im Osten Deutschlands hinaus, gerade die Frage der Friedenssicherung für die Sowjetunion war, machte die sogenannte ,Stalin-Note‘ 1952 deutlich mit dem Vorschlag, eine Vereinigung Deutschlands vorzunehmen — was natürlich auch die Aufgabe der DDR bedeutet hätte — unter der Bedingung einer Neutralitätsgarantie für dieses Gesamtdeutschland. Jedenfalls war — egal auf welchem Wege auch immer — die dauerhafte Ausschaltung des deutschen Imperialismus als Machtfaktor existentiell wichtig für die Erhaltung des Friedens in Europa. Die weitgehende Unterschätzung der Regenerationsfähigkeit des deutschen Imperialismus im Westen kritisierte schon 1960 die US-amerikanische Zeitschrift ,,Prevent World War III"(1), in der man lesen konnte:
„Als die deutsche Militärmaschine im Frühjahr 1945 auseinander fiel, hegten die meisten westlichen Führer die Illusion, die deutsche Macht sei ein für allemal gebrochen und das Reich für die nächsten hundert Jahre erledigt. Heute aber wissen wir aus den beschlagnahmten deutschen Dokumenten, daß Hitlers Oberkommando langfristige Vorbereitung für die Überwindung der Katastrophe getroffen hatte."
Obwohl derlei Geheimdokumente sicher auch Stalin zur Verfügung gestanden haben, befähigte ihn seine marxistisch-leninistische Analyse des Imperialismus schon 1952 in seiner Arbeit ,,Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR"(2) zu der Voraussage, daß Deutschland und Japan aus der der Niederlage im Krieg folgenden ,,amerikanischen Knechtschaft" ausbrechen und ,,wieder auf die Beine kommen" würden.
Genau das ist geschehen — mit der Annexion der DDR stand der deutsche Imperialismus, der ,,Fußfessel" des anderen, sozialistischen deutschen Staates ledig, wieder ,,auf eigenen Beinen", und zwar in einer geostrategisch so günstigen Lage wie nie zuvor! Die Folgen waren absolut verderblich: Der nahezu vierjährige Krieg in Jugoslawien kann nur verstanden werden als Folge der den anderen europäischen Mächten durch das wiedererstarkte Deutschland aufgezwungenen Anerkennung von Slowenien und Kroatien. Der bekannte deutsche Publizist Dr. Rupert Neudeck drückte das am 16. Mai 1995 in einem Kommentar im ,,Deutschlandfunk" so aus: (3)
„...denn wir Deutschen haben in der Geschichte der Bundesrepublik vielleicht viele Torheiten, aber nur einen Fehler gemacht: Wir haben die europäischen Partner in der EU gezwungen, Slowenien und Kroatien anzuerkennen — und als die Anerkennung durch war und Allgemeingut, haben wir es uns nicht nehmen lassen, die Anerkennung vorzuziehen wie um einen billigen publizistischen Werbetrumpf zu ergattern. Diese Aktion hat die europäische Politik um eine Generation zurückgeworfen. Frankreich und Britannien fingen an, wieder Balkan-Koalitionen gegen die zu mächtig werdende Bundesrepublik zu schmieden. Die geträumte Vorstellung einer gemeinsamen Diplomatie und Außenpolitik war erst einmal zu Ende."
In einem Korrespondentenbericht der ,,Süddeutschen Zeitung" vom 1. 12. 1994 wurde klargestellt, wen man in der französischen Hauptstadt wirklich für verantwortlich hält für das Blutvergießen in Jugoslawien:
„Ungeachtet der Chronologie des Konflikts gilt es inzwischen bei französischen Meinungsführern als ausgemacht, daß die blutigen Konflikte in Jugoslawien die Folge der übereilten Anerkennung Sloweniens und Kroatiens sind, zu der Bonn die europäischen Partner im Bewusstsein seiner neugewonnenen Macht gedrängt hatte.(4)
Johann Georg Reißmüller, einer der Herausgeber der ,,Frankfurter Allgemeinen Zeitung", des wichtigsten Organs der deutschen Monopolbourgeoisie, merkte in einem Leitartikel zu Jugoslawien einmal an, in der Anerkennungsfrage sei es das erste Mal gewesen, daß sich die anderen Mächte ,,nach Deutschland hätten richten müssen"! Angesichts der Folgen kann man dazu nur sagen: ,,Wehe Europa, wenn es eines Tages ganz unter deutschem Kommando stehen sollte"!
Noch ist es nicht so weit, aber wie konnte es überhaupt dazu kommen, daß auch nur in einem Teilproblem europäischer Politik der deutsche Imperialismus mehr als vierzig Jahre nach seiner scheinbar vernichtenden Niederlage dem übrigen Europa seinen Willen aufzwingen konnte?
Das Jahr 1989 mit der faktischen Kapitulation der DDR brachte diesem deutschen Imperialismus unverhofften doppelten Gewinn: Durch den nachfolgenden Zerfall der Sowjetunion befand sich der deutsche Imperialismus zum ersten Mal seit 1871 für den Fall einer machtpolitischen Auseinandersetzung nicht mehr in der Gefahr eines ,Zweifrontenkrieges‘ — der war Bismarcks Alptraum gewesen! Die Hegemonialpolitiker in Bonn konnten von nun an davon ausgehen, daß sie für eine absehbare Zukunft im Osten den Rücken frei haben! Einen weiteren Gewinn stellte der Bevölkerungszuwachs auf über 80 Millionen dar. Dadurch wurde das vereinte Deutschland in Verbindung mit seinem ökonomischen Potential, repräsentiert durch die überragende Stellung der Bundesbank im europäischen Währungssystem, wie von selbst zum dominierenden Faktor gegenüber dem übrigen Europa. Vom 3. Oktober 1990 an, also dem offiziellen Datum der ,,Wiedervereinigung", konnte man sagen: ,,Es geht in Europa noch nicht alles nach dem Willen der deutschen Großmacht — aber es geht ganz sicher nichts mehr gegen dieses übermächtige Deutschland!"
Das aber ist eine unheilvolle Konstellation, vor der von einsichtigen Kennern deutscher Geschichte und Politik auch aus dem bürgerlichen Lager durch die Jahrzehnte seit 1945 immer wieder gewarnt worden ist. Selbst in den Kreisen der sogenannten „Bürgerrechtler" in der DDR, die auf ihre Art alles taten, um den Sozialismus in der DDR zu sabotieren, ging die Furcht um, ein Gesamtdeutschland als Folge einer Paralyse der DDR werde zu einer Destabilisierung in Europa führen. Pfarrer Schorlemmer aus Wittenberg, einer der theologischen Agenten des BRDImperialismus im schwarzen Gewand des ,,Gottesdieners", forderte angesichts hochkommender nationaler Emotionen am 14. 11. 1989 in einem in der Berliner Zeitung ,,taz" veröffentlichten Interview zur ,,Vernunft" auf und erklärte:
Vernunft heißt, daß es für die europäische Stabilität nicht wünschenswert ist, jetzt von Vereinigungsgedanken das weitere politische Handeln bestimmen zu lassen. ,,(5)
Ein anderer „Oppositioneller", der Dokumentarfilmer Konrad Weiß, sprach sich am 6. Oktober 1989, ebenfalls in der ,,taz", für ,,ein Deutschland" aus, ,,in dem es keine Soldaten gibt, weder fremde noch eigene".(6) Heute ist die Bundesrepublik nicht nur die konventionell am stärksten gerüstete Militärmacht West- und Mitteleuropas, heute stehen deutsche Soldaten sogar über NATO-Gebiet hinaus mit einem Kampfauftrag in einem anderen Land!
Aufs höchste von der Entwicklung zur deutschen Einheit hin alarmiert, reiste der französische Staatspräsident Mitterand im Dezember 1989 zum DDR-Ministerpräsidenten Modrow und im Januar 1990 zu SU-Präsident Gorbatschow, um einen letzten Versuch zu machen, die deutsche Zweistaatlichkeit als entscheidende Komponente französischer Sicherheitspolitik zu erhalten. Hatte er vielleicht im Kopf, was die Londoner ,,Sunday Times‘ in düsterer Vorahnung bereits am 12. Februar 1989 über eine zukünftige beherrschende Rolle der Bundesrepublik in Europa geschrieben hatte:
,,Es könnte ein sehr mächtiges wirtschaftliches Gebilde entstehen, das vom Rhein bis zum Ural reicht und dessen Gewicht in Europa so überwältigend wäre, daß Frankreich und England zu zweitklassigen Mächten würden.(7)
Aber es war schon zu spät. Die Westmächte saßen in der Falle ihrer eigenen Versprechungen: In stillschweigendem Vertrauen auf die Stabilität des sozialistischen Systems, das die Existenz der DDR und damit geopolitisch die Fesselung des deutschen Imperialismus garantierte, hatten England und Frankreich immer wieder lauthals für die Öffentlichkeit ihr Versprechen erneuert, die ,,Wiederherstellung der deutschen Einheit" zu unterstützen —jetzt konnten sie nicht mehr zurück, als ,,die Mauer" gefallen war! Und doch wussten alle, daß die Grenzsicherungsanlagen der DDR eine der Bedingungen der Friedensicherung im Nachkriegseuropa war.
Als Modrow in Januar 1990 von seinem Besuch bei Gorbatschow in Moskau zurückkehrte mit dem makaberen Ruf ,,Deutschland, einig Vaterland", war jedermann klar, daß das Wiedererstehen eines vereinten, mächtigen deutschen Staates in der Mitte Europas nicht mehr zu verhindern war. Mitterand konnte nun nur noch auf die ,,Force de frappe" als letzten Garanten französischer Sicherheit gegenüber einem übermächtig zu werden drohenden Deutschland setzen. So stand Maggie Thatcher, entschiedene Gegnerin der deutschen Einheit, allein, denn die USA fühlten sich angesichts des Niedergangs der SU so mächtig, daß sie nicht zu befürchten brauchten, mit einem geeinten Deutschland Probleme zu bekommen, Und Gorbatschow, diese verworfenste Kreatur der Menschheit seit Judas Ischariot und Hitler, verkaufte schlicht und einfach die DDR gegen einen leeren Scheck! Auf geradezu unglaubliche Weise wiederholten 45 Jahre nach Ende des Krieges die Siegermächte über Hitlerdeutschland den Fehler der Westmächte nach dem Versailler Vertrag. Damals halfen sie aus Furcht vor der erstarkenden Sowjetunion dem deutschen Imperialismus wieder auf die Beine.
Denn selbstverständlich hatte deutsche Politik nach 1919 kein anderes Ziel, als die Wiedergewinnung der Machtstellung des Deutschen Reiches, um einen neuen Anlauf zu nehmen für die Erreichung der Hegemonie in Europa als notwendige Ausgangsbasis für den Anspruch auf den Rang einer Weltmacht. Prägnanter Ausdruck dieser Politik war der berüchtigte Brief des damaligen Außenministers Stresemann an den abgedankten deutschen Kronprinzen vom 7. September 1925. Zur letzten von drei Hauptaufgaben deutscher Politik heißt es im Brief Stresemanns, eines auch im Ausland als ,,bürgerlich-demokratisch" anerkannten Politikers:
,,Die dritte große Aufgabe ist die Korrektur der Ostgrenzen. Die Wiedergewinnung Danzigs, des polnischen Korridors und eine Korrektur der Grenze in Oberschlesien. Im Hintergrund steht der Anschluss von Deutsch-Österreich, obwohl ich mir sehr klar darüber hin, daß dieser Anschluss nicht nur Vorteile für Deutschland bringt, sondern das Problem des Deutschen Reiches sehr kompliziert. Wollen wir diese Ziele erreichen, so müssen wir uns aber auch auf diese Aufgaben konzentrieren. Daher der Sicherheitspakt, der uns einmal den Frieden garantieren und England sowie — wenn Mussolini mitmacht — Italien als Garanten der deutschen Westgrenze festlegen soll. Der Sicherheitspakt birgt andererseits in sich den Verzicht auf eine kriegerische Auseinandersetzung mit Frankreich wegen der Rückgewinnung Elsaß-Lothringens, einen deutschen Verzicht, der aber nur insoweit theoretischen Charakter hat, als keine Möglichkeit eines Krieges gegen Frankreich besteht."(8)
Der weitere Verlauf der Geschichte hat gezeigt, daß Hitler kein ,,Phänomen von einem anderen Stern" war, der mit seinen Eroberungsplänen das deutsche Volk unversehens ins Unglück stürzte, sondern Hitler führte nur konsequent das aus, was in der Außenpolitik der Weimarer Republik im Interesse der Expansionsbestrebungen des deutschen Monopolkapitals bereits angelegt war. Revision der Ostgrenze, Anschluss Österreichs bei — zunächst noch „theoretischem" Verzicht auf Elsaß-Lothringen. Wie sehr die Außenpolitik Hitlers den bereits in der Weimarer Republik vorgegebenen Weichenstellungen entsprach, beweist die einmütige Zustimmung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion zum außenpolitischen Programm Hitlers 1933. Gemeinsam mit den Nazis sangen die Sozialdemokraten zum Schluß der Sitzung ,,Deutschland, Deutschland, über alles..."! Es entsprach das genau sozialdemokratischer Tradition, die Aggressionspolitik des deutschen Imperialismus rückhaltlos zu unterstützen seit der Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914. Bei Hitler schlüpfte nur der Kriegsgeier aus dem Ei, das schon in der angeblich friedfertigen demokratischen Weimarer Republik gelegt worden war. Am Ende dieser großdeutschen Katastrophenpolitik stand 1945 die totale Kapitulation, und es ist heute belegt, daß schon zu einer Zeit, als die Niederlage zwar absehbar, aber noch nicht Tatsache war, erneut Führungskräfte des deutschen Monopolkapitals den Wiederaufstieg zur Hegemonialmacht in Europa vorbereiteten. Erneut, wie nach 1918, machte man sich dabei das Dilemma des Westens und insbesondere Frankreichs zunutze, denen das westliche Deutschland als unverzichtbar erschien in der Abwehr des ,,Bolschewismus‘, andererseits aber eine Übermacht Deutschlands nach den bitteren Erfahrungen von 1914 und 1940 unter allen Umständen verhindert werden sollte. Frankreich vor allem suchte das zu erreichen durch die sogenannte Einbindung der Bundesrepublik in die EG und die NATO.
Politisch dadurch, wie allenthalben nahezu spöttisch gesagt wurde, ein ,,Zwerg", wuchs die BRD im Schutz der Westbindung zu einen ökonomischen Riesen heran, wofür sich der Terminus vom ,,Wirtschaftswunder" in Westdeutschland einbürgerte. Den wahren Charakter des ,,Wirtschaftswunders" machte der führende französische Historiker Raymond Poidevin in seinem 1985 in deutscher Übersetzung erschienen Buch ,,Die unruhige Großmacht" Untertitel „Deutschland und die Welt im 20. Jahrhundert" deutlich. Laut Rezension in der ,,Frankfurter Allgemeinen" vom 28.11.97 sieht Poidevin seit 1896 den Expansionsdrang als durchgehend bestimmendes Moment deutscher Politik. Aus dieser durch die Fakten eindrucksvoll bestätigten Sicht wertet er den wirtschaftlichen Aufschwung der BRD nach 1949 schlicht und einfach als die den neuen Gegebenheiten angepaßte Variante konsequenter Fortsetzung der Politik der Wirtschaftsgroßmacht. Mit unbestechlichem Scharfblick erkennt der französische Historiker auch den wahren Gehalt der 1969 insbesondere von dem Sozialdemokraten Willy Brandt im Namen von „Völkerverständigung" und ,,Aussöhnung der Kriegsgegner" kreierten sogenannten ,,Neuen Ostpolitik". Konzeption und Realisierung dieser Politik seien ein deutlicher Indikator für ,,die weltweiten Ambitionen einer Mittelmacht"(9), die letztlich einen Großmachtanspruch stelle. Ganz im Sinne dieser Einschätzung habe ich bei früherer Gelegenheit den zum Medienereignis hochstilisierten ,,Kniefall" Willy Brandts am Warschauer Denkmal für den Ghetto-Aufstand ,,den ersten Schritt des deutschen Imperialismus nach Osten" genannt.
Der Rezensent in der „Frankfurter Allgemeinen" freilich hält die Meinung von Poidevin real für substanziell unbegründet und führt sie auf die traditionelle Furcht weiter Kreise in Frankreich vor einem wiedererstarkenden und vor allem wiedervereinigten Deutschland zurück. Inzwischen hat der Gang der Geschichte gezeigt, wie treffend die Analyse Poidevins gerade auch hinsichtlich der wahren Zielsetzung der ,,Neuen Ostpolitik" war. Denn ihre Durchsetzung trug entscheidend zum Zerfall des sozialistischen Lagers und damit zur Liquidierung der DDR als Fußfessel des BRD-Imperialismus bei.
Und daß dies das tatsächliche und wirkliche Ziel im Dienste der von Poidevin konstatierten ,,traditionellen Expansionsbestrebungen" deutscher Großmachtpolitik war, das wurde in der westdeutschen Öffentlichkeit ja damals auch ganz offen diskutiert. Als ein Beispiel dafür steht ein langer Artikel in der ,,Frankfurter Allgemeinen" vom 5. Juni 1984, überschrieben ,,Der ,deutsche Faktor‘ kehrt mehr und mehr in die Politik zurück". (10) Der Autor, Prof. Wolfgang Seiffert, muß als wirklich sachkundig angesehen werden. Als junger Kommunist in den 50er Jahren vom Adenauer-Regime in der BRD verfolgt ging er in die DDR, studierte Jura und stieg zum absolut anerkannten Experten für Internationales Wirtschaftsrecht und Völkerrecht auf. So vertrat er die DDR beim COMECON und war persönlicher Berater von Erich Honecker. In der DDR hochdekoriert, wechselte er zur größten Überraschung der Öffentlichkeit 1978 die Fronten und wurde Professor an der Universität Kiel in der Bundesrepublik. Als intimer Kenner der ökonomischen und politischen Verhältnisse im sozialistischen Lager erkannte er die dort auf der wirtschaftlichen Ineffizienz beruhende Schwäche, und so entwickelte der zum Klassenfeind übergelaufene einstige Kommunist nunmehr Strategiekonzepte für den deutschen Imperialismus mit der Zielsetzung der Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Ausgehend von der sicherlich auch 1984 schon richtigen Feststellung ,,wie ein Magnet Eisenspäne, so zieht die bundesdeutsche Wirtschaftskraft die europäischen Mitgliedstaaten des COMECON in ihren Bann"(11), entwirft er darin angesichts überfüllter Märkte im Westen diese Perspektive einer Ost-Expansion.
,,So, wie etwa die Bedingungen der industriellen Produktion der Nachkriegszeit die Bundesrepublik auf die Bildung des Gemeinsamen Marktes in der EWG orientierten und sie heute und in Zukunft an den Europäischen Gemeinschaften trotz aller Rückschläge und Schwierigkeiten der Integration festhalten lassen, so sind in der Zeit der Roboter, Computer und Mikroprozessoren Bedingungen entstanden, die dazu zwingen, der westdeutschen Wirtschafts- und Finanzwelt neue, zusätzliche und über den Gemeinsamen Markt hinausgehende Absatzmärkte und Tätigkeitsfelder zu erschließen, wenn sie ihren Platz unter den führenden Industrienationen behaupten will. Wo aber sollten diese Märkte und Tätigkeitsfelder angesichts der beherrschenden Positionen Japans in Asien und der verstärkten Dominanz Amerikas im Pazifik liegen, wenn nicht in der Region des COMECON und in einem Engagement in der Wirtschaft der DDR. Und wo bietet sich hier eine zukunftsträchtigere Perspektive als in einem Ausgleich der Interessen der Sowjetunion und denen der Deutschen."(12)
Alles das ist wenige Jahre später eingetreten (nur die Paralyse der Sowjetunion hat, so wenig wie wir alle, auch dieser Experte nicht vorhergesehen!). Unbeschadet aller zur Zeit noch großen Probleme bei der ökonomischen Integration der DDR — Deutschland ist heute größter Westhandelspartner aller osteuropäischen Länder. Ganze Industriezweige in diesen Staaten unterliegen heute schon der Kontrolle deutschen Kapitals. In der Tschechischen Republik z. B. entfällt ein Fünftel des gesamten Exports auf das Autowerk Skoda, das bekanntlich zum deutschen Volkswagen-Konzern gehört. Etwa 50 Prozent der Auflage der tschechischen Provinzpresse kommt aus Zeitungsverlagen, die sich in deutscher Hand befinden. Ein ähnlicher Prozeß ist in Hinblick auf die Printmedien in Polen im Gange. Während nach einer Meldung der „Frankfurter Allgemeinen" vom 11. April 1996 der deutsche Außenhandel 1995 um vier Prozent wuchs, stieg im gleichen Jahr der Handel mit Osteuropa um 15 Prozent! Mit einem Volumen von 120 Mrd. DM übertrifft er damit bereits den deutschen Handel mit den USA! Angesichts der ökonomischen Niveauunterschiede ist es völlig klar, daß die ,,terms of trade" des Handels mit Osteuropa von den Profiteuren aus der BRD dominiert werden. Wie Mittel- und Lateinamerika weitgehend der ökonomischen Vorherrschaft und damit natürlich der Ausbeutung durch die USA unterworfen sind, so droht Osteuropa zum ,,Hinterhof" der BRD zu werden mit der D-Mark als herrschender Währung. Woran Hitler als Exponent des deutschen Imperialismus scheiterte, nämlich Europa durch die Gewalt der Panzer zu unterwerfen, das verwirklicht heute das ,,demokratische" Deutschland auf dem „friedlichen Wege" ökonomischer Durchdringung. Wie sehr sich die Konzepte — das Endziel — gleichen, macht das folgende Zitat deutlich. Es ist entnommen einer Denkschrift von Werner Daitz, Chemie-Industrieller und Leiter der Außenhandelsabteilung der NSDAP und stammt aus dem Kriegsjahr 1940:
,,Eine kontinentaleuropäische Großraumwirtschaft unter deutscher Führung muß in ihrem letzten Friedensziel sämtliche Völker des Festlandes von Gibraltar bis zum Ural und vom Nordkap bis zur Insel Zypern umfassen, mit ihren natürlichen Ausstrahlungen in den sibirischen Raum und über das Mittelmeer nach Afrika hinein.
...Wenn wir den europäischen Kontinent wirtschaftlich führen wollen, wie dies aus Gründen der wirtschaftlichen Stärkung des europäischen Kontinents als Kernraum der weißen Rasse unbedingt erforderlich ist, so dürfen wir diese aus verständlichen Gründen nicht als eine deutsche Großraumwirtschaft öffentlich deklarieren. Wir müssen grundsätzlich immer nur von Europa sprechen, denn die deutsche Führung ergibt sich ganz von selbst aus dem politischen, wirtschaftlichen, kulturellen, technischen Schwergewicht Deutschlands und seiner geographischen Lage. Ebenso wird mit Hilfe unseres deutschen Wirtschaftssystems, wie es durch die nationalsozialistische Revolution geschaffen wurde, sich die Mark bei einer geschickten handelspolitischen Führung ganz von selbst als Standard-Währung durch-setzen.‘‘(13)
Ergänzend dazu ,,Punkt 1" einer streng vertraulichen, ,,Probleme der äußeren Währungspolitik nach Beendigung des Krieges" überschriebenen Denkschrift der Reichsbank, der Vorläuferin der Deutschen Bundesbank:
„1. Die Reichsmark wird die führende Währung in einem deutschen Großwirtschaftsraum, der mit fremden Großwirtschaftsräumen in Handelsbeziehungen steht."(14)
Gibt es heute noch irgend einen Zweifel daran, daß die angestrebte Euro-Währung etwas anderes sein kann als die D-Mark in europäischer Verkleidung? Kann es irgend einen Zweifel daran gehen, daß die Bundesbank als ,,Schatzhüterin" der D-Mark in erster Linie die Interessen des deutschen Monopolkapitals im Großwirtschaftsraum Europa von Gibraltar und Zypern bis zum Nordkap und zum Ural durchsetzen wird? Finanzminister Waigel war sehr stolz darauf, daß er als Sitz der „EuroBank" bei seinen europäischen Partnern Frankfurt/Main durchgesetzt hat. Gibt es irgend einen Zweifel daran, daß die europäische Zentralbank keine wichtige Entscheidung wird treffen können, ohne vorher das Placet der benachbarten Deutschen Bundesbank eingeholt zu haben?
Der politischen Absicherung dieses ökonomischen Vorherrschaftsstrebens dienen die Pläne zur Osterweiterung der Europäischen Union in Verbindung mit dem Bemühen, das Einstimmigkeitsprinzip bei wichtigen Beschlüssen der Europäischen Union abzuschaffen. Es ist völlig klar, daß die ökonomische Abhängigkeit vor allem der osteuropäischen Länder, wenn sie einmal Stimmrecht in der EU haben, der Bundesregierung immer die Möglichkeit gibt, diese Länder durch gewisse wirtschaftliche Zugeständnisse oder versteckte Sanktionen in ihrem Sinne zu erpressen. Damit wäre dann die deutsche Dominanz in Europa auf ganz „legalem" Wege gesichert
Ein Beispiel für das, was den Völkern Europas droht, wenn diese deutsche Dominanz erst einmal fest installiert ist, stellt die in jüngster Zeit eskalierende Auseinandersetzung zwischen der Prager Regierung einerseits und Bonn und der sogenannten „Sudetendeutschen Landsmann-schaft" andererseits dar. Im Triumphgefühl des ,,Sieges über den Kommunismus" fordern die revanchistischen Führer der ,,Sudetendeutschen Landsmannschaft" mit offener Rückendeckung der reaktionären Münchener Landesregierung und versteckter Hilfe aus Bonn von der tschechischen Regierung, die Aussiedlung der Sudetendeutschen 1945/46 als „Unrecht" zu verurteilen, ein ,,Heimatrecht" für die Sudetendeutschen auf tschechischem Staatsgebiet anzuerkennen und diesen Besitzansprüche zuzuerkennen. Der Weg zur Aufnahme in die EU führe für Prag nur über die Erfüllung dieser Ansprüche, lassen die Vertreter chauvinistischer deutscher Großmachtpolitik verlauten. Und wenn sich die tschechische Regierung hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Aussiedlung auf das Potsdamer Abkommen beruft, dann fühlt sich Außenminister Kinkel heute bereits stark genug, in arroganter Art und Weise die Verbindlichkeit des Potsdamer Abkommens als Grundlage der Nachkriegsordnung für Deutschland und seine östlichen Nachbarn überhaupt in Frage zu stellen. Eine solche Äußerung Kinkels muß nicht nur vom tschechischen Volk, sondern von allen Völkern Europas als Alarmsignal verstanden werden. Insbesondere aber in Polen, das ja gleichfalls in der Hoffnung auf wirtschaftliche Vorteile die Mitgliedschaft in der EU anstrebt und damit durch die BRD erpreßbar wird. Denn das ist doch nach aller geschichtlichen Erfahrung völlig klar: Wenn Prag dem Druck aus München und Bonn nachgibt und den Sudetendeutschen Konzessionen macht, werden die aus den einstigen Ostprovinzen des Deutschen Reiches ausgesiedelten Schlesier, Pommern, Ost- und Westpreußen gegenüber Polen die gleichen Forderungen erheben, wie die Sudetendeutschen gegenüber der Tschechischen Republik, und damit steht in letzter Konsequenz die Oder-Neiße-Grenze zur Disposition! Zwar mußte nach jahrzehntelanger Verweigerung durch Bonn die Oder-Neiße-Grenze im ,,2+4-Vertrag" von Kohl formell und endgültig völkerrechtlich anerkannt werden, weil sonst die Zustimmung der Alliierten zur Angliederung der DDR nicht zu erlangen gewesen wäre. Aber wir wissen doch aus der Geschichte, daß die deutschen Imperialisten Verträge nur schließen, um sie entweder zu umgehen oder, wenn sie sich stark genug fühlen, zu brechen! Daß auch die offiziell endgültige Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze ,,interpretationsfähig" ist, belegt ein Interview von Bundeskanzler Kohl in diesem Zusammenhang. Wie beiläufig wies er darauf hin, daß selbstverständlich das Helsinki-Abkommen von 1975 zwar die bestehenden Grenzen in Europa festschreibe, Grenzveränderungen ,,im gegenseitigen Einvernehmen" jedoch zulasse! Zumindest langfristig wird damit eine Option für die Zukunft offen gelassen. Eine solche Haltung entspricht dem, was Stresemann in seinem bereits zitierten Brief an den Kronprinzen hinsichtlich Elsaß— Lothringen in der Formulierung zum Ausdruck brachte: ,,Der Sicherheitspakt birgt andererseits in sich den Verzicht auf eine kriegerische Auseinandersetzung mit Frankreich wegen der Rückgewinnung Elsaß-Lothringens, einen deutschen Verzicht, der insoweit aber nur theoretischen Charakter hat, als keine Möglichkeit eines Krieges gegen Frankreich besteht."
1940 war es mit der ,,Theorie" vorbei und Hitler und die Nazi-Wehrmacht holten Elsaß-Lothringen ganz „praktisch" und gewaltsam ,,heim ins Reich". Auch die Oder-Neiße-Grenze beruht auf dem Potsdamer Abkommen, dessen Verbindlichkeit für Deutschlands Außenminister Kinkel jetzt in Frage stellt. Wird sich nicht vielleicht eines Tages zeigen, daß der Verzicht Kohls auf die ,,deutschen Ostgebiete" nur „theoretisch" stattgefunden hat, so wie Stresemann dem Verzicht auf Elsaß-Lothringen nur ,,theoretischen Charakter" beimaß, weil ,,keine Möglichkeit eines Krieges gegen Frankreich" bestand?
Bundeskanzler Kohl fasst offenbar durchaus die Möglichkeit eines neuen europäischen Krieges ins Auge. Er wird wissen warum, schließlich ist er gelernter Historiker! Im letzten halben Jahr hat er u. a. im belgischen Löwen dreimal davon gesprochen, die Frage der europäischen Einigung könne im nächsten Jahrtausend zu „einer Frage von Krieg und Frieden werden". Eine solche schwerwiegende Äußerung wiederholt man als verantwortlicher Staatsmann nicht mehrfach, wenn es nicht wirklich ernst gemeint ist. Was steckt dahinten? Nichts anderes, als daß die ,,Einigung Europas" im Wege der Institutionalisierung deutscher Dominanz als unabdingbare Voraussetzung weiterer Expansion des deutschen Monopolkapitals auf der weltweiten Jagd nach Maximalprofiten notfalls auch mit Gewalt durchgesetzt werden wird!
Doch Bundeskanzler Kohl ist nicht der Einzige, der kriegerisches Unheil im Zusammenhang mit der sogenannten europäischen Einigung heraufziehen sieht. Im vergangenen Jahr veröffentlichte der Brite Bernhard Conolly das Buch ,,The Rotten Heart of Europe", Untertitel ,,Der dreckige Krieg um Europas Währung". Sachkompetenz kann dem Autor sicher nicht abgesprochen werden, da er in verantwortungsvoller Position in der Brüsseler Kommission für die Währungsunion gearbeitet habe, wie in der Rezension der ,,Frankfurter Allgemeinen" vom 2. Oktober 1995 vermerkt wird. Immerhin hat die Londoner „Times" das Buch von Conolly in Auszügen abgedruckt. Conolly ist der Meinung, ,,der stille Machtkampf zwischen Deutschland und Frankreich werde langfristig den Frieden in Europa gefährden" so die ,,Frankfurter Allgemeine". (15)
Doch auch Conolly steht mit seiner düsteren Perspektive nicht allein. In der Sendung ,,Hintergrund Wirtschaft" des Kölner ,,Deutschlandfunks" am 10. Dezember 1995 kam der belgische Staatssekretär Olivier Lefebre, der ein Befürworter der Währungsunion ist, mit der wahrhaft alarmierenden Äußerung zu Wort: ,,Sowohl eine Verschiebung als — schlimmer noch — auch ein Scheitern der Währungsunion würde in einem Blutbad enden. So ist das von einigen internationalen Finanzfirmen in einer Vorausschau auf die Märkte in Europa kürzlich ausgedrückt worden,"(16)
Schließlich sei ein weiterer Mahner im Hinblick auf die Kriegsgefahr im Falle des Scheiterns des „Projektes Europa" zitiert. In einem ,,Vertrauensverlust und Angst" überschriebenen Beitrag berichtet die ,,Frankfurter Allgemeine" am 3. Januar 1996 von einem Besuch im deutsch-französischen Grenzland aus der elsässischen Gemeinde Hanskirchen. Dort residiert seit 42 Jahren als ,,maire", also Bürgermeister, Louis Jung, der neben der Wahrnehmung einer Vielzahl anderer Funktionen bis Ende der 80er Jahre auch Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarates war. Durch sein persönliches und familiäres Schicksal aufs engste berührt durch die blutigen Perioden deutsch-französischer Geschichte in diesem Jahrhundert, vielleicht gerade deshalb überzeugter Europäer, wird er in der ,,Frankfurter Allgemeinen" mit dem Satz zitiert: „Wenn wir das politische Europa nicht schaffen, werden wir wieder Krieg haben,"(17)
Für diesen Fall der nicht friedlichen Entwicklung des europäischen Einigungsprozesses ist die Bundesrepublik aber durchaus vorbereitet. Im November erließ Kriegsminister Volker Rühe für die Bundeswehr ,,Verteidigungspolitische Richtlinien". Sie sind ,,verbindliche Grundlage für die Arbeit in den Organisationsbereichen des Ministeriums sowie für die deutsche militärische Interessenvertretung nach außen". In den ,,Richtlinien" wird ein umfassendes Szenario der veränderten politischen Weltlage nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten Europas entworfen und werden die ,,Interessen der Bundesrepublik", so wie sie die Herrschenden in Bonn verstehen, definiert. Danach gehört zum Beispiel zu den ,,vitalen Sicherheitsinteressen", auf deren Durchsetzung die Bundeswehr ausgerichtet wird, die ,,Aufrechterhaltung des freien Welthandels und der ungehinderte Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt." Klar, für den ,,Export-Weltmeister Deutschland." ist es lebenswichtig daß die Bundeswehr Profit-interessen der deutschen Monopole gegebenenfalls auch weltweit zu schützen in der Lage ist!
Ganz spezielle Interessen aber haben die Monopolherren des größer gewordenen Deutschlands natürlich in Europa, wozu in den ,,Richtlinien" richtig festgestellt wird: ,,Unser Land besitzt aufgrund seiner politischen und wirtschaftlichen Potenz eine Schlüsselrolle für die Fortentwicklung der europäischen Strukturen". Weitere, unbestreitbar richtige Feststellung in den Richtlinien: „Jeder Krieg oder Bürgerkrieg in Europa hat unakzeptable Folgen für die betroffenen Menschen und gefährdet das stabile und friedliche Zusammenwachsen Europas. Dies zu verhindern, erfordert neben politischen Maßnahmen zur Förderung der Nachbarschaftsstabilität und zur Verhinderung neuer regionaler Rüstungswettläufe vor allem eine ausgeprägte Fähigkeit zum europäischen Krisen- und Konfliktmanagement. Dazu gehört auch das Bereitstellen entsprechender militärischer Potentiale."(18)
Das hört sich alles ganz folgerichtig an — und was kann das in Zukunft unter Umständen bedeuten, zum Beispiel angesichts einer Krisensituation wie während der Streiks im Öffentlichen Dienst im November/Dezember letzten Jahres in Frankreich oder im Hinblick auf den Streik der belgischen Eisenbahner? Was ist, wenn bei einer durchaus möglichen Verschärfung der sozialen Auseinandersetzung zum Beispiel in Frankreich bürgerkriegsähnliche Zustände entstehen? Wird dann die Bundesregierung entsprechend den ,,Verteidigungs-politischen Richtlinien" für den Einsatz im Nachbarland „militärische Potentiale" bereitstellen? Schließlich ist Frankreich der weitaus größte Handelspartner der Bundesrepublik und zum Beispiel steht die „Aufrechterhaltung des freien Welthandels und der ungehinderte Zugang zu Rohstoffen in aller Welt" durchaus in Frage, wenn wie jüngst die Eisenbahnen in Frankreich mehrere Wochen blockiert sind! ,,Auch Deutschland leidet unter den Streiks", so eine Überschrift in der ,,Frankfurter Allgemeinen" vom 2. Dezember 1955 und das Blatt berichtet über Produktionsausfälle bei Autoherstellern. Gesetzt den Fall, die Regierung in Paris wird eines Tages einer Krise wie im letzten November/Dezember aus eigener Kraft nicht mehr Herr, muss dann die Bundesregierung entsprechend den ,,Verteidigungspolitischen Richtlinien" und analog zum jetzigen Einsatz der Bundeswehr in Jugoslawien nicht ,,Krisenreaktionskräfte" nach Frankreich entsenden, um ,,unakzeptable Folgen für die betroffenen Menschen" im Falle eines Bürgerkrieges und eine ,,Gefährdung für das stabile und friedliche Zusammenwachsen Europas" zu vermeiden? Nach der in den ,,Verteidigungspolitischen Richtlinien" formulierten Bundeswehrdoktrin ist das jedenfalls möglich — die Völker Europas sind gewarnt!°
Und als ganz, ganz ernste Warnung sollte verstanden werden, wenn in der ,,Frankfurter Allgemeinen" vom 11. April 1996 ein ganzseitiger Artikel veröffentlicht wurde unter der Überschrift: ,,Kein Kult der Zurückhaltung mehr". Publiziert wurden da die Ergebnisse einer im Auftrag der ,,Friedrich-Naumann-Stiftung" (Freie Demokratische Partei) durchgeführten Befragung führender Angehöriger verschiedener gesellschaftlicher Bereiche, einer Elite aus Politik, Justiz und Wirtschaft, den Kirchen, der Bundeswehr, der Medien und der Wissenschaft. Es ging darum, wie diese Elite die ,,vitalen Interessen" Deutschlands versteht und unter welchen Bedingungen und wo es für richtig gehalten wird, die Bundeswehr einzusetzen. Das Ergebnis ist wahrhaft alarmierend. In seiner Kampagne für den Einsatz der Bundeswehr in Jugoslawien hatte Kriegsminister Volker Rühe die Deutschen aufgefordert, endlich sich der ihnen zukommenden ,,internationalen Verantwortung" zu stellen und nach erfolgter Wiedervereinigung die so lange Jahrzehnte gepflegt Kultur der Zurückhaltung aufzugeben. Offenbar sind die deutschen ,,Eliten" voll auf diesen Kurs eingeschwenkt, wie man der Bewertung der Umfrageergebnisse in der ,,Frankfurter Allgemeinen" entnehmen kann. Es heißt da:
,,Aber wer hätte es vor nur sieben Jahren vorauszusagen gewagt, daß die politische Elite und die Repräsentanten anderer für die Formulierung der Außen- und Sicherheitspolitik zentraler Gruppen derart umstrittene Schritte wie eine NATO-Erweiterung oder Out-of-area-Einsätze der Bundeswehr mit überwältigender Mehrheit unterstützen würden? Die deutsche Führungselite hat anscheinend gleich mehrere wichtige Schritte unternommen, um die, wie es Volker Rühe einmal ausdrückte, Kultur der Zurückhaltung abzulegen und die überholte Beschränkung Deutschlands als reine Zivilmacht aufzugeben. Deutschland ist offenkundig dabei, nach Beendigung des Kalten Krieges zu einem ,,normalen" Akteur in Europa zu werden... Die deutsche Elite hat zumindest gedanklich den Sprung in eine NATO geschafft. Sie wird geopolitisch reifer Sie ist auf dem Weg, die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik zu normalisieren"(19)
Im Hinblick auf diesen Sinneswandel der deutschen Eliten kann einen nur das blanke Entsetzen packen angesichts deutscher Geschichte seit 1870! Deutsche ,,Normalität" hat seither zu zwei Weltkriegen geführt und wenn jetzt die „Rückkehr zu Normalität" im Denken der Eliten gefeiert wird — heißt das, daß fünfzig Jahre Frieden seit 1945 für Deutschland nicht ,,normal" waren? Beruhigen kann auch nicht, wenn in der gleichen Umfrage ermittelt wurde, daß nur 22 Prozent der allgemeinen Bevölkerung Kampfeinsätzen der Bundeswehr im Rahmen der UNO zustimmen. Da die traurige historische Erfahrung zeigt: Wenn es ernst wurde, ist das deutsche Volk in seiner übergroßen Mehrheit seinen jeweiligen ,,Eliten" immer noch auf dem Weg der Gewaltpolitik gefolgt. Trotz aller vorher bekundeten Friedensbereitschaft. Leider muß ich daher an dieser Stelle sagen, daß ich fürchte, das deutsche Volk wird auch diesmal nicht in der Lage sein, der von seinem Staat mehr und mehr ausgehenden Bedrohung aus eigener Kraft Herr zu werden. Dieser Pessimismus gründet sich unter anderem darauf, daß die kommunistischen Parteien in der Bundesrepublik als die naturgemäß konsequentesten Kräfte in Kampf gegen die friedensgefährdende und volksfeindliche Politik des neuen deutschen Imperialismus gespalten sind. Die Spaltung in dieser Frage kam zustande durch den abrupten Kurswechsel der ,,Marxistisch—Leninistischen Partei Deutschlands" auf ihrem IV.Parteitag 1994. Noch im Oktober l990 hatte die MLPD in ihrer Broschüre ,,DDR aktuell 3" eine „Wiedervereinigung" unter dem Vorzeichen des deutschen Imperialismus strikt abgelehnt und auf die durch die Annexion der DDR bedrohlich wachsende Macht dieses deutschen Imperialismus warnend hingewiesen.
„Die Verteidigung der staatlichen Souveränität der DDR liegt im gemeinsamen Interesse aller antiimperialistischen und demokratischen Kräfte in Ost und West",(20) hatte es noch in einer Erklärung des ZK der MLPD vom Januar 1990 geheißen. Auf ihrem IV. Parteitag 1994 brach nun die MLPD — die, wenn auch zahlenmäßig klein, so doch die geschlossenste und am stärksten organisierte Kraft unter den deutschen Kommunisten darstellt — mit dieser Haltung.. Es wurde beschlossen, in der ,,Wiedervereinigung" die ,,Lösung der Nationalen Frage" zu sehen, wodurch der nunmehr in ganz Deutschland vereint für ihre Forderungen auftretenden Arbeiterklasse bessere Kampfbedingungen entstanden seien. Diese Einschätzung habe ich von Anfang an für falsch und schädlich gehalten. Nun bin ich durchaus bereit, eigene Auffassungen zu korrigieren, wenn mich die Tatsachen eines Besseren belehren — aus meiner Sicht aber hat die seitherige Entwicklung nicht die geringste Bestätigung für die Auffassung der MLPD erbracht. Ganz im Gegenteil sehe ich die Arbeiterklasse heute in einer so schwachen Position wie seit 1945 nicht mehr. Tatsache bleibt aber eben leider, daß die revolutionären Kräfte in der BRD zum gemeinsamen Auftreten gegen den neuen deutschen Imperialismus zur Zeit nicht in der Lage sind. So bleibt mir nur die Hoffnung, daß die Völker Europas rechtzeitig die Gefahr erkennen und sich zu gemeinsamer Kampffront gegen den Hauptfeind in unserer Mitte, den wiedererstanden deutschen Imperialismus, zusammenschließen.
So, wie nach dem Machtantritt der Faschisten 1933 in Deutschland von Jahr zu Jahr die Zahl der Warner vor den von dem braunen Deutschland ausgehenden Gefahren wuchs, so muß heute die Aufklärung und der Widerstand gegen den Bonner D-Mark-lmperialismus europaweit organisiert werden. Einen ersten Höhepunkt in diesem gemeinsam in ganz Europa zu organisierenden Kampf könnte der Jahrestag der Bombardierung von Guernica durch die faschistische ,,Legion Condor" im April 1937 darstellen. Die Zerstörung von Guernica, der heiligen Stadt der Basken, war der Auftakt für die barbarischen Kriegsverbrechen der Nazi-Wehrmacht und der Waffen-SS im Zweiten Weltkrieg. Mit dem Massaker aus der Luft an der friedlichen Bevölkerung von Guernica erprobten Hitler und Göring, was sie wenige Jahre später an Rotterdam, Coventry und Belgrad exekutierten. Darüber hinaus steht ,,Guernica" als erstes Massenverbrechen der Nazi-Kriegführung symbolisch für das, was in der Folge durch die Schrecken von Lidice und Oradour, von Baby Jar in der Ukraine und Kalavrita in Griechenland und den Adreatinischen Höhlen bei Rom und schließlich ,,Auschwitz‘ in ewiger Schande mit dem deutschen Namen verbunden bleibt. Ein Sternmarsch von allen diesen und noch vielen anderen Stätten faschistischen Grauens in den einst okkupierten Ländern Europas mit einer abschließenden Gedenkkundgebung in Guernica am April 1997 könnte über parteipolitische, nationale, religiöse und ideologische Grenzen hinweg alle antiimperialistischen Kräfte zusammenführen und ein Aufbruchsignal sein für die Völker Europas, den Widerstand gegen eine neuerliche, drohende Vergewaltigung durch den deutschen Imperialismus zu organisieren.
Rolf Vellay, Broschüre gleichen Titels, 1997
Anmerkungen:
Periodikum für wissenschaftlichen Sozialismus", Nr. 20. März 1961, S. 114, Universum-Verlag, München.
J, W. Stalin, ,,Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR", S. 41, Verlag für fremd-sprachige Literatur, Peking 1972.
,,Deutschlandfunk", Köln, Kommentar Dr. Rupert Neudeck, 16. Mai 1993.
„Süddeutsche Zeitung", ,,Frankreichs deutsche Gespenster", 1. Dezember 1994.
,,taz", Berlin, zitiert nach ,,DDR-journal zur Novemberrevolution", S. 133. Verlag ,,Tageszeitungs-gesellschaft".
a. a.0. S.33.
,,Recklinghäuser Zeitung‘, 13. Februar 1989.
Rheinhard Opitz, „Europastrategien des deutschen Kapitals, 1900—1945", S. 307, Verlag Pahl-Rugenstein.
,,FrankfurterAllgemeine", 23. November 1985.
„Frankfurter Allgemeine‘, 5. Juni 1984.
ebenda.
ebenda.
Stefan Engel, ,,Europa auf dem Weg zur Supermacht", ,,Im großdeutschen Fadenkreuz"‘ S. 180/81. Verlag ,,Neuer Weg", Essen.
a.a.O.,S. 101.
,,Frankfurter Allgemeine", 2. Oktober 1995.
,,Deutschlandfunk" Köln, 10. Dezember 1995, „Hintergrund Wirtschaft".
,,Frankfurter Allgemeine", 3. Januar 1995.
,,Frankfurter Rundschau", 22. März 1993.
„Frankfurter Allgemeine", 11. April 1996.
„Wiedervereinigung oder friedliche Annexion?", ,,DDR aktuell 3" S .12 ZK der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands, Verlag ,,Neuer Weg", Essen 1990.
Artikel zum in der UZ vom 20.6.1997 erschienenen Artikel von Manfred Sohn: „Das Subjekt der gegenwärtigen Wendung", von Rolf Vellay bezeichnet als Beispiel für eine Tendenz im Umfeld und bei der DKP; Rolfs Artikel erschien in der UZ stark gekürzt (drei-viertel UZ-Seite) am 5. September 1997. Hier Rolfs ungekürzte Arbeit:
Der Blick in die Zukunft ist, das lehren uns 150 Jahre Geschichte der marxistischen Arbeiterbewegung, ein schwieriges Geschäft. Gleichwohl ist politisches Handeln nicht möglich ohne Gedanken über die Zukunft anzustellen, unter Einbeziehung gemachter Erfahrungen zu erwägen, welche Entwicklung gesellschaftlicher Kräfte am ehesten wahrscheinlich ist, die Durchsetzbarkeit eigener politischer Zielsetzungen unter den vermutlichen zukünftigen Bedingungen bei realistischer Einschätzung des vorhandenen Potentials zu prüfen und am Ergebnis die eigene Strategie und Taktik in der Gegenwart zu orientieren. Wenn wir nüchtern unsere politische Vergangenheit selbstkritisch ansehen, lernen wir daraus, dass dieser „Blick in die Zukunft" ein hochspekulatives Unterfangen ist. Die Fehlerquote ist offensichtlich gewaltig neben den Volltreffern, die wir auch gelandet haben und aus denen die revolutionäre Bewegung bis heute wesentlich Motivation gewinnt.
Die grösste Gefahr, der wir nun wirklich vielfach erlegen sind und die zu bitteren, blutigen Niederlagen geführt hat, ist das Schönfärben der Perspektiven. Dabei gilt es zu unterscheiden zwischen verbrecherischer Absicht der Täuschung - SPD 1918/19 ,,Der Sozialismus marschiert", Kurt Schumacher 1945: ,,Der Sozialismus steht auf der Tagesordnung" - , und der Fehleinschätzung aus voluntaristischem, revolutionärem Enthusiasmus, beruhend auf - in manchen Fällen fahrlässiger, unverantwortlich leichtsinniger - Missachtung der Gegebenheiten.
Der konkrete Fall
Unter dem immerhin anspruchsvollen Titel „Das Subjekt der gegenwärtigen Wendung" stellt Manfred Sohn in der UZ vom 20. Juni 1997 aufgrund der Wahlergebnisse aus jüngster Zeit in einigen wichtigen Ländern ,,Über1egungen zum Träger eines neuen sozialistischen Anlaufs" in einem ganzseitigen Artikel an. ,,Die kapitalistischen Hochburgen selbst geraten in Bewegung‘ beginnt der Vorspann meinem Textes und der Autor stützt diese Feststellung auf den Stimmengewinn der japanischen Kommunisten bei des Parlamentswahlen im Oktober 1996, auf die Einschätzung, Labour habe bei den kürzlichen Wahlen in Großbritannien die Tories ,,hinweggefegt", ferner, in Frankreich seien nun die Kommunisten ebenso wie in Italien für die Regierungsbildung „unentbehrlich" und schließlich seien in Russland die Kommunisten die ,,stärkste Partei".
Diese Fakten veranlassen ihn dann zu der Frage: ,,Welche Möglichkeiten eröffnet dieser Aufbruch für einen neuen sozialistischen Anlauf, der diesmal sich möglicherweise nicht am Rande, sondern im Herzen des imperialistischen Systems selbst entfaltet?"
Interessant ist so schon mal die Formulierung der gestellten Trage. Hätte sie gelautet: ,,Eröffnet dieser Aufbruch neue Möglichkeiten....", ließe das ja zunächst einmal die Antwort offen. Mit der Wendung ,,Welche Möglichkeiten eröffnet dieser Aufbruch .., gibt der Autor eindeutig seine verinnerlichte Fixierung auf die Bedeutung von Wahlergebnissen als entscheidenden Hebel für die Veränderung politischer Machtverhältnisse zu erkennen. Vollends deutlich wird das an der Verwendung des in diesem Zusammenhang euphorisch klingenden Wortes ,,Aufbruch" für das Zustandekommen linker Mehrheiten in Parlamenten. Und schließlich, neuer ,,sozialistischer Anlauf" im ,,Herzen des imperialistischen Systems". Ja, da sieht wohl einer schon wieder konkret die revolutionär-sozialistische Morgenröte am kapitalistischen Endzeithorizont heraufdämmern - wie gehabt! Wie oft schon gehabt?
USA - Fehlanzeige !
Was ist davon zu halten? Beginnen wir bei der Analyse mit der Lokalisierung der nach Manfred Sohn sich anbahnenden revolutionären Veränderungen ,,in Herzen des imperialistischen Systems". Im Gegensatz zum menschlichen Herzen, um bei der anatomischen Metaphorik zu bleiben, weist der Imperialismus offensichtlich mehr als zwei ,,Herzkammern" auf. Die wichtigste und in jeder Beziehung stärkste sind eindeutig die USA. Sohn zitiert mehrfach die FAZ, also darf ich das auch. Zum Beispiel FAZ, 2. 5. 97 unter der Überschrift: „Amerikas Wirtschaft weiter stark in Schwung?":
„Mit einem starken Wachstum von real 5,6 Prozent (auf das Jahr hochgerechnet) im ersten Quartal hat die amerikanische...Wirtschaft alle Erwartungen weit übertroffen..." Schon im vierten Quartal 1996 habe das Wachstum mit 3,9 Prozent deutlich über den offiziell prognostizierten 2,3 Prozent gelegen, heißt es weiter. Mit diesen Zahlen wiesen die USA das höchste reale Wachstum seit zehn Jahren aus.
Passend dazu die FAZ am 5. Juni 1997: ,,Die Zahl der Arbeitslosen in den Vereinigten Staaten ist im April auf den niedrigsten Stand seit 24 Jahren gesunken. Die Quote habe bei 4,9 Prozent gelegen, teilte das Arbeitsministerium in Washington mit. Das sei der niedrigste Stand seit 1973. Gleichzeitig sank auch der wöchentliche Durchschnittsverdienst im Vergleich zum März um knapp ein Prozent auf 420 Dollar. Im Vergleich zum April vorigen Jahres verdienten die Amerikaner jetzt aber durchschnittlich 3,6 Prozent mehr."
Diese Zahlen erklären auch die ,,stürmische Zunahme des privaten Verbrauchs (plus 9,9 Prozent)" FAZ, 2. 5. 97. Am 16. Juni meldet das gleiche Blatt aus Washington, die erhöhten Steuerzuflüsse aufgrund des starken Wirtschaftswachstums ließen wahrscheinlich das Haushaltsdefizit auf 40 Mrd. Dollar schrumpfen - im Haushaltsansatz war mit einem Defizit von 148 Mrd. Dollar gerechnet worden. Sollte wie bisher die Konjunktur anhalten, könne der Haushalt im nächsten Jahr sogar ohne Defizit abschließen!
Stärkstes Wachstum seit zehn Jahren, niedrigste Arbeitslosigkeit seit 24 Jahren, Lohnzuwachs. bei niedriger Inflation und niedrigen Zinsen, starke Zunahme des Konsums, sinkende Staatsverschuldung - das alles spricht für sich, unbeschadet der se1bstverständlich nach wie vor gegebenen Krisenanfälligkeit jeder kapitalistischen Wirtschaft und unbeschadet der Skepsis hinsichtlich der Arbeitslosenzahlen. Nach 0ECD-Kriterien z.B. liegt die Arbeitslosigkeit in den USA bei 17 Prozent. Zur Zeit jedenfalls bleibt festzuhalten: Die USA - Herzkammer des Weltimperialismus pumpt entgegen allen unseren Erwartungen überaus kräftig – und das trotz aller katastrophalen sozialen Missstände in ,,Gottes eigenem Land"! Das Tüpfelchen auf den ,,i": Absoluter Höchstkurs des Dow-Jones-Aktienindex mit über 8ooo Punkten - gleichzeitig radikale Streichung von Leistungen in der Wohlfahrtsgesetzgebung, ohne dass sich irgendwie soziales Aufbegehren erkennen lässt. Manfred Sohns ,,Subjekt der gegenwärtigem Wendung" nimmt in den USA die Dinge offenbar hin, wie sie sind. Spricht er in Europa von einigen kommunistischen ,,Baby-Parteien", so befindet sich Vergleichbares in den USA, wie seit längerem schon, in embryonalem Stagnationsstadium.
Die etwas ausführlicherere Befassung mit der Situation in den USA ist deshalb notwendig, weil Manfred Sohn bei seiner schließlich weltumspannenden Betrachtung über die Lage im weitaus wichtigsten imperialistischen Staat kein Wort verliert. Aber ohne dass sich auch da etwas ändert, wird aus der von ihm gesichteten sozialistischen Morgenröte wohl kein strahlender revolutionärer Sonnenaufgang weltweit werden, Klar, USA passt derzeit nicht ins Bild, wird ausgeblendet - wie gehabt!
Geht in Japan die sozialistische Sonne auf?
Nicht ausgeblendet dagegen wird bei Manfred Sohn Japan, bei uns für gewöhnlich ,,Land der aufgehenden Sonne" genannt. Für ihn geht dort offenbar nicht nur die planetarische Sonne auf, sondern auch eine fiktiv-revolutionär-sozialistische, in deren Strahlen er sich sichtbarlich wärmt. Sind für ihn doch die Kommunisten die eigentlichen ,,Sieger der Parlamentswahlen in Oktober 1996". Die Ergebnisse dieser Wahlen sind mir nicht präsent, aber ich lese in der FAZ vom 8.7.‘97 die Überschrift „Erfolg der Kommunisten in Tokio", In Text heißt es: ,,Die Kommunistische Partei wird künftig 26 Abgeordnete im Stadtrat stellen, sie konnte die Zahl ihrer Sitze seit den Wahlen des Jahres 1993 verdoppeln. Es ist das beste Ergebnis der Kommunisten in einer Kommunalwahl in Tokio und. macht die Partei zur zweitstärksten Kraft im Stadtparlament." So weit, so gut und ganz hervorragend, möchte man meinen und es liest sich wie eine Bestätigung der Einschätzung von Manfred Sohn, die eigentlichen Gewinner der letztjährigen Parlamentswahlen seien die Kommunisten. Trotzdem ist bei der Einschätzung Zurückhaltung angesagt: Einmal, weil keine absoluten Stimmzahlen genannt werden. Die Wahlbeteiligung betrug nur 40,8 Prozent gegenüber 52 Prozent bei der vorhergehenden Wahl. Selbst ein nur moderater absoluter Stimmanstieg der Kommunisten kann dann schon zu einer überproportionalen Erhöhung der Zahl der Mandate führen und die alleinige Orientierung an dieser führt dann zu der bei uns in solchen Fällen üblichen Überschätzung des Masseneinflusses der Partei.
Zum anderen, und das ist der für mich bei weiten gewichtigerer Grund zur Zurückhaltung: Ich weiß nichts Näheres über die heutigen ideologischen Positionen der KP Japans. Ich erinnere mich aber an die große Marx-Konferenz 1978 in Berlin. Und was die japanischen Genossen damals vorgetragen haben, war aus meiner Sicht so katastrophal, dass ich mich nur gewundert habe, wie SED und KPdSU das zulassen konnten. Angesichts der späteren Entwicklung der beiden Parteien erscheint mir die damalige Toleranz heute einleuchtend. Wenn die Japanischen Genossen aber immer noch in dem gleichen ideologischen Sumpf waten wie damals, dann sind ihre Stimmengewinne für die revolutionäre Bewegung nicht mehr wert, als wenn einstmals die KP Italiens jahrzehntelang die Rathäuser wichtiger Großstädte beherrschte. Was hat es uns gebracht angesichts des ideologischen Fäulnisprozesses in der Partei, der am Ende auch hinsichtlich des Namens zur Liquidierung führte? In der FAZ wurden damals die kommunalpolitischen Leistungen der Kommunisten gelegentlich durchaus anerkannt - sie ,,müssten halt nur vom Leninismus lassen", seufzte der Leitartikler der FAZ einmal. Sie taten’s, die "Genossen" in Italien — das Ende ist bekannt
Soviel zum wahlpolitischen ,,neuen sozialistischen Anlauf" in der japanischen Herzkammer des Weltimperialismus.
Auf dem Kreml blinkt immer noch der Rote Stern....
..... und Lenin ruht nach immer im Mausoleum auf dem Roten Platz und Stalins Grab an der Kremlmauer ist geschmückt mit Blumen wie eh und je und noch ist Russland keine ,,Herzkammer" des Weltimperialismus - eher jetzt der Abort des Systems. Vierzig Jahre lang hat unsereins die Menschen dort gegen alle Angriffe und Beleidigungen verteidigt, - der heute alle gesellschaftlichen Ebenen durchdringende flächendeckende moralisch-politische Niedergang und Verfall zeigt, dass die Massen dort eines Lenin und Stalin bedurften, um Weltgeschichte zu schmieden. Diese Sicht ändert nichts daran, dass ich nach wie vor die Volksmassen für die Schöpfer und Gestalter der Geschichte halte — nur, mit 18 Millionen ,,Bolschewiken", die wir in der KPdSU vereinigt sahen, war nichts mehr los, als es darauf ankam. So wenig wie mit der SED im entscheidenden Moment. Was soll heute wohl los sein mit einer ,,Kommunistischen Partei Russlands" nach deren Wahlsieg das US-Außenministerium die Öffentlichkeit wissen ließ: ,,Kein Grund zur Beunruhigung!" Nein, der besteht auch wirklich nicht und für mich ist der Grund nicht ersichtlich, der Manfred Sohn veranlasst hat, diese Partei den Faktoren mit der Potenz zur Weltveränderung zuzurechnen. Aber es gibt ja bei uns auch an sich kluge Leute, die trotzdem immer noch Hoffnung auf die PDS setzen....
Bringt es vielleicht ,,New Labour"?
Manfred Sohn schließt das jedenfalls nicht aus mit der Bemerkung, die Labour Party sei nach wie vor ,,mehr als durchgeblairter Neoliberalismus". In der Tat stimmt das seit alters her so in allen reformistischen Parteien, dass man sich dort der Attraktivität für ein bestimmtes Wählerpotential wegen wohldosiert ein paar ,,linke Spinner" hält, die man sich ganz gern auch wegen des Anscheines innerparteilicher Demokratie leistet. Sollten in gesellschaftlichen Krisensituationen diese Gruppierungen Zulauf erhalten und zur Gefahr zu werden drohen, sorgt man schon für „Regulierung" - siehe den Ausschluss des SDS aus der SPD. Dass das gegebenenfalls auch bei ,,New Labour" so sein wird, dafür steht der Medien-Strahlemann Tony Blair, über den man in der FAZ am 3.5.’97 folgende Einschätzung lesen konnte: ,,Und auch seine innerparteilichen Widersacher mussten rasch erkennen, dass sich hinter Blairs Lächeln ein fester Wille zur Macht verbirgt. Dass er, der einst als „Bambi" verspottete Vater dreier Kinder, bei der Versöhnung der Partei mit der Marktwirtschaft, mit den Erfordernissen einer modernen Verteidigung und. dem Prinzip individueller Verantwortung eine kompromisslose Härte zeigte, hat ihm den Vorwurf eines autoritären, gar `stalinistischen´ Führungsstils eingetragen".
Danach scheint auf Tony Blair wirklich ,,Verlass" zu sein, den - so die FAZ im gleichen Beitrag – Schüler ,,einer der nobelsten Privatschulen Schottlands" und Jura-Absolventen des St. John-College in Oxford, wo bekanntlich nicht gerade die Nachwuchskader der revolutionären Arbeiterbewegung ausgebildet werden. Was er da gelernt hat, hat er dann - immer der FAZ zufolge — nach seiner Wahl zum Vorsitzenden der Labour-Party umgesetzt, indem er die Partei einer ,,beispiellosen ideologischen Reinigung" unterzog. „Er hat sie auf eine Politik der Mitte ausgerichtet, den ehemals erdrückenden Einfluss der Gewerkschaften auf die Politik der Partei zurückgedrängt. Er hat sich dabei nicht von den damals keineswegs schwachen traditionalistisch-sozialistischen Kräften der Beharrung beirren lassen".
Eben. Und deshalb konnte die FAZ am 3. Mai, zwei Tage nach der Wahl, mit dreispaltiger Überschrift im Wirtschaftsteil aus London vermelden: ,,Börse reagiert gelassen auf Labours Wahlsieg." Im Weltfinanzzentrum London weiß man offenbar seine Angelegenheiten in vertrauenswürdigen Händen! Nicht ganz so einverstanden waren offenbar mit ,,New Labour" Teile der bisherigen linken Wählerschaft. Oder wie erklärt es sich, dass ausgerechnet bei dieser Wahlschlacht gegen die verhassten Tories in einer Reihe traditioneller Hochburgen von Labour - bei Gewinn der Sitze für die Partei - der prozentuale Anteil der Labour-Stimmen zurückging, wie aus der ausgezeichneten Wahlanalyse der ,,Arbeiterstimme" zu entnehmen ist. Aber nicht nur an der Basis gibt es Skepsis. So heißt es in der FAZ vom 3.5.’97 unter der bezeichnenden Überschrift ,,Untergang im Sieg?", Untertitel ,,Die linken Intellektuellen Großbritanniens sind nun heimatlos": ,,Die Bereitschaft, es allen recht zu machen, und dabei die alten Grundsätze der Arbeiterbewegung über Bord zu werfen, hat Blair auch Mitgliedern der linken Intelligenz entfremdet, die sich seit der Thatcher-Ära entmündigt fühlt und nichts so sehr herbeisehnte wie einen Labour-Sieg. ... Sie fragen, wie Ben Pimlott, Professor an der Londoner Universität und Autor einer Harold-Wilson-Biographie, 'ob eine Partei ihr historisches Zielbewusstsein wie eine Schlangenhaut abwerfen kann, ohne sich eine neue zuzulegen, die nicht bloß eine hochempfindliche Membran für die Bedürfnisse der Verbraucher ist'. Der Publizist Martin Jaques, Herausgeber der inzwischen eingestellten Zeitschrift 'Marxism Today', hatte Biairs Wahl zum Parteiführer zunächst begrüßt. Inzwischen sieht er in New Labour jedoch eine »historische Niederlage für die britische Linke'"
Lohnt es noch- um in der Metaphorik von Manfred Sohn zu bleiben - sozusagen „Herzrhythmusstörungen" in der britischen Herzkammer des Weltimperialismus zu diagnostizieren, wenn der progressive englische Dichter Harold Pintcr schon vor der Wahl New Labour „Arschleckerei gegenüber dem Big Business (Literaten dürfen sich so ausdrücken!) als eine Schande vorwarf und selbst das „Neue Deutschland" am 5. Mai. 1997 meint (ich bitte zu registrieren, was es heißt, wenn ich das „ND" zitiere!): Inhaltlich setzt Blair durch moderate und in sofern modernisierte Fortschreibung dem Thatcherismus letztlich die Krone auf.
In dem bereits zitierten FAZ- Beitrag „Untergang im Sieg" heißt es - und ich meine zutreffend - zum Schluss: „Tony Blairs Kritiker in der eigenen Partei haben ihm vorgeworfen, er böte nichts als den Thatcherismus mit menschlichen Antlitz. Anders als Margaret Thatcher, die das ganze Land umkrempeln wollte, hatte Labour zunächst nur ein Ziel: Labour um jeden Preis wieder wählbar zu machen, indem er dem linken Flügel einen Maulkorb anlegte. Neben New Labour gibt es einen anderen Sieger der Wahl vom l. Mai, Margaret Thatcher".
Noch Fragen? Man sollt meinen - nein. Manfred Sohn aber schreibt: „Labour ...hat die Konservativen nicht von der Macht verdrängt, sondern weggefegt". Hört sich gut an für uns und die Mandatszahlen belegen es: Labour 419 Sitze, - die höchste jemals erreichte Zahl und damit eine wirklich haushohe Mehrheit im Unterhaus. Für die Tories 165 Sitze, das schlechteste Ergebnis seit 1832, für die Liberalen 46 Sitze, femer noch ein paar Sitze für Schotten, Waliser usw. Für Manfred Sohn langt die Sitzverteilung für das Diktum „weggefegt". Das passt ins Bild, kommt in Grossaufnahme in den Vorspann seines Artikels, eignet sich gut für die Motivierung der nach linken Erfolgserlebnissen dürstenden Leserschaft - weitere Analyse wird ausgeblendet, ist nichts fürs Parteivolk. Dabei relativieren die Stimmzahlen sowie die Wahlbeteiligung bei genauerer Betrachtung den ,, Erdrutschsieg" von Labour. Die Tories erhielten 31,4 Prozent der Stimmen, Labour 44,4 Prozent. Nach den Stimmen ist das knapp die Hälfte mehr als die Tories, brachte aber zweieinhalbmal soviel Sitze im Unterhaus ein, als die Tories bekamen. So etwas kommt zustande aufgrund des britischen Mehrheitswahlrechts in den einzelnen Wahlkreisen, das Maggie Thatcher z.B. einmal die Mehrheit im Unterhaus einbrachte mit 37 Prozent der Stimmen gegenüber einer Stimmenmehrheit von Labour von 44 Prozent! Der „Times" vom 3.5.'97 zufolge lag das prozentuale Stimmergebnis für Labour bei dem jetzigen triumphalen Erfolg nur wenig über dem der Wahlen von 1959 und 1970, als Labour jeweils schwer geschlagen wurde. Die Arbeiterstimme in ihrer Analyse:
„Blairs Erdrutschsieg rührt her vom Zusammenbruch der Tories, deren Unbeliebtheit seit 1992 kontinuierlich angewachsen ist. Die niedrigen Ergebnisse (für Labour, d.Verf.) in den städtischen Zentren könnten so zu verstehen sein, `dass es sich hier weniger um eine positive Unterstützung von New Labour als eine begeisterungslose Abstimmung gegen die Tories handelt´ (Independent, 5.5.’97). Genauso ist es.“
Diesem „Genau so ist es“ der „Arbeiterstimme“ kann ich mich nur anschließen, wenn ich ansonsten auch mit deren politischer Orientierung nichts an Hut habe. Dafür, dass es sich nicht in erster Linie um „enthusiastische Zustimmung“ für Labour handelte, sondern um die ,,begeisterungslose Ablehnung der Tories“, spricht auch die Wahlbeteiligung von nur 71 Prozent, sieben Prozent weniger als 1992 und die niedrigste seit 1945! Auch das ein Detail, das bei Manfred Sohn offenbar nicht ins Bild passt — wie könnte er sonst im Hinblick auf die von ihm gesehene zunehmende Politisierung der Menschen pauschal urteilend schreiben: ,,Dieser Umschwung schwappt bis in die Wahlurnen - ablesbar an den gestiegenen Wahlbeteiligungen“.
Wohl zutreffend für Frankreich, aber eben nicht für Großbritannien. Zur realistischen Bewertung des linken Wahlsieges in der britischen ,,Herzkammer des Weltimperialismus“ noch dieses: Labour 44,4 Prozent, Tories 31,4 Prozent, Liberal-Demokraten 17,2 Prozent. Da man sicherlich auch bei weitestgehender Auslegung des Begriffs ,,antikapitalistische Kräfte“ die Wähler der Liberal-Demokraten nicht wird zu den Antikapitalisten zählen können, hat Labour: trotz überwältigender Mehrheit im Unterhaus keine Mehrheit im Volke, denn Tories und Liberal-Demokraten haben zusammen 48,6 Prozent der Stimmen gegenüber 44,4 Prozent für Labour - wohlgemerkt der Wahlberechtigten, die auch zur Wahl gegangen sind. Macht man nun für Labour die Rechnung auf, die Fritz Noll in der ,,UZ“ vom 4.Juli (1997, Red. Offensiv) auf der ersten Seite unter der Überschrift ,,Sozialdarwinismus in den USA kein Vorbild für die Welt“ den Herrschenden in den Vereinigten Staaten vorhält, nämlich dass sie aufgrund der dort üblichen geringen Wahlbeteiligung im Durchschnitt nur von 25 Prozent der Bevölkerung in ihre Ämter gewählt werden, dann kann sich Labour gerade mal so auf 30,8 Prozent der gesamten wahlberechtigten Bevölkerung stützen - auch nicht gerade überwältigend und vermutlich etwas mager, um daraus Möglichkeiten ,,für einen neuen sozialistischen Anlauf“ unter Umständen sogar ,,im Kerzen des imperialistischen Systems“ abzuleiten.
Der Ordnung halber sei schließlich noch erwähnt, dass hier von der KP Großbritanniens deshalb nicht die Rede war, weil sie bei Parlamentswahlen keine Rolle spielt. Es ist lange her, dass die Partei zwei Abgeordnete ins Unterhaus entsenden konnte, Das war 1945 - in der Stalinepoche und die ist ja zur Zufriedenheit so vieler Linker glücklich vorbei!
Frankreich - Keine linke Mehrheit in Volk!
Vorbei auch in Frankreich, wo die Kommunistische Partei 1946 fast 30 Prozent der Stimmen erhielt! Jahrzehntelang hielt sich die KPF dann noch bei gut über 20 Prozent, auch noch, nachdem die Genossen sich 1968 das patriotische Verdienst erworben hatten, einen entscheidenden Beitrag zu leisten beim Abwürgen des revolutionären Aufbegehrens erst der Studenten und dann auch der Arbeiter im legendären Mai ’68. Damit retteten sie de Gaulle vor dem Verlust der Macht und bewahrten — vielleicht — Frankreich vor dem Bürgerkrieg.
Chruschtschows verderbliche These von der Möglichkeit des parlamentarischen Weges zum Sozialismus in hochentwickelten Ländern trug 12 Jahre nach dem XX. Parteitag Früchte! Damit aber war der Keim gelegt für den beginnenden inneren Zerfall der Partei. Es wurde die Entwicklung eingeleitet, die nach dem Harakiri der Regierungsbeteiligung unter Mitterand 1981 die Kommunisten weitgehend ihren Masseneinfluss kostete und schließlich auf dem letzten Parteitag im Dezember 1996 in den offenen Reformismus mündete, Dass das so ist, belegt eindeutig der Bericht der beiden DKP-Vertreter auf dem Parteitag, Heinz Stehr und Georg Polikeit, veröffentlicht in der ,,UZ‘ vom 10.1.’97:
„Zugleich aber knüpft sich daran (an die Kritik des Kapitalismus; d. Verf.) die Vorstellung, dass die ,soziale Transformation‘ bereits heute mit der Durchsetzung einzelner Reformschritte gegen die `Logik des Geldes´ beginnt und in einem länger anhaltenden Prozess schrittweise zur Herausbildung der neuen kommunistischen Gesellschaft führen wird, deren ökonomische und politische Grundlagen ohne deutliche Aussage zur Macht- und Eigentumsfrage nur reichlich vage definiert werden. Eingeordnet in dieses Konzept ist auch der auf dem Parteitag nunmehr offiziell verkündete Verzicht auf das Ziel ,Sozialismus‘ als Vor- und Übergangsstufe zum Kommunismus“.
Mit solchen programmatischen Aussagen tilgt die KP Frankreichs endgültig die letzten Überbleibsel revolutionärer Ideologie, nachdem sie ihren Charakter als revolutionäre Partei schon längst verloren hatte durch Verzicht auf die Forderung nach Errichtung der ,,Diktatur des Proletariats“ und schließlich auch der Aufgabe des ,,demokratischen Zentralismus“ als Organisationsprinzip. Da ist es nur konsequent, wenn seitens der Führung auf dem Parteitag die Rede davon war, man wolle weg von einer ,,kommunistischen Partei vom Typ der III. Internationale“, hin zu einem ,,französischen Kommunismus“. Dementsprechend heißt das bisherige Zentralkomitee jetzt ,,Nationalkomitee“ und das ehemalige Politbüro wird in ,,Nationalbüro“ umbenannt. Dementsprechend wird jetzt, dem Beispiel anderer ehemals kommunistischer Parteien folgend, “die Vergangenheit aufgearbeitet“. Laut FAZ vom 24.6.’97 sprach der Parteivorsitzende Hue auf einer der Rehabilitierung des einst prominenten Genossen Kriegel-Valrimont gewidmeten Veranstaltung im lothringischen Longlaville sein Bedauern über in der Vergangenheit ,,in der KPF begangenes Unrecht aus“. ,,Ja, die Kommunistische Partei ist zutiefst und für lange Zeit vom Stalinismus geprägt gewesen“. Bezeichnend, dass die FAZ dazu vermerkt: ,,Kriegel-Valrimont gehörte zu denen, die die vom den sowjetischen Parteichef Chruschtschov begonnene Entstalinisierung unterstützten“. 1961 hatte er seinen Sitz im Zentralkomitee verloren.
Der Lohn für derlei opportunistische Bußebekenntnisse wie das von Hue blieb nicht aus. Fix entdeckten französische Intellektuelle ihre linksradikalen Sympathien wieder. Der Filmregisseur Gerard Blain sah auf einmal für die Partei die „wunderbare Gelegenheit, wieder revolutionär zu werden“ und forderte die Rehabilitierung Trotzkis, „um Stalin endgültig zu begraben“ ( FAZ, 3.6.’97) An gleicher Stelle heißt es weiter, den ,,vom Totalitarismus geläuterten Kommunisten“ hätten ,,ein paar prominente Intellektuelle - von Emanuel Todd bis Julia Kristeva - ...einen antistalinistischen Persilschein“ ausgestellt. Todd in einem Rundfunkinterview lt. FAZ von 30. 4.’97: ,,Ich kehre mit großem Vergnügen zu den Kommunisten zurück. Sie sind entstalinisiert und verfügen über menschliche und ideologische Qualitäten - zum Beispiel den Glauben an die Gleichheit, - die in der politischen Landschaft selten geworden sind“.
Die volle Würze erhält eine solche Äußerung dadurch, dass Todd Wahlkampfberater von Chirac bei der Präsidentenwahl vor zwei Jahren war!
Mit solch qualifizierter Unterstützung kann ja nichts mehr schief gehen — und es ging auch nichts schief bei den jüngsten Wahlen. Ist es doch ein durchschlagender Erfolg, wenn sich die Zahl der Abgeordneten der Partei von 23 auf 38 um mehr als die Hälfte erhöht! Diesen Sprung vor Augen, hört bei Manfred Sohn offenbar auch schon die Wahlanalyse auf und er sieht Anlass für die stolze Feststellung: ,,Die Kommunisten sind in Frankreich zur Regierungsbildung unentbehrlich“. Ausgeblendet wird dabei, dass der prozentuale Stimmanteil der Kommunisten beim ersten Wahlgang 1995 gerade mal von 9,1 auf 9,4 gestiegen ist. Für noch nicht einmal ein Prozent mehr Stimmen über 50 Prozent mehr Abgeordnetenmandate - das ist doch wohl ein glänzendes politisches Geschäft! Grundlage für den deal: Das bereits vor den Wahlen geschlossene Bündnis mit den Sozialisten - und das wäre vermutlich nicht zustande gekommen ohne den ,,Entstalinisierungsparteitag“ der KPF vom Dezember 1996. Aus einer auf solche Art und Weise erlangten Schlüsselstellung für eine linke Regierungsbildung bei kaum gestiegenem Masseneinfluss der Partei leitet Manfred Sohn Möglichkeiten ,,für einen neue sozialistischen Anlauf ...... im Herzen des imperialistischen Systems“ ab!
Wie wackelig tatsächlich die linke Mehrheit in Frankreich ist, auf die nicht nur Manfred Sohn große Hoffnungen setzt, zeigt ein weiteres Zahlenparadoxon dieser Wahlen. Als Folge des französischen Wahlrechts blieb den ,,Ecologiste“, den dortigen ,,Grünen“, trotz eines Stimmanteils vom 11,1 Prozent 1993 ein Sitz im Parlament versagt. Ihr Stimmanteil beim ersten Wahlgang jetzt ging auf 6,81 Prozent zurück — aber durch das Bündnis mit den Sozialisten können sie jetzt stolze sieben Abgeordnetenmandate aufweisen! Demgegenüber konnte die rechtsradikale Nationale Front Ihren Stimmenanteil gegenüber 1993 von 12,7 auf jetzt 14,94 Prozent steigern, was aber gerade mal für ein Abgeordnetenmandat reichte.
Im Hinblick auf die Zusammensetzung des Parlaments verzerrt das Wahlrecht einfach das wahre Stimmungsbild in der Bevölkerung. Das verleitet zu dem gefährlichen Fehlschluss, in Frankreich, einer der ,,Herzkammern des Weltimperialismus“, hätten wir nach den letzten Wahlen eine ,,linke Mehrheit“. Zählt man die für die vereinigte Rechte und die Front National abgegebenen Stimmen zusammen, dann ergibt sich für die gesamte Rechte ein Stimmanteil von 51,46 Prozent - die Linke in Frankreich hat also ebenso wenig eine Mehrheit im Volk wie Labour in Großbritannien. Aber, derlei diffizile Erwägungen liegen natürlich dem ,,UZ“-Redakteur Manfred Sohn fern, man muss vielmehr - nach langjährig bewährtem Vorbild - das ,,Positive aufgreifen“, allem andere wird, ebenfalls nach langjährig bewährtem Vorbild, ausgeblendet. Wozu die Basis mit solchen Überlegungen belasten, da ist es doch viel schöner und einfacher, mit rosa parlamentarischer Himbeersauce revolutionär-sozialistischen Schaum zu schlagen.
Wollen wir sehen, wie die Regierung Jospin mit dem Problem zurecht kommt, die Wahlversprechungen zu erfüllen, den Maastricht-Kriterien gerecht zu werden und auch noch den Interessen des großen Kapitals Rechnung zu tragen, womit die Banker und die „patrons“ der großen Konzerne offenbar fest rechnen — dreispaltige Überschrift im Wirtschaftsteil der FAZ vom 3.6.‘97, zwei Tage nach der Wahl: ,,Die Pariser Börse fürchtet die Sozialisten nicht“. Warum sollte sie auch?, kann ich da nur nach aller historischen Erfahrung fragen. Wollen wir mal sehen, wie sich ein kommunistischer Transportminister aus der Affäre zieht, wenn es — was ganz schnell passieren kann — auch unter einer linken Regierung zu Streiks im Verkehrswesen kommt, die das Land lahm zu legen drohen und die für die multinationalen Konzerne in Zeiten der Just-In-Time-Produktion lebenswichtigen interkontinentalen Verbindungen unterbrechen! 1984 war eine linke Regierung nicht gefährdet durch das Ausscheiden der Kommunisten, die Sozialisten hatten ohnehin die absolute Mehrheit. Anders heute, da belastete ein Ausstieg der Kommunisten sie mit der Verantwortung für das Scheitern des linken Projekts überhaupt.
Andererseits hat Chirac für die Rechte durchaus noch einen Joker im Ärmel, falls Jospin Probleme bekommt, seine Wahlversprechungen einzulösen und die Stimmung im Land umschlägt: Die Verfassung erlaubt ihm, in einem Jahr erneut die Nationalversammlung aufzulösen und bei nochmaligen Wahlen kann es im Parlament am Ende wieder ganz anders aussehen. Immerhin ist seit 1981 jede amtierende Regierung, ob linker oder rechter Couleur, abgewählt worden. Der bekannte konservative Politiker Alain Peyrefitte, Senator und Leitartikelschreiber in ,,Figaro“, bastelt nach verschiedenen Meldungen bereits eifrig an einem Modell, das Stimmpotential der Front National für die Rechte nutzbar zu machen.
Wie wenig auch lange die Macht ausübende linke Parlamentsmehrheiten unter den Bedingungen des bürgerlichen Parlamentarismus Aussicht auf gesellschaftsverändernde Beständigkeit haben, bewies uns da gerade letztes Jahr erst Spanien. Nach 13 1/2 Jahren Regierungsverantwortung wurden die Sozialisten unter Felipe Gonzales - übrigens bevorzugter politischer Partner von Helmut Kohl - unter dem Druck bis in höchste Regierungskreise reichenden Korruptionsskandal und wegen des Verdachtes des Staatsterrorismus - Bildung von ,,Todesschwadronen“ im Kampf gegen die ETA — abgewählt. Aber das Negativbeispiel ,,Spanien“ kommt im hoffnungsvollen Zukunftsgemälde von Manfred Sohn nicht vor, es liegt halt nicht in dem von ihm ausgemachten Trend. Nicht kleinlich in der Wortwahl, schweigt er lieber in der Hoffnung auf ,,titanenhafte“ Auswirkungen, wenn erst die durch den Kapitalismus arbeitslos gemachten Menschen ihre bisherige Resignation überwänden und dann natürlich an den Wahlurnen, so meint er wohl, die ,,richtige“ Entscheidung träfen. Das beflügelt ihn dann zu dem Satz: ,,Denn wir sind Zeugen einer Entwicklung, für die das oft überzogen gebrauchte Wort `historisch` tatsächlich zutrifft. Sein Wort in das Ohr unserer Klassiker — nur hätten die bei einer Analyse wahrscheinlich nicht übersehen, dass einer Statistik aus ,,Le Monde“ zufolge, in Frankreich 49 Prozent der abstimmenden Arbeitslosen das Rechtsbündnis und die Nationale Front gewählt haben - die NF sogar weit überproportional! Und in Spanien haben sogar 23 Prozent Arbeitslose die Sozialisten nicht vor der Abwahl gerettet!
Linker Hoffnungsschimmer für die BRD?
Nur gut, dass wir in der Bundesrepublik erst im nächsten Jahr große Wahlen haben. Gäbe es schon jetzt, wie die Umfragen ausweisen, .einen Wahlsieg der Schröder-Lafontaine-SPD und der Fischer-Grünen, die Euphorie von Manfred Sohn würde wohl überborden. Aber, so weit ist es noch nicht und so beschränkt er sich denn auf die immerhin hoffnungmachende Bemerkung, auch Kohl und Konsorten dämmere es, ,,dass die Entwicklung um dieses Land keinen Bogen macht“. Also, irgendwie kam mir diese Floskel bekannt vor. Ach ja, „Freud lässt grüßen“, das Unterbewusstsein hat da wohl Manfred Sohn die Feder geführt. Erich Honecker war es, der in seiner bekannten Geraer Rede davon sprach, auch um die Bundesrepublik ,,werde der Sozialismus keinen Bogen machen.“ Diene sprachliche Nettigkeit bei Sohn gibt mir doch Gelegenheit, auch mal etwas Positives über den Autor zu sagen. Sie verrät, in welchem politischen Umfeld er seine Prägung erfahren hat und das ehrt ihn.
,,6.500 in der DKP organisierte KommunistInnen“
Dagegen ehrt ihn nicht eine andere Aussage in seinen Text, die ebenfalls eindeutig durch seine politische Prägung vorgegeben ist, nämlich die von den ,,6.500 in der DKP organisierten Kommunistlnnen“. Was soll diese Karteizahl ohne irgendwelche näheren Angaben in einem Text, der Ermutigung für einen neuen revolutinären Aufbruch vermitteln will? Die Zahl soll, nach dem, was hinter den Kommunisten liegt, ein Bild wiedergewonnener Stärke aufbauen. Tatsächlich läuft es aber auf eine Wiederholung der eiligst betriebenen politischen Falschmünzerei hinaus, als bei der DKP von „fast 60.000 Mitgliedern" die Rede warf l).Heute wissen wir, dass es de facto niemals mehr als 30.000 waren! Die Karteizahl von 6.500 mag ihre Richtigkeit haben, aber sie sagt nichts über wirkliche politische Effizienz aus. Laut Mitteilung des PDS-Geschäftsführers Bartsch sind 67 Prozent der PDS-Mitglieder älter als 60 Jahre, lediglich 10 Prozent unter 40 Jahren und nur ganze zwei Prozent Jünger als 30 Jahre! (FA/,, 26.5.'97). Man darf vermuten und der Augenschein bestätigt es, wenn man mal auf DKP-Veranstaltungen ist, dass die Altersstruktur der DKP ähnlich sein wird. Es halten offenbar am ehesten noch die zur Sache, die wir immer noch „für die beste der Welt" halten, die ihre politische Sozialisation in der glücklich und endlich überwundenen Stalin-Epoche erfahren haben. Als fast Siebzigjähriger liegt es mir natürlich fern, uns Ältere abzuschreiben. Aber es bedarf doch keiner Erläuterung, dass die Zukunft nur hei den anderen Altersgruppen liegen kann, und da dürfte es bei der DKP so betrüblich aussehen wie aus den obigen Angaben für die PDS ersichtlich. Da ist es kein Trost, dass es auch im bürgerliche» Spektrum nicht hesser steht. Nach einer kürzlich im Deutschlandfunk gemachten Angabe sind nur 2 Prozent der CDU-Mitglieder unter 25 Jahre alt, die Nachwuchsprobleme der SPD sind ebenfalls bekannt. Aber im Hinblick auf die DKP das wirklich existenzbedrohende Problem der völlig unbefriedigenden Allersstruklur durch platte Nennung der Karteizahl zu ignorieren, das ist nichts anderes als die Schönfärberei alten Stils.
Entspricht aber voll und ganz dem sonstigen Tenor des Textes von Manfred Sohn, der -sicherlich in bester Absicht, das ist ihm natürlich zugebilligt, - auf der Grundlage einiger Wahlergebnisse im Rahmen des bürgerlichen Parlamentarismus gleich in System verändernde sozialistische Zukunftsphantasien verfällt und dabei genau die Fehler wiederholt, die wir früher gemacht haben. Nur die Grundlage dieses Fehlers ist heute eine andere, früher war das Vertrauen in die Stärke des sozialistisches Lagers und die Unumkehrbarkeit eingetretener gesellschaftlicher Veränderungen die Basis für, wie sich herausgestellt hat. völlige Fehleinschätzungen der revolutionären Perspektive.
Welche seltsamen Blüten diese geradezu bizarre Verleugnung der Realitäten aus Parteitreue trieb, macht eine Äußerung des Parteivorstandes der DKP, abgedruckt in der „UZ“ vom 21.12.1988 deutlich: ,,Wir verfolgen die Prozesse in der Sowjetunion, aber auch die Veränderungen in den anderen sozialistischen Ländern mit Begeisterung“, ließ Rolf Priemer im Namen des Parteivorstandes der DKP in Vorbereitung des Parteitages verlauten. Heute ist Rolf Priemer Chefredakteur der „UZ“, in der der Wunschdenken verbreitende und Illusionsmacherei darstellende Text von Manfred Sohn veröffentlicht wurde.
Die Fixierung von Manfred Sohn auf einige natürlich bemerkenswerte Wahlergebnisse belegt, dass heutige Grundlage für revolutionäres Wunschdenken und politische Illusionsmacherei die aus dem seinerzeitigen Konzept der ,,Antimonopolistischen Demokratie“ erwachsene Vorstellung ist, das System mit im Rahmen des Systems liegenden Mitteln zu überwinden.
„Verzweifelte Großkapitalisten“!
Nun ist die Illusionsmacherei von Manfred Sohn in der ,,ZU“ in der DKP kein Einzelfall und. dieser Umstand ist der eigentliche Anlass für mich, diesen Aufsatz so ausführlich zu behandeln. Wie anders denn als “Illusionsmacherei“ soll man es bezeichnen, wenn die ,,UZ“ in ihrer Ausgabe vom 6.6.’97 eine Wirtschaftskolumne von Prof. Jürgen Kucszynski veröffentlicht unter der Überschrift ,,Verzeifeltes Großkapital“. Realiter, fürchte ich, ist es dem Großkapital weltweit wirklich noch nie so glänzend gegangen wie gegenwärtig. Nun bezog sich Kuczynski - dessen Leistung als Wirtschaftshistoriker in der DDR völlig außer Frage steht - auf das deutsche Großkapital. Als Kuczynski diese famose Überschrift formulierte, stand der deutsche Aktienindex bei 3.000 Punkten, sechs Wochen später hatte der ,,Dax“ die Marke von 4.200 übersprungen, eine - wenn zunächst auch spekulative - Wertsteigerung über 30 Prozent! Sollen wir das als sichtbares Zeichen für die Verzweiflung unserer Großkapitalisten sehen, die offenbar nicht mehr woanders hin wissen mit Ihrem sauer verdienten Geld, als an der Börse wertlose Aktien zu kaufen? Kommentar überflüssig!
,,Gibt es Kapitalismus ohne Ausbeutung?“
Nicht überflüssig zu kommentieren ist es, wenn Ellen Weber, Mitglied des Parteivorstandes der DKP, auf einer Veranstaltung des Parteivorstandes zur Erinnerung an den Stuttgarter Kongress der Internationale 1907 per Anzeige in der ,,UZ“ angekündigt wird mit einem Referat: ,,Nach dem Sieg im Kalten Krieg: Ist der Kapitalismus friedensfähig?“(2). Diese Frage kann ernsthaft doch nur jemand stellen, der nach Möglichkeiten friedlicher Systemveränderung sucht. Vielleicht sollte man Ellen Weber bei ihren weiteren Kapitalismus-Forschungen zu der Fragestellung raten, ob ,,Kapitalismus ohne Ausbeutung“ möglich ist. Wenn ja, dann bräuchte man schließlich den Kapitalismus gar nicht mehr abzuschaffen, an welcher Aufgabe wir uns seit 150 Jahren die Zähne ausbeißen. Dann genügte es doch, in Kapitalismus die Ausbeutung abzuschaffen - fertig ist die sozialistische Schrebergartenlaube als Heimstatt einer glücklichen Menschheit!
„Vorwärts zum Sozialismus“ —mit dem Grundgesetz unter dem Arm!
Wo man auch hinschaut - überall lugt bei der DKP und in ihrem Umfeld die Suche nach einem gewaltsame Konflikte vermeidenden Weg zum Sozialismus hervor.
Auf den Beitrag von Hans Wunderlich in den ,,Marxistischen Blättern“ 6/96, in dem er als einen Weg, ,,revolutionäre Veränderungen“ zu realisieren, sich auf die Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes bezieht, hatte ich schon bei früherer Gelegenheit hingewiesen. Immerhin hatte er aber doch einschränkend noch vermerkt, diese revolutionären Veränderungen seien ,,auf verschiedene Art und Weise denkbar und nicht vorauszusagen“.
Völlig eindeutig hinsichtlich der Ausschließlichkeit des ,,parlamentarischen Weges“ dagegen äußert sich dann in ,,Marxistische Blätter“ 3/97 der Historiker Prof. Dr. Heinz Karl in dem ,,Linke Widerstände gegen die Volksfront“ überschriebenen Artikel. Heißt es doch da: ,,Überhaupt ist festzustellen, dass in allen diesen Polemiken gegen die Volksfrontpolitik das Problem einer möglichen Entwicklung der Demokratie über den bürgerlichen, kapitalistischen Horizont hinaus völlig ignoriert wird. Aber gerade dies ist doch einer der wichtigsten Aspekte des Kampfes um Demokratie in der kapitalistischen Gesellschaft, heute wohl der entscheidende - oder sogar der allein gangbare - Weg des Übergangs von der kapitalistischen in eine sozialistische Gesellschaft. Die Aktualität dieses Problems liegt nicht zuletzt darin, dass die optimale Ausschöpfung der Möglichkeiten des Grundgesetzes und der parlamentarischen Demokratie für eine gesellschaftliche Weiterentwicklung gerade in diesem Kontext zu sehen ist“.
Leider, leider verbietet es die vom Umfang her notwendige Beschränkung, das Zitat weiter fortzuführen. Jedenfalls sind diese Passagen des in anderer Beziehung durchaus akzeptablen Artikels sozialdemokratisches Gedankengut in Reinkultur. Bei der Gelegenheit: Weil gerade von Heft 4/97 der ,,MBl“ die Rede ist - auf welches Niveau die Debatte mittlerweile gesunken ist, macht der Artikel von Manfred Sohn ,,Imperialismus und/oder Neoliberalismus?“ deutlich, im dem er sich - wofür ihm natürlich zu danken ist - veranlasst sieht, sogar in der Diskussion mit ,,Marxisten“ den Begriff ,,Imperialismus“ zu verteidigen. Aber das nur nebenbei.
Sozialismus: „Sowjetmacht plus Internet und Love Parade“?
Immerhin noch beim Namen genannt wird das Problem möglicher Gewaltanwendung im Klassenkampf in dem programmatischen Entwurf über die Sozialismusvorstellungen der DKP vom Dezember ’96: ,,Sozialismus — die historische Alternative zum Imperialismus“. Zitat: “Die Erfahrungen des Klassenkampfes lehren, dass die Monopolbourgeoisie, wenn sie ihre Macht und Privilegien bedroht sah, stets versucht hat, den gesellschaftlichen Fortschritt mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln bis hin zur Errichtung faschistischer Diktaturen und zur Entfesselung von Bürgerkriegen zu verhindern. Im harten Kampf muss ihr unvermeidlicher Widerstand überwunden und ein solches Übergewicht der zum Sozialismus strebenden Kräfte erreicht werden, dass es ermöglicht, die Reaktion an der Anwendung blutiger, konterrevolutionärer Gewalt zu hindern und den für das arbeitende Volk günstigsten Weg zum Sozialismus durchzusetzen.“
Problem erkannt – aber nicht gelöst! Mein Artikel beginnt mit dem Satz: „Der Blick in die Zukunft ist, das lehren uns 150 Jahre Geschichte der marxistischen Arbeiterbewegung, ein schwieriges Geschäft.“ Er ist nicht möglich ohne den Blick in die Vergangenheit und wenn diese Vergangenheit etwas lehrt, das doch dieses, dass die imperialistischen Ausbeuter noch nie und nirgendwo abgetreten sind, ohne gewaltsamen, blutigen, konter-revolutionären Widerstand zu leisten. Das wird in dem Entwurf auch anerkannt. Die angebotene Lösung des Problems aber ist konkret betrachtet und rein gedanklich ein Unding. Unter den bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ja immer noch fortbestehenden imperialistischen Machtstrukturen ,,ein solches Übergewicht der zum Sozialismus strebenden Kräfte“ zu erreichen, ,,das es ermöglicht, die Reaktion an der Anwendung blutiger, konterrevolutionärer Gewalt zu hindern“, wie es in dem Entwurf heißt, bedeutet, die Sache auf den Tag des Jüngsten Gerichts zu verschieben. Es bedeutet, um es bildhaft zu machen, Überschwemmungen verhindern zu wollen, indem man dafür sorgt, dass es nicht zu viel regnet!
Ich erspare mir hier die sattsam und allseits bekannten Zitate unserer Klassiker zum Problem der revolutionären Gewalt. Es ist doch gerade der Kerngehalt des Leninismus als der Konkretisierung des Marxismus für die Epoche des Imperialismus, dass eben diese die Anwendung von Gewalt verhindernde Zügelung der konterrevolutionären Kräfte n i c h t m ö g l i c h ist! Ich bin ganz sicher, dieser Käse, dass man so stark werden muss, um die Bourgeoisie an der Ausübung von Gewalt hindern zu können, steht schon irgendwo bei Bernstein oder Kautsky. Die Experten werden wissen, wo, die Diskussion zu dem Thema ist ja uralt.
Rein gedanklich ist dieser Versuch der Lösung des Problems so ein Unding wie damals in der unsäglichen Debatte über die ,,Friedensfähigkeit des Imperialismus“ die von den Anhängern dieser These den Kritikern gegebene, wahrhaft entwaffnende Antwort ,,Man muss die Imperialisten eben zum Frieden zwingen!“ Was sollte man da noch sagen gegenüber solcher Naivität? Wenn wir so stark sind, den Imperialismus “zum Frieden zwingen“ zu können bzw. den inneren Klassenfeind an der Ausübung konterrevolutionärer Gewalt zu hindern — warum machen wir dann nicht gleich Schluss mit dem imperialistischen System weltweit und dem Klassenfeind im Inneren?
Contradictio in adjecto — ein Widerspruch in sich! ,,Illusionsmacherei“ - aus meiner Sicht - auf höchster Ebene! Dass das da möglich ist, darin sehe ich die Ursache für die anderen Erscheinungen dieser Art, die ich registriert habe.
Dass das so ist, dafür spricht der Umstand, dass Meinungsäußerungen, die unsere traditionellen Auffassungen als Marxisten-Leninisten beinhalten, praktisch keine Aussicht auf Publizierung haben. Die Verantwortung dafür liegt bei den zuständigen Institutionen und Redaktionen.
Nun kann ich natürlich so wenig in. die Zukunft sehen wie andere Leute und am Ende behält vielleicht doch Manfred Sohn recht, wenn er die sicherlich griffige Formel der Schicki-Micki-Sozialisten aufnimmt ,,Sozialismus ist Sowjetmacht plus Internet“.
Man stelle sich vor, die bald vielleicht schon Billionen Computer-Beschäftigten auf Heimarbeitsplätzen legen die betrieblichen „connections“ lahm und im Internet erscheinen statt Werbespots nur noch revolutionäre Losungen! ,,Computerfreaks aller Länder, vereinigt Euch!“
Wenn diese Parole dann die Millionenmasse auf der Love-Parade ergreift und so die ,,Idee zur materiellen Gewalt wird“ dann behalten am Ende doch Marx und Manfred Sohn recht und wir sind stark genug, die Konterrevolution von der Anwendung blutiger Gewalt abzuhalten.
,,Lasst sozialistische Sonne gewaltfrei in Eure Herzen scheinen“ schlägt vor
Rolf Vellay, 5. September 1997
Anmerkungen:
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Hubert Reichel, langjähriger ,,uz“Redakteur, schwärmte in seiner Zeitung noch am 28. Oktober 1994 von einstmals ,,fast 60 000 DKP-Mitgliedern“.
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Vielleicht hat ja Ellen Weber ihr Referat gar nicht gehalten. Jedenfalls fand ich in der ,,uz“ bislang über diese Veranstaltung immerhin des Parteivorstandes keinen Bericht - falls ich nicht etwas übersehen habe. Wir wissen alle, wie schnell das geht.
Quo vadis Deutschland?
Diskussionsbeitrag gehalten auf der Konferenz „Wider den Zeitgeist“, 30./31.1.1999
Wertes Auditorium, die Frage „Quo vadis Deutschland?“ stellte sich mir schon am Nachmittag des 4. November 1989, nachdem ich Zeuge geworden war der Zusammenrottung von hunderttausenden DDR-Bürgern auf dem Alexanderplatz in Berlin, Hauptstadt der DDR. Einige der Drahtzieher dieser dubiosen Veranstaltung waren vermutlich aktiv in engem Kontakt zu interessierten Kreisen in der BRD. Außer ihnen dürften sich nur ganz wenige der Teilnehmenden darüber klar gewesen sein, dass das Ende der DDR schon zu diesem Zeitpunkt und mit dieser Kundgebung unabwendbar war, wenngleich die Masse der Demonstrierenden sicher den trügerischen Parolen zum Opfer gefallen war, es gehe um „eine andere, bessere DDR“.
An der Nahtstelle der beiden Weltsysteme, die sich trotz aller sogenannter „Entspannungsbemühungen“ immer noch hoch gerüstet gegenüber standen, brachten es die Redner fertig, nicht ein Wort zu verlieren über die im Falle einer Destabilisierung der DDR durch den Imperialismus drohenden Gefahren für den Frieden. Garant zu sein für die Sicherung des Friedens in Europa aber war von ihrem Bestehen an die Hauptfunktion der Existenz der DDR als Konsequenz der Schrecken des Zweiten Weltkrieges. Stalin hat ihr diese Aufgabe in die Wiege gelegt, wenn es in seinem Grußtelegramm zur Gründung der DDR vor nunmehr fast 50 Jahren heißt, mit der Entstehung der DDR könne der Frieden in Europa als gesichert betrachtet werden. Wenn es 1945 eine Lehre aus der Geschichte gab, dann die, dass der deutsche Imperialismus stets die Hauptgefahr für den Frieden darstellte – und nachdem als Folge der Sabotage der Westalliierten die durch die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens beabsichtigt gewesene Neutralisierung dieser Gefahr vereitelt worden war, stellte allein die Existenz einer am gesellschaftlichen Fortschritt orientierten DDR eine „Fußfessel des deutschen Imperialismus“ dar, wie ich das später in meinen Publikationen genannt habe.
Die Ereignisse seit 1989 bestätigen die weise Voraussicht Stalins. So lange es die DDR gab, gab es keine kriegerische Auseinandersetzung in Europa! Wohl wuchs die BRD zum „ökonomischen Riesen“ heran, blieb aber letztlich, wie vielfach von den Repräsentanten des BRD-Imperialismus beklagt, politisch, überspitzt ausgedrückt, ein „Zwerg“. Das änderte sich schlagartig mit der Annexion der DDR, die Francois Mitterand und Frau Thatcher aus guten historischen Gründen – leider vergeblich – zu verhindern gesucht hatten. Vor der Weltöffentlichkeit getarnt mit der wohlklingend-harmlosen Formulierung von der „gewachsenen deutschen Verantwortung“ begann der deutsche Imperialismus unverzüglich mit der Durchsetzung seiner machtpolitischen Ziele. Mit einem groß angelegten Betrugsmanöver gelang es dem Duo Kohl-Genscher gegen lediglich zum Schein gemachte Zugeständnisse bei den Maastricht-Verhandlungen, die anderen EU-Staaten auf die von Deutschland bereits vollzogene Anerkennung Sloweniens und Kroatiens festzulegen. Damit aber war der Ausbruch der bewaffneten Auseinandersetzungen im zerfallenden Jugoslawien vorprogrammiert. Zwar musst Herr Genscher, als „der Westen“ schon kurze Zeit später durchschaute, zurücktreten – aber das hinderte den Oberscharfmacher und Kriegstreiber in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Herrn Reißmüller, nicht an der Feststellung in einem seiner Leitartikel, in der Anerkennungsfrage habe sich der Westen „zum ersten Mal nach Deutschland richten müssen“. Das Ergebnis ist bekannt – Krieg in Europa in einem Land, in dem der deutsche Imperialismus nach vierjähriger Besatzung im Zweiten Weltkrieg 1,7 Millionen Tote und riesige materielle Zerstörungen hinterlassen hatte. Der jetzige Jugoslawienkrieg, in dem zur Zeit nur Waffenstillstand herrscht, und noch nicht einmal der im Kosovo, ist aus meiner Sicht eine direkte Folge des Endes der DDR.
Und deshalb musste, um der Sicherung des Friedens willen, die DDR unter allen Umständen in ihrer staatlichen Existenz verteidigt werden, unbeschadet aller inneren Mängel – aber in welchem Staatswesen gibt es die nicht? “Der hat gut reden“, denkt die eine oder der andere vielleicht jetzt, „der hat ja hier nicht gelebt!“ Aber um die Dinge so zu sehen, bedarf es nicht des Lebens in der BRD oder in der DDR, andern bedarf es des Verständnisses, was Imperialismus ist.
Dieses Verständnis ist seit dem XX. Parteitag, beginnend mit Chruschtschows Interpretation von „friedlicher Koexistenz“ und seiner These, dass Kriege nicht mehr unvermeidlich seien, in unseren Reihen mehr und mehr einer schleichenden Auszehrung erlegen bis hin zu der aberwitzig-abstrusen Konstruktion, geboren im Schoße der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, von der „Friedensfähigkeit des Imperialismus“. Dieses offensichtliche Nicht-mehr-Verstehen des wahren Charakters des letzten Stadiums des Kapitalismus hat dazu geführt, dass ein Mann wie Hans Modrow, der vierzig Jahre lang Gelegenheit hatte, im Parteilehrjahr Marxismus-Leninismus zu studieren, nach seinem Besuch in Moskau 1990 die angesichts der realen Kräfteverhältnisse makabre Sentenz von sich gab: „Deutschland - einig Vaterland“ und damit als Ministerpräsident diesen Staat endgültig preisgab.
So wichtig die nationale Frage ist und zeitweilig sogar Vorrang haben kann, bleibt sie letztlich der Klassenfrage doch nachgeordnet. In den 50er und 60er Jahren hätte die Lösung der nationalen Frage durch Herstellung der deutschen Einheit oder später wenigstens einer Konföderation beider deutscher Staaten der Sicherung des Friedens gedient - unter den Bedingungen von 1989/1990befreitc sie den deutschen Imperialismus von seiner „Fußfessel", womit der Weg frei wurde für neue kriegerische Auseinandersetzungen in Europa.
RolfVellay, 31. Januar 1999
Das Ende des "glücklichen Amerika": Kollateralschäden des Imperialismus. Betrachtungen zum historischen Datum des 11. September 2001
Der wahrscheinlich letzte Artikel von Rolf Vellay, geschrieben Ende September 2001, also etwa zwei Monate vor seinem Tod.
Bekanntlich soll man ja mit den großen Worten vorsichtig sein - aber vielleicht werden künftige Historiker doch die Bedeutung des 11. September 2001 so einschätzen, wie J. W. Goethe den 20. September 1792, den Tag der „Kannonade von Valmy". Damals schlugen die im Gefolge der Revolution von 1789 aufgestellten republikanischen französischen Freiwilligenheere die Truppen der monarchisch-reaktionären Mächte Preussen und Österreich, was Goethe mit seinem genialischen historischen Gespür für historische Veränderungen den zum geflügelten Wort gewordenen Ausspruch tun ließ: „Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus und Ihr könnt sagen. Ihr seid dabei gewesen!"
Mit Goethe als „Schlachtenbummler" war sicher nur noch eine Handvoll Beobachter des Epochenwechsels dabei im Zeitalter der Globalisierung wurde an diesem 11. September 2001 gewissermaßen die ganze Menschheit in Echtzeit über Fernsehen und Radio Augen- und Ohrenzeuge eines Geschehens, das, wenn vielleicht keinen weltgeschichtlichen Epochenwechsel, so doch auf jeden Fall eine liefe, tiefe Zäsur in der Geschichte der USA darstellt.
„Heute hat das glückliche Amerika aufgehört zu bestehen", wurde sicherlich zutreffend ein US-Bürger im DLF zitiert. In der Tat, auf dem Gipfel ihrer Macht als der Staat mit dem weit überlegenen, stärksten wissenschaftlichen, militärischen und ökonomischen Potential erfahren die Bürger in „Gottes eigenem Land" zum ersten Mal, was Krieg konkret auf heimischem Boden bedeutet. Das muss das gern und oft, teils naiv, teils provozierend zur Schau getragene Selbstbewusstsein der übergroßen Mehrzahl der US-Amerikaner im Kern treffen. Es ist eben ein Unterschied, ob man „chirurgische Schläge“ ohne eigene Opfer im Krieg gegen den Irak oder gegen Jugoslawien patriotisch interessiert im Fernsehsessel bei Chips und Cola verfolgt, oder ob man selbst wehrlos Kriegshandlungen ausgeliefert ist. Es ist ein Unterschied, ob man weit vom Schuss nebenbei zur Kenntnis nimmt, „aus Versehen“ sei die chinesische Botschaft in Belgrad bombardiert worden, gezielt die lebenswichtige Donaubrücke in Novy Sad versenkt worden und man versucht, den Staatspräsidenten Milosevic „ferngelenkt“ zu ermorden, oder ob ein nationales Wahrzeichen wie das „World-Trade-Center“ in Trümmer sinkt, tausende Mitbürger unter sich begräbt und das Pentagon als Zentrum der militärischen Macht des Landes schutzlos teilweiser Zerstörung ausgeliefert ist. Ungewollt enthüllend und entlarvend lieferte der ARD-Korrespondent Siegried Buschschlüter quasi geradezu eine moralische Rechtfertigung des Angriffs gerade auf das Pentagon, als er am 11. September aus Washington über die hektischen Aktivitäten der Regierungsspitzen berichtete: „Natürlich wird im `Situationsroom´ des Weißen Hauses beraten, das ist der Raum, in dem normalerweise Kriege geplant werden“. Ja, so ist das wohl, und umgesetzt werden die im Weißen Haus beschlossenen Kriegspläne dann im „Pentagon“.
Das Ausmaß des Geschehens übertrifft bei weitem die Dimension dessen, was man bisher unter „Terror“ verstand. Kanzler Schröder hat recht, wenn er von einer „Kriegserklärung“ spricht. Mit dieser Aktion ist dem US-amerikanischen Imperialismus der Krieg erklärt worden an einer Front, an der er offenbar verwundbar ist. Die Opfer der zivilen Bevölkerung New Yorks bezahlen mit ihrem Leiden jetzt die Blutrechnung für die jahrzehntelangen internationalen Verbrechen des Schurkenregimes, das im Weißen Haus, im Pentagon und im CIA-Hauptquartier seine finsteren Pläne schmiedete. Unsere Oberen von Rau bis Schröder wie auch all die anderen in- und ausländischen Repräsentanten der so genannten „freien Welt“ mögen sich ihre Trauertiraden und tränenumflorten Bekundungen der Anteilnahme mit den Opfern sparen – alles reine, pure Heuchelei!
Wo war denn, um nur diese Beispiele des seitens der USA ausgeübten Staatsterrorismus zu nennen – ihre Anteilnahme, als die US-Marines 1990 Panama überfielen, die Armenviertel bombardierten, nur um den einstigen CIA-Agenten Noriega zu fangen! 3.000 – 4.000 Panamesen bezahlten diese Aktion mit ihrem Leben!
Gerade jetzt ist das Buch des US-Journalisten Christopher Hitchins erschienen, in dem der einstmalige US-Außenminister Kissinger zum Kriegsverbrecher gestempelt wird. In der Rezension der FAZ von „Die Akte Kissinger“ am 28. August 2001 heißt es: „Schließlich der Vietnam-Krieg: Hier besteht ein schwerwiegender Anfangsverdacht, dass Kissinger durch die vorsätzlich in Kauf genommene Tötung von Hunderttausenden von Zivilpersonen in Indochina – besonders durch das Bombardement der neutralen Staaten Laos und Kambodscha – zum Kriegsverbrecher geworden ist. Kissinger hat bei den – von ihm mit zu verantwortenden – Einsätzen für militärische Zwecke „Kollateralschäden“ in einer Größenordnung hingenommen, die durch kein Völkerrecht (jus in bello) gedeckt ist.“ Wo war denn da die Anteilnahme der „freien Welt“ am Schicksal dieser Menschen? Aber das war die Zeit, als der Kampf gegen den Kommunismus, gegen das „Reich des Bösen“, jede Untat rechtfertigte!
In dem genannten Buch wird auch belegt, in welchem Maße Kissinger verantwortlich war für den Sturz Allendes und die Installierung des Pinochet-Regimes in Chile, dessen Terror über 3.000 Menschen zum Opfer fielen. Der mutmaßliche Kriegsverbrecher und Staatsterrorist Kissinger aber ist nach wie vor ein international hoch angesehener Mann, der sich gerade wieder in der BRD aufhielt zur Eröffnung der Ausstellung im „Liebeskind-Museum“. Wer die Verbrechen des Herrn Kissinger nicht anklagt, braucht um die Opfer in New York nicht zu trauern!
Wer hat denn hier offiziell protestiert, als die serienweisen Mordanschläge des CIA gegen ein Staatsoberhaupt wie Fidel Castro bekannt wurden? Wer hat sich denn hier empört angesichts des durch die USA praktizierten Staatsterrorismus durch Bombardierung Libyens und des Sudan? Schließlich: Dem Bombardement der in der NATO vereinigten Staatsterroristen „des Westens“ fielen in Jugoslawien 1999 etwa 1.500 Frauen und Männer aus der Zivilbevölkerung, Kinder und alte Menschen zum Opfer – kalt lächelnd und achselzuckend nannte das der berüchtigte Pressesprecher der NATO, Shea, „Kollateralschäden“! Das war es dann, von wegen „Anteilnahme“ und „Trauer“!
Wäre man eines gleichen Zynismus fähig wie Herr Shea, könnte man versucht sein, die Opfer in New York und Washington als „kollaterale Folgeschäden“ der jahrzehntelangen staatsterroristischen Politik des US-Imperialismus im Dienste des großen Kapitals der USA zu sehen. Wer auch immer die Organisatoren dieser als „logistische Meisterleistung“ (DLF, 11.9.’01) bezeichneten Aktion sind, der durchschlagende Erfolg beweist, dass die USA in ihrem Weltbeherrschungswahn auf einem verderblichen Irrweg sind. Tausende Atomwaffen und Raketen, ausreichend als Vernichtungspotential für das Auslöschen der Menschheit, eine für Friedenszeiten weit überdimensionierte Armee, Flotte und Luftwaffe mit Stützpunkten rund um den Erdball, den man durch Satelliten lückenlos bis in den letzten Winkel permanent überwachen kann, ein Netz von Geheimdiensten, das sich die USA 30 Mrd. Dollar im Jahr kosten lassen – all das schützt die USA nicht davor, mit Reaktionen auf ihre zutiefst kriminelle Politik im eigenen Land konfrontiert zu werden. Warum? Weil diese Art der Kriegführung, gestützt auf „logistische Meisterleistungen“ in der Vorbereitung der Aktion und als entscheidende Voraussetzung beruht auf der Bereitschaft der Menschen, bewusst das Opfer des eigenen Lebens darzubringen, um den Feind zu treffen. Ohne das gesamte öffentliche Leben stillzulegen, gibt es dagegen keinen Schutz.
Aber diese in höchstem Maße verzweifelte Form des Widerstandes erwächst nur da, wo Unterdrückung unerträglich wird. Die Geschichte kennt ja andere Beispiele des bewussten Opfertodes. Etwa das des Schweizer Freiheitshelden Wilkenried, der sich 1396 in der Schlacht bei Sempach in die Lanzen der Österreicher stürzte und damit den Weg frei machte für den eigenen Sieg. Unter den vielen Partisanengeschichten, die man mir bei meinen Aufenthalten in Sarajewo in den 80er Jahren berichtete, war auch diese: Ein Bosnier bekam den Auftrag, einen voll mit deutschen Soldaten besetzten LKW durch’s Gebirge zu fahren. In einer scharfen Serpentine steuerte er den LKW mit Vollgas in den Abgrund in der Gewissheit, dass keiner überleben werde – auch er nicht!
Die bedingungslose Bereitschaft zur Selbstaufgabe aber zeigt auch: So überwältigen übermächtig in der modernen Welt die Technik uns auch zu beherrschen scheint – letztlich entscheidet der Mensch, wenn er zu allem entschlossen ist! Für die USA – und ganz allgemein für die imperialistischen Staaten – gibt es angesichts dessen nur einen Schutz: Zu brechen mit der bisherigen imperialistischen Politik der rücksichtslosen Durchsetzung von Profit- und Machtinteressen mit staatsterroristischen Mitteln und Methoden, siehe Panama, siehe Chile, siehe Indochina, siehe Kuba, siehe Irak und siehe Jugoslawien. In weniger direkter Form – aber es könnte sein, dass er aus seiner Perspektive das Gleiche meint wie ich – brachte es der Chefredakteur des Deutschlandfunks, Prof. Dr. Rainer Burchardt, in einem Kommentar zu später Stunde am 11. September mit den Worten zum Ausdruck, angesichts des weltweiten Schocks über die Ereignisse „könne dieser Tag vielleicht auch eine Wende zu größerer globaler Gerechtigkeit werden.
Rolf Vellay, im September 2001
Rolf Vellay ist am 22. 12. 2001 nach schwerer Krankheit gestorben.
Ein kämpferischer, streitbarer und aufrechter Genosse ist von uns gegangen, ein scharfer Analytiker und gleichzeitig ein praxisbezogener Kommunist, kurz, einer von denen, die wir so notwendig brauchen und von denen wir viel zu wenige haben.
Kurt Gossweiler gab uns wichtige Unterstützung, beriet uns und half uns in jeder Hinsicht, um dieses Heft zum Gedenken an Rolf Vellay realisieren zu können. Ohne Kurt wäre das Vorhaben nicht durchzuführen gewesen.
Wir sagen ganz herzlichen Dank.
Im vorliegenden Heft geht es thematisch – nicht ausschließlich, aber vordringlich – um die Frage des deutschen Imperialismus.
Die Texte von Rolf Vellay, die im vorliegenden Heft gesammelt sind, haben wir chronologisch geordnet. Deshalb gibt es thematisch zwar kleine Brüche zwischen den Texten, in ihrer Zusammenfügung ergeben sie aber ein gutes Gesamtbild seines Denkens.
Dem Heft vorangestellt haben wir den „Abschied von Rolf Vellay", den Kurt Gossweiler verfasst hat.
Ein zweites Heft mit Texten von Rolf Vellay erscheint in der Schriftenreihe der KPD, dort geht es schwerpunktmäßig um Texte von Rolf zum Thema „Stalin". Dies zweite Heft ist zu beziehen über: Presse-, Publikations- und Informationsdienst der KPD, Dingelstädter Str. 14, 13053 Berlin
Red. Offensiv, Hannover
Kurt Gossweiler zu Rolf Vellay
Kurt Gossweiler: Abschied von Rolf Vellay
Kurz vor den Weihnachtsfeiertagen, am 22. Dezember des vergangenen Jahres, hat die Krankheit einen Genossen aus unseren Reihen gerissen, - Rolf Vellay - , auf den in vollem Maße die Worte Bert Brechts zutreffen: „Die Stärksten kämpfen ihr Leben lang. Diese sind unentbehrlich.".
Sein Tod ist ein großer Verlust für die kommunistische Bewegung in Deutschland, ein unersetzlicher Verlust für deren noch viel zu schwachen konsequent antirevisionistischen Trupp, und für mich persönlich der schmerzliche Verlust eines Genossen und Freundes, dem ich eines der ermutigendsten Erlebnisse in der bedrückenden Zeit nach dem Sieg der Konterrevolution über die DDR verdanke.
Das war die Zeit, als etliche von meinen Historiker-Kollegen und Genossen, die bisher gar nicht genug ihre Treue zur kommunistischen Sache und zur Deutschen Demokratischen Republik beteuern konnten, überraschend schnell entdeckten, dass jene „demokratischen Sozialisten" Recht hatten, die erklärten, der DDR brauche man keine Träne nachweinen, und die selbst das infame Wort Gysis nicht störte, erst jetzt, nach dem Untergang der DDR, sei Sozialismus zu machen überhaupt erst möglich geworden. Solche bemühten sich - gewöhnlich durchaus erfolgreich - um das „Ankommen in der BRD" und einige von ihnen statteten und statten ihren Dank für die neu gewonnene Freiheit in zahlreichen Artikeln, - manche sogar in Büchern – ab, in denen sie auf ihre Weise den Kinkel-Auftrag zur Delegitimierung der DDR erfüllen; in der Gysi- und Zimmer-Terminologie heißt das:„Abrechnung und völliger Bruch mit der SED-Vergangenheit".
Ein anderer, größerer Teil ist – soweit ich das übersehe – diesem Aufruf zum „völligen Bruch" nicht gefolgt; die zu diesem Teil gehörige Genossen und Kollegen machen deutlich oder lassen wenigstens erkennen, dass sie sich nach wie vor als marxistische Historiker und Sozialisten im Sinne des Manifests von Marx und Engels verstehen; aber ich werde nie vergessen, dass bereits im November 1989 in der Parteiversammlung der Historiker der Akademie der Wissenschaften der DDR die Erklärung, der Marxismus-Leninismus sei die weltanschauliche Grundlage unserer Wissenschaft, erstmals zurückgewiesen und reduziert wurde auf den Marxismus. Der Leninismus als Bestandteil unserer Lehre wurde ersatzlos gestrichen. Meinem Widerspruch dagegen schloss sich niemand an.
Als Marxist-Leninist war ich - und so dürfte es überall gewesen sein - nun auch formal ein einsamer Einzelgänger. Aber faktisch war ich das schon lange: wer in einer Parteiorganisation von Chruschtschow- und Gorbatschow-Anhängern Marxist-Leninist blieb, der war – auch wenn er in allem Anderen fest im Partei- und Arbeitskollektiv verankert war - einsam in seiner Gegnerschaft zu diesen beiden Generalsekretären, die Lenin nur im Munde führten, um die Parteimitglieder und das Volk über ihre wahren Ziele zu täuschen. Er blieb umso mehr einsam, als den beiden - Chruschtschow und Gorbatschow - zu glauben ja auch bedeutete, deren Stalin-Verdammung voll zu verinnerlichen, während für mich deren Stalin-Verdammung nur eine betrügerische Verpackung war, darauf berechnet, ihre antileninistische revisionistische Konterbande als „Rückkehr zum Leninismus" in die kommunistische Bewegung einzuschmuggeln, um sie auf diese Weise reif zu machen für die „Perestroika", den Rückbau der Sowjetunion und ihrer europäischen Verbündeten in das, was sie 1990/91 als Ergebnis ihres zielstrebigen Wirkens geworden sind – „vom Kommunismus befreite".
Spielwiesen für das internationale Kapital und die sich neu bildende mafiose „eigene" Bourgeoisie. Für meine Kollegen und Genossen aber – selbst für jene, die mir besonders nahe standen und in einigen Fällen auch noch heute stehen – ist Stalin das, als was ihn Chruschtschow in seiner Geheimrede auf dem XX. Parteitag dargestellt hat, also ein Massenmörder aus niedrigsten Motiven; und einer wie ich, der nicht Stalin, sondern Chruschtschow und Gorbatschow und ihre politische Linie für die Zerstörung der europäischen sozialistischen Staatenwelt verantwortlich macht, ist ein „Stalinist", also einer, der - unbegreiflicherweise - einen Massenmörder verteidigt.
Also einer, der sich nach der Rückwärtswende mit seinen Ansichten sehr einsam und verloren fühlte in der neuen, ungewohnten Kälte, und verzweifelt Ausschau hielt nach Gleichgesinnten, denn es konnte doch nicht sein, dass es nicht auch andere gab, die sich die Augen nicht verkleben und das Gehirn nicht verkleistern ließen durch das Geschwätz von der "Humanisierung des Sozialismus" vom „Neuen Denken" und dem „Primat des Allgemeinmenschlichen". Es konnte nicht so sein und es war nicht so. Und es bestätigte sich wieder einmal eine alte Erfahrung: es gibt keinen Verlust, und sei er auch noch so groß und schmerzlich, der nicht auch einen Gewinn im Gefolge hat – und sei er im Vergleich zum Verlust zunächst auch nur klein und keineswegs ausgleichend.
Und es bestätigte sich auch etwas anderes: Gleichgesinnte finden mit Sicherheit zueinander, selbst in einem Ozean Andersgesinnter und sogar, wenn sie in unterschiedlichen Welten leben, wenn sie nur diese ihre Gesinnung nicht für sich behalten, sondern Signale dieser Gesinnung aussenden und nach gleichartigen Signalen anderer Ausschau halten.
Was ich allerdings am wenigstens erwartet hatte, war das, was eintrat: dass nämlich das erste so sehnsüchtig erwartete Signal gleicher oder ähnlicher Gesinnung, das ich auffing, von einer Pfarrerin kam, und dass ich durch ihre Vermittlung einen Kreis von Theologen kennen lernte, die sich in den Werken von Marx, Engels und Lenin nicht schlechter auskannten als meine Historiker-Kollegen und Genossen, im Unterschied zu vielen von denen aber im Sieg der Konterrevolution und was die Herrschenden aus diesem Siege machten, keine Widerlegung, sondern eine Bestätigung der Lehren des Marxismus-Leninismus erkannten. Hier fand ich vor, was ich vorher für ausgeschlossen hielt: dass nämlich Theologen nicht nur fähig waren, intellektuell die Gesellschaftslehre von Marx/Engels/Lenin aufzunehmen und zu akzeptieren, sondern dass diese Lehre in engster Verbindung mit ihrem christlichen Glauben für sie ein fester Bestandteil ihrer Weltanschauung und Anleitung zum persönliches gesellschaftlichen Handeln werden kann.
Die Entdeckung dieses Kreises und diese neue Erkenntnis waren ein unerwarteter Gewinn im Gefolge der Niederlage. Und womit ich auch nie gerechnet hatte: Ausgerechnet dieser Kreis eröffnete mir die Möglichkeit, meinerseits „Signale" auszusenden, will sagen, meine Gedanken und Auffassungen über die Ursachen unserer Niederlage zu publizieren, nachdem mir dafür keine anderen Möglichkeiten mehr zur Verfügung standen, (schon gar nicht in den Organen der PDS, deren Mitglied zu bleiben ich bis Januar 2001 aushielt).
Diese meine Signale blieben nicht unbeachtet. Sie gelangten auch bis München und zu den dort wirkenden Genossen des „Arbeiterbundes für den Wiederaufbau der KPD", deren eine Fraktion eine Zeitung, die „KAZ" (Kommunistische Arbeiterzeitung) herausgab, und führten dadurch schließlich „gesetzmäßig" dazu, dass auch Rolf Vellay in mein Blickfeld geriet, und zwar mit einem Artikel von ihm mit dem Titel: „Zurück zu Stalin!" in der Beilage zur „KAZ", Nr. 219 vom 18.Juni 1991.
Über das, was ich da aus Rolfs Feder las, konnte ich nur hocherfreut staunen: besser hätte auch ich nicht meine Position zur „Stalinfrage" in Worte fassen können: „Lächerlich und absurd ist es, heute, nahezu vierzig Jahre nach seinem Tod, Stalin, dem erfolgreichen Architekten ...des Sozialismus in der Sowjetunion und dem Sieger über den Faschismus, die Verantwortung für den heutigen kläglichen und jämmerlichen Zusammenbruch aufbürden zu wollen.
Natürlich weiß ich, welchen Widerspruch ich mit dem Rekurs auf Stalin provoziere. Doch – den klugen Theoretikern, die mir vom Wissen her zehn- oder zwanzigmal überlegen sind, gebe ich zu bedenken: Ihr seid alle gescheitert, von Titos ‚Jugoslawischem Weg zum Sozialismus’ über die ‚Eurokommunisten’ bis zu den Konstrukteuren der ‚antimonopolistischen Demokratie’, von den Quacksalbereien über den ‚Dritten Weg’ und ‚Demokratischen Sozialismus’ gar nicht zu reden. Stalin ist nicht gescheitert!
Den Moralisten gebe ich ein kluges Wort von Winston Churchill zu bedenken, zitiert in der FAZ vom 6. September 1990: `Wenn die Gegenwart über die Vergangenheit zu Gericht zu sitzen versucht, wird sie die Zukunft verlieren.’ Damit wird genau das getroffen, was den Kommunisten seit der Verdammung Stalins aus `moralischen Gründen´ auf dem XX. Parteitag der KPdSU widerfahren ist.
Und den Hochmütigen und Arroganten gebe ich zu bedenken: Vor anderthalb Jahren noch habt ihr Herrn Gorbatschow bei seinem Besuch in der Bundesrepublik als ‚Schöpfer des Neuen Denkens’ begrüßt und quasi wie einen neuen ‚Messias des Sozialismus’ gefeiert. Ich habe bereits vor drei Jahren auf der ‚Perestroika’-Konferenz des IMSF in Frankfurt erklärt: <
Später – ich weiß nicht mehr, in welchem Jahr, aber ich empfand es als ein Glücksjahr für mich – lernten wir uns zur beiderseitigen Freude auf einer Konferenz des Marxistischen Arbeitskreises zur deutschen Arbeiterbewegung in Berlin-Kreuzberg auch persönlich kennen. Nach der Konferenz saßen wir noch Stunden in einer nahegelegenen Kneipe. Ich sagte ihm, wie glücklich ich darüber war, einen Genossen getroffen zu haben, der, weit entfernt unter den ganz anderen Bedingungen Westdeutschlands lebend, bei der Beurteilung der Entwicklungen im sozialistischen Lager und insbesondere in der Sowjetunion zu einer verblüffenden und beglückenden Übereinstimmung mit meinen eigenen Einschätzungen gekommen ist; und natürlich wollte ich wissen, wie sein Weg in der kommunistischen Bewegung verlaufen ist, der ihn zu solchen „abwegigen" und zum „Einzelgänger" stempelnden Ansichten gebracht hat.
Er erzählte also aus seinem Leben, und was ich da zu hören bekam, hat meinen Eindruck, es bei ihm mit einem ganz außergewöhnlichen Menschen zu tun zu haben, zur Gewissheit werden lassen. Seine Erzählung hat auch Antwort auf eine Frage gegeben, die sich mir beim Betrachten seiner Hände aufgedrängt hatte: Das waren nicht die Hände eines, dessen Werkzeug die Feder oder die Schreibmaschine ist – wie ich bisher wegen der auf einen Journalisten wenn nicht gar auf einen Schriftsteller schließen lassenden Sprache seiner Artikel angenommen hatte, - sondern von schwerer Maloche gezeichnete Arbeiterhände. Die aber waren ihm nicht angeboren, wie ich jetzt erfuhr, nein, die hatte er sich hart erarbeitet, nachdem er sich zum Bruch mit seiner Klasse, in die ihn seine Eltern hineingeboren hatten, entschlossen hatte. Denn er war – und das kam nun für mich völlig unerwartet – der Spross einer Offiziers- und Grundbesitzerfamilie aus dem Schlesischen. Natürlich fragte ich ihn, wie denn so einer zum Kommunisten wird.
Als Jugendlicher folgte er noch ganz der Tradition der Familie, indem er 1944 mit 17 Jahren als Freiwilliger in Hitlers Armee eintrat. Nach dem Kriege entschloss er sich dazu, Journalist zu werden und volontierte zunächst an einem bayerischen Provinzblatt und stieg dort sogar zum Redakteur auf. Dann aber drängte es ihn dazu, sich durch ein Studium eine solidere Wissensgrundlage zu verschaffen. Er begann also 1950 ein Studium an der damaligen Hochschule für Arbeit, Politik und Wirtschaft in Wilhelmshaven und hatte das Glück, dort auch Schüler von Wolfgang Abendroth sein zu können, und das gab den Anstoß dafür, dass er Marx und Engels studierte und zum überzeugten Kommunisten wurde.
Die Konsequenz, die er daraus zog, zeigt, dass dieser Rolf Vellay aus einem ganz besonderen Holz geschnitzt war. „Wie aber konnte ich Kommunist sein", sagte er mir, „und den Leuten erzählen, dass die führende Rolle im Kampf um den Sozialismus der Arbeiterklasse zukommt, ohne selbst richtig zu wissen, was das ist: die Arbeiterklasse!" Um diesen Mangel zu beheben, beschloss er, selbst als Arbeiter zu arbeiten; aber wenn schon Arbeiter, dann auch gleich dort, wo das Proletariat am proletarischsten ist: als Bergarbeiter! So wurde er 1953 Bergarbeiter unter Tage im Ruhrgebiet, und blieb dem Bergbau rund 25 Jahre lang treu, bis zu seinem Ausscheiden im Jahre 1977.
Natürlich wurde der Kommunist Rolf Vellay auch Mitglied der KPD, blieb es selbstverständlich auch nach deren Verbot im Jahre 1956 und lernte durch mehrfache Verhaftungen auch die Gefängnisse der Bundesrepublik für insgesamt ein Jahr kennen. Der DKP trat er nach deren Gründung nicht bei, sondern blieb „parteiloser Bolschewik." Und zwar einer, für den es in einem ganz seltenen Grade unerträglich gewesen wäre, in seinem Leben eine Kluft zwischen Wort und Tat zuzulassen.
Von unserem Gespräch in der Kreuzberger Kneipe an blieben wir in ständigem Gedankenaustausch, zumeist schriftlich, aber wenn es sich bei seinen Berlin-Besuchen möglich machen ließ, auch wieder im persönlichen Gespräch.
Rolf schien mir über ein unerschöpfliches Kräftereservoir zu verfügen. Wo immer es eine Konferenz von Kommunisten mit der Möglichkeit gab, dort seine Positionen – stets kämpferisch, oft bewusst herausfordernd -, vorzutragen, nahm er diese Möglichkeiten wahr.
Sein Lebensinhalt war der Kampf für die Wiederherstellung einer großen, einheitlichen marxistisch-leninistischen, vom Opportunismus und Revisionismus völlig befreiten Kommunistischen Partei in Deutschland.
Er litt schwer unter der Zersplitterung und Uneinigkeit der kommunistischen Bewegung, und er litt auch unter der Diffamierung der DDR und darunter, dass dieser Diffamierung nicht von allen Kommunisten entschieden entgegengetreten wurde. Gegen beides – die Uneinigkeit und die Diffamierung der DDR – führte er einen ständigen Kampf, wobei er auch auf originelle Ideen kam, die kaum einem anderen Kopf eingefallen wären und die zu verwirklichen auch kaum einem anderen parteilosen Kommunisten ohne jede organisatorische Verankerung in einer der verschiedenen Kommunistischen Parteien und Vereinigungen gelungen wäre. Denn auch das gehörte zu den ihn auszeichnenden Besonderheiten: seine Auseinandersetzungen mit kommunistischen Genossen, so scharf sie auch in der Sache waren, überschritten nie die Grenze der genossenschaftlichen Diskussion , ließen nie den Ton einer Auseinandersetzung mit dem Feind aufkommen, ließen immer den Respekt vor der Persönlichkeit des anderen erkennen.
Nur so lässt sich erklären, dass ihm gelang, aus Anlass seines 65. Geburtstages eine Diskussionsrunde aus Vertretern von Organisationen an einem Tisch zu vereinen, die sich sonst aus dem Wege gingen, wenn die eine die anderen nicht gar wütend bekämpfte. Auf seine Einladung hin fand am 19.September 1992 in Gelsenkirchen ein Streitgespräch zum Thema „War die DDR sozialistisch?" statt, zu dem einen „Vorspruch aus der Ferne", nämlich aus Marburg, Georg Fülberth beisteuerte, und dessen Leitung kein Geringerer als Hans Heinz Holz übernommen hatte. Teilnehmer am Streitgespräch waren: Willi Gerns für die DKP, Klaus Arnecke von der MLPD, Michael Brücher für den Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD, Heinz Jung , ehemals DKP, jetzt zur PDS übergewechselt, und Egon Schansker, damals für die KPD/ML-Westberlin.
Die MLPD war von Rolf eingeladen worden, weil er ihre Verurteilung des Chruschtschow-Revisionismus teilte und ihn auch eine persönliche Freundschaft mit Stefan Engel, ihrem Vorsitzenden verband; aber er teilte ganz und gar nicht die von der MLPD im Unterschied etwa zum Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD stur und unbelehrt durch die Konterrevolution in der DDR beibehaltene sektiererische Position, nach der die DDR längst ein kapitalistischer Staat gewesen und ihre Annexion durch die BRD als Wiederherstellung der Einheit Deutschlands zu begrüßen sei.
Rolf erhoffte sich durch das von ihm arrangierte Streitgespräch wohl auch, dass die MLPD, für die er trotz allem noch immer eine vielleicht etwas sentimentale Sympathie empfand, von ihrer für ihn absolut unakzeptablen DDR-Feindschaft befreit werden könnte. Eine solche Hoffnung aber blieb unerfüllt. Das Gelsenkirchener Streitgespräch aber war eine denkwürdige Veranstaltung, und die Lektüre ihrer von Rolf im Eigenverlag herausgegebenen Dokumentation mit dem Titel: „War die DDR sozialistisch?" lohnt auch heute noch.
Wie sehr Rolf daran lag, gegen die von der MLPD bis zur PDS geübte Verleumdung der Deutschen Demokratischen Republik anzugehen, ist besonders aus dem von ihm gehaltenen Eröffnungs-Referat der Konferenz „Auferstanden aus Ruinen – über das revolutionäre Erbe der DDR" zu ersehen, die im 50. Jahr seit Gründung der DDR, im November 1999, in Berlin durchgeführt wurde. Sein Thema lautete: „Der sozialistische Charakter der DDR". Das Referat kann nachgelesen werden in dem gleichnamigen Protokollband der Konferenz. Rolf beendete dieses Referat mit den Worten:
„Die DDR war nicht das ‚bessere Deutschland’, sie war das gute Deutschland." Und dann fügte er dem noch die Worte an, die ihm Peter Hacks geschrieben hatte: „Die DDR war eine Epoche weiter, und bleibts."
Wer die Artikel und Diskussionsbeiträge von Rolf liest, dem wird vielleicht auffallen, wie oft er dort aus bürgerlichen Gazetten, vor allem aber aus dem „Zentralorgan" des deutschen Monopolkapitals, der „FAZ", der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", zitiert. Als kluger marxistisch-leninistischer Propagandist wusste er, dass eines der wirkungsvollsten Mittel der Überzeugungsarbeit darin besteht, unsere Wahrheiten durch den Gegner aussprechen zu lassen. Rolf hat seine Freunde immer wieder mit der Zusendung von Zeitungsausschnitten aus der FAZ überrascht, die in manchmal ganz erstaunlicher Offenheit die Richtigkeit unsere Kapitalismusanalysen und die Berechtigung unserer Imperialismus-Anklagen bestätigten.
Rolf war aber alles andere als ein intellektueller Stubenhocker. Er liebte vor allem das Gespräch mit den sogenannten „einfachen Leuten". Und wenn andere Leute sich ihre Erholung im Urlaub durch Ausruhen und Vermeidung von Anstrengungen suchten, dann tat er das genaue Gegenteil: er verwandelte sich für einige Wochen aus dem Bergmann in den Saisonarbeiter in den Weinbergen Frankreichs. Zur Zeit der Weinernte reiste er zu seinen französischen Winzer-Freunden und half ihnen beim Einbringen der Weintrauben. Das war für ihn eine echte Erholung, und als er in den letzten beiden Jahren infolge seiner durch die Krankheit geschwächten Kräfte dazu nicht mehr in der Lage war, fehlte ihm das sehr. Auch deshalb, weil er durch und durch Internationalist war.
Gegen jeden Anflug von deutschem Nationalismus war er hochempfindlich. Er korrigierte Dich z. B. sofort, wenn Du den Namen einer zu Polen gehörenden ehemals deutschen Stadt nicht bei ihrem polnischen, sondern mit ihrem deutschen Namen benanntest.
Aber es genügte ihm nicht, den Internationalismus zu propagieren, er musste ihn auch leben. So ging er 1985 mit einer Arbeitsbrigade für drei Monate nach Nikaragua, das nach dem Sturz der Somoza-Diktatur 1979 durch die sandinistische Revolution infolge der ständigen Angriffe der von den USA gesteuerten Contras in wachsende Schwierigkeiten geraten war und dringend solidarischer Unterstützung bedurfte.
1996 nahmen wir beide an der Internationalen Maifeier der Partei der Arbeit Belgiens und an dem anschließenden internationalen Seminar teil und waren vom Erlebnis der internationalen Gemeinschaft von Kommunisten aus aller Welt tief und freudig beeindruckt. Er hat die Verbindung zu den belgischen Genossen weiterhin aufrechterhalten.
Besonders starke solidarische Bindungen empfand er für die chilenischen Genossen. Er organisierte für Freunde in Chile Solidaritätslieferungen und unternahm in jedem seiner beiden letzten Lebensjahren eine Reise nach Chile, wobei er nicht versäumte, auch Margot Honecker zu besuchen und ihr Grüße aus der Heimat zu übermitteln.
Rolf Vellay hat uns in seinen zahlreichen Schriften und Reden einen wertvollen Schatz marxistisch—leninistischer Analysen und Wegweisungen hinterlassen. Die Arbeit, die mich am stärksten beeindruckte, hat er 1989 im Selbstverlag herausgebracht und gab ihr den Titel:
„Das andere Gorbatschow-Buch, der aktuelle Reader: ‚Mehr Sozialismus’ mit Gorbatschow? Vier Jahre ‚Perestroika’ ‚Glasnost’ und ‚neues Denken’ – was hat’s gebracht? Eine marxistisch-leninistische Analyse (nicht nur) für Kommunisten."
Ich kenne keinen, der zu diesem Zeitpunkt – Mitte 1989 – schon eine so gründliche und entlarvende Darstellung des Wesens Gorbatschows und seiner Politik gegeben hätte.
Im Vorwort zu dieser Arbeit schrieb Rolf Vellay:
„Mehr als 35 Jahre habe ich der Politik und den Aussagen ‚des Kreml’ – bei durchaus kritischer Haltung im Detail – von meiner marxistisch-leninistischen Grundposition aus, vertraut. Von Stalin über Chruschtschow bis zu Andropow und Tschernenko. Angesichts des Umstandes, dass heute alles, was bisher war, kurz und klein geschlagen und die gesamte Vergangenheit der Sowjetunion auf den Kopf gestellt wird, bin ich endlich gezwungen, nur noch von meinem eigenen kleinen Kopf Gebrauch zu machen. Wenn ich der neuen Sicht der Geschichte folge, - wenn! -, dann ist mein Vertrauen in der Vergangenheit schandbar missbraucht worden. Das soll mir auf meine alten Tage im Hinblick auf gegenwärtige Politik nicht wieder passieren. Das bin ich auch all den Menschen schuldig, die mir auf meinem politischen Lebensweg vertraut haben und denen gegenüber ich heute, wenn ich den ‚neuen’ Sicht der Geschichte folge – wenn! – als Lügner dastehe. Ab sofort zählen nicht mehr Ankündigungen und Versprechen, sondern nur noch ‚facts and figures’, aus denen ich nach meiner Überlegung und Lebenserfahrung sich ergebende Schlussfolgerungen ziehe und Beurteilungen ableite – auf die Gefahr hin, dass ich allein mit meiner Meinung bleibe. Aber das ist nicht schlimm – wenn ich Unrecht habe, werde ich als Tropfen im Ozean kein Unheil anrichten. Habe ich aber Recht und mache nicht den Mund auf, ist es unverzeihlich und verantwortungslos gegenüber der Sache, der ich glaube zu dienen."
Mit diesen Worten hat sich Rolf selbst besser charakterisiert, als es irgend ein anderer könnte.
Wenn es gelänge, seine Arbeiten den jungen Leute in die Hand zu drücken, die heute nach Antwort auf die Frage suchen: In was für einer Welt leben wir denn? Und was muss man tun, um zu einer menschenwürdigen Welt zu kommen?, dann könnte das ein kleiner Beitrag dazu werden, dass die für dieses Land und seine Menschen so notwendige Erfüllung von Rolfs dringendstem Wunsch nach der Wiedergeburt einer starken, einheitlichen, fest auf den revolutionären Positionen von Marx, Engels und Lenin stehenden kommunistischen Bewegung in Deutschland durch die Gewinnung neuer, jugendlicher Kämpfer ein wenig beschleunigt wird.
Deshalb freue ich mich sehr darüber, dass die Herausgeber von „Offensiv" und der Schriftenreihe der 1990 in Berlin gegründeten Kommunistischen Partei Deutschlands den Entschluss fassten, Rolf Vellay zu ehren, indem sie es möglich machten, seinen Gedanken in je einem Sonderheft zur weiteren Verbreitung zu verhelfen.
Kurt Gossweiler, Berlin
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Die Notwendigkeit einer revolutionären Antikriegsopposition
Das neue Jahrtausend wird eines der imperialistischen Kriege sein. Kapitalistische Zivilisation ist Barbarei. Wir RevolutionärInnen sind eine Minderheit in Deutschland. Das werden wir auch noch eine lange Weile bleiben. Aber das darf für uns kein Grund sein, inaktiv zu bleiben oder uns anzupassen. Und zur Anpassung würde auch eine schwammige "Friedensposition" a la PDS führen. Ich habe hier einige Punkte ausgearbeitet, die für die programmatische Ausrichtung einer revolutionären Antikriesgopposition wichtig ist. <
Der Hauptfeind steht im eigenen Land!
Für viele Linke scheint der US-Imperialismus das Hauptproblem zu sein. Die Beteiligung der BRD an imperialistischen Kriegen ist für diese Leute nur ein Problem der übertriebenen Bündnistreue. Die materiellen Interessen der deutschen Bourgeoisie werden bei dieser Art von "Analyse" ebenso unterschlagen, wie die großen Erfolge des deutschen Imperialismus seit 1989. Es ist richtig, die USA ist ein ungleich mächtiger Nationalstaat als Deutschland. Aber wir leben hier in diesem Land und wir haben verdammt noch mal die Pflicht den deutschen Imperialismus genau zu analysieren. Damit wir wissen, wen wir da eigentlich bekämpfen wollen und müssen.
Die deutsche Bourgeoisie hat aus ihrer Vergangenheit gelernt, sie legt sich nicht mehr mit ihren mächtigen Klassenbrüdern in Europa und der USA kriegerisch an, sondern suchte und sucht das Bündnis zu ihnen. Innerhalb und durch dieses Bündnis betreibt die BRD sehr erfolgreich imperialistische Politik. Keine europäische Macht konnte aus dem Rückzug des sowjetischen Imperialismus aus Osteuropa und dem Zusammenbruch des Staatskapitalismus so viel Kapital schlagen wie die BRD. Sie schluckte die DDR und revidierte damit ein wichtiges Ergebnis des zweiten Weltkrieges. Während diese Annexion noch friedlich verlief, forderte das Eingreifen des deutschen Imperialismus auf dem Balkan ungleich mehr Tote.
Keine andere Großmacht hat von Anfang an eine so aggressive Politik gegen Serbien/Jugoslawien betrieben wie Deutschland. Die marktwirtschaftliche Transformation des jugoslawischen Staatskapitalismus verschärfte die Konkurrenz innerhalb der bürokratisch herrschenden Klasse Jugoslawiens. Diese Konkurrenz war und ist die politische Ökonomie des Nationalismus in Jugoslawien. Die kroatischen, serbischen, slowenischen usw. BürokratInnen schürten im eigenen Machtinteresse den Nationalismus. Der BRD-Imperialismus unterstützte dabei ganz konsequent alle Nationalismen die sich gegen den serbischen Nationalismus richteten. Deutschland unterstütze auch das reaktionäre Kroationen. Auch mit dem reaktionären großalbanischen Nationalismus, hatte Deutschland keine Der US-Imperialismus war bis Oktober 1998 in seiner Haltung zum albanischen Nationalismus noch gespalten. Aber der BND setzte von Anfang an auf die albanische Karte, er unterstütze die UCK, als diese von der CIA noch als terroristische Organisation gewertet wurde. Der US-Imperialismus hatte sich im Oktober 98 auch deshalb für Krieg entschieden, um in Konkurrenz zur BRD seine Macht in Europa zu demonstrieren, indem er die Zerstörung Jugoslawiens nicht mehr der Initiative Deutschlands überließ.
Der Krieg gegen Afghanistan wird ebenfalls auch in deutschem Interesse geführt. Der "realsozialistische" Staatskapitalismus wurde vpm "freien Westen" besiegt, jetzt muß der ehemaligen "dritten Welt" gezeigt werden, wer der Herr im Haus ist. Bin Laden war ein einstiger Verbündete der bürgerlichen Demokratiengegen den sowjetischen Imperialismus in Afghanistan. Nun muß er zurechtgestutzt werden. Wenn sich der deutsche Imperialismus am Kriegsabenteuer der USA beteiligt, kann er nur eine untergeordnete Rolle spielen. Beteiligt er sich nicht, spielt er gar keine.
Internationalismus
Der Leninismus hat durch seine Parole "vom nationalen Befreiungskampf der vom Imperialismus unterdrückten Völker" den proletarischen Internationalismus durch bürgerlichen Nationalismus ersetzt. Die Behauptung Lenins, daß die "nationale Selbstbestimmung unterdrückter Nationen" der sozialen Revolution der ArbeiterInnenklasse dienlich sei, hat sich klar als falsch erwiesen. Der Nationalismus "unterdrückter Nationen" dient allein der herrschenden Klasse dieser Nationen, er strebt danach, die "nationale" Lohnarbeit ohne "fremde" Einmischung auszubeuten. Der leninistische Nationalismus diente nur der bürgerlichen/antikolonialen Revolution und dem Staatskapitalismus. Seit dem Bankrott des Staatskapitalismus und seiner Ideologie, dem Leninismus, dient er einzig und allein der Verschleierung imperialistischer Kriege. "Hoch die internationale Solidarität" ist ein gängiger Spruch auf jeder Antifademo. Aber viele, die das begeistert ausrufen, sind keine InternationalistInnen, sondern kleinbürgerliche MoralistInnen. Egal ob sie als "Antideutsche" dem israelischen Staat die Treue halten, oder als LeninistInnen-StalinistInnen den "palestinensischen Befreiungskampf" hochjubeln oder mit dem staatskapitalistischen Ostblock in nekrophiler Liebe verbunden sind und um die gebliebenen Staaten Kuba und China einen mythischen Kult aufbauen -stets sind sie NationalistInnen, zwar in Gegnerschaft zum eigenem Staat, aber vom proletarischen Internationalismus meilen-weit entfernt. Denn die sentimentale Verbundenheit mit dem israelischen Staat stärkt das dortige Zwangskollektiv aus Kapital und Arbeit und den zionistischen Rassismus und Imperialismus gegenüber den arabischen Massen; der "palestinensische Befreiungskampf" nutzt nur den arabischen Oberschichten; "Solidarität mit Kuba" ist unsolidarisch mit der vom Staatskapitalismus ausgebeuteten kubanischen ArbeiterInnenklasse usw. Wir stellen dem Imperialismus der mächtigen Industriestaaten nicht den nationalistischen Wahn ihrer Opfer gegenüber, wie das ein Teil der bürgerlichen Linken betreibt, sondern den proletarischen Internationalismus aller Lohnabhängigen.
Der Nationalbolschewik Werner Pirker hat in der "jungen Welt" die Afghanen zum nationalen Befreiungskampf aufgerufen. Die Nordallianz hat er schon als nationalen Veräter ausgemacht. Pirker bekommt es fertig im gleichem Atemzug den afghanischen Nationalismus zu schüren und gleichzeitig positiv auf "zivilisatorische Errungenschaften" des sowjetischen Imperialismus in diesem Land zu verweisen. Richtig, wenn mensch die damalige prosowjetische afghanische Regierung mit den heutigen reaktionären Taliban-Mob vergleicht... Aber die Wahl zwischen zwei Übeln ist eine schlechte Wahl. Die UdSSR verkörperte gegenüber Afghanistan damals bürgerlichen "Fortschritt".
Militarismus und (klein)bürgerlicher Pazifismus
Der erste Krieg des deutschen Imperialismus nach 1945 wurde von ehemaligen PazifistInnen geführt. Wer eignet sich auch besser zur Führung von Kriegen als ehemalige "Friedesbewegte". Die kleinbürgerliche Friedensbewegung war noch nie besonders antikapitalistisch. Der größte Teil verteidigte in den 80er Jahren den kapitalistischen Frieden gegen das "atomare Inferno".
Der kleinbürgerliche Pazifismus sieht die Diplomatie als Alternative zum Krieg. Unsinn! Die bürgerlichen Nationalstaaten greifen in ihrer imperialistischen Konkurrenz nur solange zur Diplomatie, wie sich ihr Hunger "friedlich" stillen läßt. Außerdem bereitet die Diplomatie imperialistische Kriege vor. Der Pazifismus sieht in Institutionen wie der UNO Organe zur Aufrechterhaltung des Weltfriedens. Unsinn! Eine internationale Organisation bürgerlicher Nationalstaaten ist niemals in der Lage die kapitalistische Konkurrenz, aus dem der imperialistische Krieg erwächst, aufzuheben. Außerdem ist die UNO der NATO hilflos unterlegen. Die NATO-Staaten setzten sich schon im Krieg von 1999 selbst über die bürgerlichen Rechtsnormen hinweg. Die deutsche rot-grüne Bundesregierung handelte zum Beispiel gegen das Grundgesetz, welches ein Angriffskrieg ver-bietet. Alle NATO-Staaten handelten gegen das geschriebene Völkerrecht, welches ein Selbst-Mandat zum Angriffskrieg ausdrücklich ablehnt. Nur die UNO ist dazu berechtigt. Das schreiben wir nicht, weil wir wie das kleine Licht Gregor Gysi VerfechterInnen des UNO-Gewaltmonopols sind, sondern weil wir demonstrieren wollen, daß Millosevics RichterInnen nicht ihr eigenes geschriebenes Völkerrecht anerkennen. Das brauchen sie auch nicht. Denn die NATO verkörpert nach dem Untergang des sowjetischen Staatskapitalismus das wirkliche Völkerrecht. Die NATO ist die Weltpolizei der US-amerikanischen und westeuropäischen Bourgeoisie.
Nachdem Bündnis 90/ Die Grünen offen in das Lager des Militarismus übergegangen sind, ist die PDS die stärkste Kraft des kleinbürgerlichen Pazifismus. Eine innerlich hohle Kraft! Schon während des Jugoslawienkrieges hielt die Koalition zwischen der "konsequent antimilitaristischen" PDS und der "Kriegspartei" SPD in Deutschlands Armenhaus Mecklenburg-Vorpommern auch den härtesten Bombenhagel aus. Für den Medienstar Gregor Gysi war der NATO-Krieg gegen Jugoslawien nur ein Moment, der die Beziehungen zu Schröder und Fischer vorübergehend etwas komplizierter gestaltete: "Da meine Angriffe auf Bündnis 90 /DIE GRÜNEN und SPD -zumindest in der Regel -nicht so scharf sind wie früher, als sie sich gegen CDU/CSU und FDP richteten, fällt es den Vertreterinnen und Vertretern der heutigen Regierungsparteien andererseits leichter, damit toleranter umzugehen. Eine Ausnahme gab es beim Krieg gegen Jugoslawien..."( Gregor Gysi, Ein Blick zurück, ein Schritt nach vorn)
Und wie sieht es beim gegenwärtigen Krieg gegen Afghanistan aus?Die Grünen zieren sich noch ein wenig, aber am Ende werden sie schon mitmarschieren. Die PDS sprach sich auf ihrem letzten Parteitag in übergroßer Mehrheit für eine "kritische Solidarität" mit dem US-Imperialismus aus. Sie billigt den "Kampf gegen den Terrorismus", aber nicht die Mittel. Und wieder ist ihr die Frage des Krieges nicht wichtig genug -Mitregieren ist wichtiger! So buhlte Gysi am 21. Oktober 2001, dem Wahltag in Berlin, um die Gunst der SPD. Er argumentierte, daß ja nicht die Landesregierung in der Kriegsfrage entscheide. Der Übergang vom bürgerlichen Pazifismus zum Militarismus ist sehr fließend, wie wir am Beispiel der Grünen gesehen haben. Der demokratische Sozialismus befindet sich in dieser Frage noch in der Grauzone. Aber wenn die PDS in ihrer Anpassung an die Herrschenden, weiter so ein Tempo vorlegt, wird sie bald die Grünen überholen ohne einzuholen (frei nach Walter Ulbricht). Gysi gibt sich jedenfalls die größte Mühe. Seine ganze bisherige Politik geben der Vermutung anlaß, daß er selbst einen Joschka Fischer in den Schatten stellen könnte, wenn er eines Tages einen Ministerposten aus den Händen der deutschen Bourgeoisie und ihren sozialdemokratischen Charaktermasken bekommt. Die Kritik der IG-Metallführung an Schröders Kriegskurs bleibt im pazifistischen und nationalistischen ("übertriebene Bündnistreue")Rahmen.
Orientierung auf eine neue ArbeiterInnenbewegung
Eine revolutionäre Antikriegsopposition darf sich nicht auf den kleinbürgerlichen Pazifismus stützen. Ihr Ziel muß es sein die Weltbourgeoisie zu entmachten. Das geht nur auf revolutionärem Wege. Unser Ziel in Deutschland kann also nur sein, die soziale Revolution hier vorzubereiten. Eine schwierige und langwierige Aufgabe. Die alte ArbeiterInnenbewegung, Sozialdemokratie, Gewerkschaften und die ML-Organisationen sind total verbürgerlicht. In den "linken" Parteien herrscht wie in den rechten eine bürokratische Ponzenschicht. Die Gewerkschaften sind national-bürgerliche Organisationen der Sozialpartnerschaft, und wenn die Führung doch mal zum "Klassenkampf" gezwungen wird, dann so, daß es den "ArbeitgeberInnen" nicht weh tut. Mit den alten Organisationen der ArbeiterInnenbewegung ist weder eine proletarische Antikriegsbewegung aufzubauen, noch die soziale Revolution vorzubereiten. Sie sind zu einem absoluten Hindernis geworden.
Was ist die Lösung? Der spontane Klassenkampf der lohnabhängigen Bevölkerung! Viele Menschen machen einen großen Fehler: sie unterschätzen die Wandlungsfähigkeit des Bewußtseins der ArbeiterInnenklasse. Sie sagen: "Der Großteil der ArbeiterInnen denkt doch total bürgerlich." Richtig! In der stabilen Klassengesellschaft kann die lohnabhängige Bevölkerung gar kein revolutionäres Bewußtsein haben. Es ist aber die Realität des Kapitalismus, der die ArbeiterInnen zum Kampf zwingt. Der Klassenkampf verändert dann daß Bewußtsein der Klasse. Beispiel: 1914 ließ sich die europäische ArbeiterInnenklasse noch gegenseitig nationalistisch verhetzen. Doch der Schrecken des imperialistischen Krieges war die beste Agitation gegen ihn. Es entwickelte sich eine gewaltige Antikriegsbewegung, der zum Vorläufer der Rätebewegung in vielen Ländern Europas führte. Die Rätebewegung in Deutschland wurde von der Sozialdemokratie, die in der UdSSR vom Bolschewismus liquidiert.
Für einen spontanen Klassenkampf außerhalb und gegen den DGB sind heute weder die subjektiven noch objektiven Bedingungen vorhanden. Sie müssen erst reifen. Der wilde Streik bei Opel/Rüsselsheim im Juni 2000 zeigt aber in die richtige Richtung. Übrigens gab es in der Geschichte der BRD schon 1969 ein gewaltiges Erwachen der bundesdeutschen ArbeiterInnenklasse: "In der westdeutschen Linken zeichnete sich bereits zur Zeit der sogenannten antiautoritären Phase der Studentenrevolte und der APO-Bewegung (Außerparlamentarische Opposition, Anmerkung des Autors) ein verstärktes Interesse für die unorganisierten Arbeiter ab. Dieses Interesse bestand ursprünglich vornehmlich, um mit den Arbeitern eine ähnliche Solidarität in den Aktionen herzustellen oder zu erreichen, wie sie etwa im Pariser Mai von 1968 oder auch in Italien zu beobachten war. Der Kampf der APO und der Studenten sollte nicht auf kleine Bereiche der Ge-sellschaft, soweit sie ihre "eigenen" waren, beschränkt bleiben, denn es handelte sich immerhin um Probleme, die alle Be-reiche der Gesellschaft, vor allem auch die der Arbeiterklasse, betrafen; zugleich aber wußte man die großen traditionellen Organisationen der Arbeiterbewegung (SPD und Gewerkschaften) auf der Gegenseite der Barrikade. Dennoch kam es in der Bundesrepublik kaum zu einer Verbindung mit den Arbeitermassen, was die meisten Gruppen der neuen Linken dazu veranlaßt, den westdeutschen Arbeitern ein eigenes politisches Bewußtsein weitgehend abzusprechen.
Eine systematische und weitest gehend unvoreingenommene Diskussion setzte dann allerdings unter einigen Gruppen ein, als sich in den Septembertagen des Jahres 1969 etwas seit dem II. Weltkrieg für viele von uns Unglaubliches abspielte:
-Massenhaft legten Arbeiter in der Stahhlindustrie, im Bergbau, in der metallverarbeitenden Industrie und in anderen Wirtschaftsbereichen "spontan" ihre Arbeit nieder, streikten ohne Urabstimmung, ohne Einwilligung der Gewerkschaften; -ja, es kam noch unglaublicher, denn viiele von diesen Streikenden wendeten ihren Unmut nicht nur gegen die Unternehmer, gegen die Direktoren ihres Betriebes, sondern auch gegen die Gewerkschaften in der gerade laufenden Lohnrunde; -der Gipfel des Unglaublichen jedoch waar das Verhalten der DKP, die beispielsweise in Dortmund -aber auch anderswo - "einige hundert Arbeiter" daran hinderte, in die Räume des Gewerkschaftshauses einzudringen, um dort ihren Unmut gegen die arbeiterfeindliche Gewerkschaftspolitik deutlich sichtbar Ausdruck zu verleihen: die DKP verwandte, wie sie sich hinterher selber rühmte, "große Mühe" darauf, "diese Stimmung umzukehren und die Hauptstoßrichtung gegen die Direktion zu lenken" (Die Septemberstreiks 1969. Darstellung, Analyse, Dokumente der Streiks in der Stahlindustrie, im Bergbau, in der metallverarbeitenden Industrie und in anderen Wirtschaftsbereichen, Frankfurt (November) 1969., S. 64.) " (Jürgen Klein, Zur Diskussion in der Bundesrepublik über die "andere" Arbeiterbewegung in Deutschland in Au-tonomie im Arbeiterkampf., a.a.O., S. 13.)
Die Militarisierung der Innen- und Außenpolitik und die asozialen Angriffe des Kapitals auf unsere Arbeits und Lebensbedingungen erfordern eine neue ArbeiterInnen- und proletarische Antikriegsbewegung. Sie wird organisch aus dem spontanen Klassenkampf erwachsen. Was ist die Aufgabe von RevolutionärInnen? Den historischen Materialismus schöpferisch anzuwenden und die jetzigen, noch beschränkten Kämpfe zu befruchten. In der sozialen Revolution muß sich der wissenschaftliche Sozialismus der kommunistischen Minderheit mit dem Klasseninstinkt der Mehrheit vereinigen und sich zu einer solchen Sprengkraft entwickeln, die der Klassengesellschaft den Todesstoß versetzt.
Fortgeschrittene Lohnabhängige müssen sich schon jetzt auf die kommende Bewegung vorberieten. Sie müssen kleine Gruppen gründen, indem der Kapitalismus und die imperialistischen Kriege analysiert werden. Wichtig ist natürlich auch die praktische Antikriegspropaganda. Kampf dem imperialistischen Krieg! Nieder mit der Lohnsklaverei! Es lebe die klassenlose Gesellschaft!
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Wie sollen wir uns organisieren?
Das Ende des Kapitalismus samt Ausbeutung und Unterdrückung - das ist unser gemeinsames Ziel. In Seattle, Melbourne, Prag und Seoul haben wir die Kapitalisten in Erklärungsnot gebracht.
Aber das System an sich wurde nur angekratzt, die Maschinerie läuft weiter. Welche Kraft kann sie zum Stillstand bringen? Die Debatte darüber hat Konsequenzen für unseren Handeln. Die politische Strategie bestimmt die Art der Aktion und Organisation, argumentiert Ahmed Shah. |
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"Die Politisierung der Arbeiterklasse ist die Vorraussetzung für den Sieg der antikapitalistischen Bewegung" |
Einheit und Massenaktion
Die Aktionen von Individuen oder kleinen Gruppen sind immer ein guter Anfang. Aber sie werden einen zweihundert Jahre alten Kapitalismus mit all seinen Institutionen und seiner Unterdrückungsmaschine nicht beseitigen können. Nur die direkte Aktion der Masse kann das. Klein ist nicht fein. Zahlen zählen, weil wir die Mehrheit brauchen.
Die Selbstbegrenzung auf einen eingeweihten Kreis macht uns schwächer als wir sein können. Sie isoliert die Minderheit von der Mehrheit, die ‚Radikalen‘ von dem Rest. Die Kapitalisten lachen. Ob gegen die Nazis, die Castor-Transporte, gegen den IWF: Wir müssen in die Breite gehen.
Unsere Revolution ist eine Bewegung der ungeheuren Mehrheit im Interesse der ungeheuren Mehrheit, nicht die Tat einer aufgeklärten und organisierten Elite, von karrieristischen Politikern oder einer linken Vorhut. Sie entspringt aus der Energie einer spontanen Massenerhebung von unten. Sie setzt demokratische Energien frei.
Wir müssen mit Leuten zusammenarbeiten, die unzufrieden sind, bereit sind, aktiv zu werden zu bestimmten Fragen, die aber unsere ‚Maximalforderungen‘ nicht teilen. Ein Austausch in der gemeinsamen Aktivität und Debatte kann das ändern.
Deswegen müssen wir immer mit unseren Gemeinsamkeiten und nicht mit den Unterschieden anfangen. Wir müssen eine Brücke zu denen bauen, die noch keine Revolutionäre sind. Das gelingt uns aber nicht mit einer elitären Haltung, die eine fundamentale Opposition zur Bedingung von Zusammenarbeit macht.
Kollektivität und Arbeiter
Eine Bewegung gegen den Kapitalismus muß seine und ihre Widersprüche verstehen. Hier sind drei wichtige.
Erstens. Der Kapitalismus hat riesigen Reichtum und technologischen Fortschritt geschaffen. Das brauchen wir auch in unserer zukünftigen Gesellschaft. Wir sollten uns nicht zurücksehnen nach einer idyllischen vor- oder frühkapitalistischen Gesellschaft, die es nie mehr geben wird oder nie gegeben hat. Trotz dieses ungeheuren Reichtums verurteilt diese Gesellschaft weltweit Millionen Menschen zu Elend und Tod und vergiftet unsere Umwelt. Und oben sahnt eine Minderheit ab. Wir wollen den Reichtum nicht zerstören, sondern nutzen, um die Welt wieder in Ordnung zu bringen.
Zweitens: Die Kapitalisten herrschen durch ihren Griff auf die Produktionsmittel. Die ökonomische Kontrolle über die Profite ist die Basis für ihren politischen Einfluß auf die Gesellschaftsordnung und ihre Prioritäten. Weder Bill Gates wäre ein „Vorbild für die Jugend“ noch Jürgen Schremp Deutschlands „Rambo“ ohne ihre Einfluß auf die Produktion. Wir werden über unser Leben erst selbst bestimmen können, wenn wir ihnen die Kontrolle darüber streitig machen.
Aber die Kapitalisten schöpfen ihre Profite aus der Ausbeutung von Lohnsklaven, den Arbeitern. Eine Revolution der Lohnsklaven ist also ein Anschlag auf das Herz des Systems. Rosa Luxemburg sagte: Dort wo die Ketten der Kapitalismus geschmiedet werden, dort müssen sie auch gesprengt werden - in den Betrieben. In Prag haben wir die Kapitalisten gestört, die Arbeiter dagegen können ihr gesamtes System lahmlegen. Ein Arbeiter an sich kann das aber nicht alleine. Die Arbeiter werden kollektiv ausgebeutet, deshalb können sie sich auch nur kollektiv wehren und organisieren. Das ist ihre Stärke und der Alptraum der Bosse.
Und Drittens: Die herrschenden Ideen sind die Ideen der herrschenden Klasse. Das war bisher in jeder Gesellschaft so. Diese Ideen – ob Rassismus, Sexismus, Schwulenfeindlichkeit oder Ellbogenmentalität - erfüllen eine wichtige Funktion für die Politik der herrschenden Klasse: Teile und herrsche. Arbeiter sind keine besseren Menschen. Ein idealistisches Bild von ihnen wäre falsch; die Konkurrenzlogik des Kapitalismus entfremdet auch sie von einander. Ein zynisches, starres Bild ist aber genauso falsch. Die Arbeiter haben als Klasse kein objektives Interesse in der Aufrechterhaltung dieser Ideen. In ihren Reihen sind auch Ausländer, Frauen und Homosexuelle. Sich nicht spalten und im Kampf schwächen lassen, heißt alle mit einzubeziehen. Der kollektive Kampf kann die ideologischen Fesseln des Kapitalismus in den Köpfen schwächen. Die Revolution ist deshalb nicht nur eine materielle, sondern auch eine geistige. Es ist der Kampf zwischen den alten, spaltenden Ideen und den neuen Ideen der Solidarität.
Unsere Strategie setzt auf die kollektive Massenaktion der Arbeiter gegen den Kapitalismus, die die ökonomischen und ideologischen Ketten bricht und Reichtum und Technologie unter die demokratische Kontrolle der Mehrheit bringt.
Wir können keine Inseln innerhalb der Kapitalismus aufbauen. Einen alternativen Lebensstil zu betreiben, Gegenmodelle oder autonome Freiräume zu errichten, zeigt den Wunsch, heute frei vom Kapitalismus zu leben. Diese Inseln können den Herrschenden ein Dorn in Auge sein. Sie werden jedoch die Kontrolle der Kapitalisten über die Produktion und damit über die Gesellschaft nicht beenden. Nur eine Revolutionierung der Verhältnisse in den Betrieben ist dazu in der Lage.
Reformistische Führung
Hier haben wir ein Problem. Es gibt eine Führung in der Arbeiterbewegung: die Sozialdemokratie. Auch die entschiedenste Gegnerschaft ihr gegenüber ändert nichts an dieser Tatsache: sie ist da und sie ist einflußreich.
Sie trägt die Hoffnung der Arbeiter auf eine bessere Gesellschaft, aber hält sie gleichzeitig zurück. Sie sagt, daß Veränderung nur - wenn überhaupt - über ihre Tätigkeit im Parlament und innerhalb des Systems kommen kann. Sie setzt auf die Passivität der Massen und eine Politik der Anpassung.
Das kommt auch an. Die Arbeiterklasse ist nicht homogen. Es gibt Arbeiter, die die herrschenden Ideen vollständig akzeptieren, genauso wie solche, die sie restlos ablehnen. Aber dies ist nur eine Minderheit. Die Mehrheit liegt zwischen diesen beiden Extremen. Unzufrieden mit den herrschenden Verhältnissen haben sie Sehnsucht nach einer besseren Welt, glauben aber nicht, dass eine grundlegende Veränderung möglich ist. Es sind die Erfahrung des Kampfes, von Auseinandersetzungen, die Bewegung in das Universum der Ideen bringen. Allein die Erfahrung sich selbst aktiv zu wehren, widerspricht dem Stellvertretungsanspruch der Sozialdemokratie. Aber wenn im Lager der Arbeiterbewegung niemand gegen den Reformismus argumentiert, überlassen wir den immer gleichen Leuten das Feld und letztlich setzen sich weiter die falschen Ideen durch.
Antikapitalisten müssen das erkennen und eine politische und organisatorische Alternative zu den traditionellen Parteien aufbauen. Das ist, was wir mit Führung meinen. Es ist der Kampf um die Ideen in der Arbeiterbewegung.
Das hat sich in der Geschichte immer wieder gezeigt. Es gab nie eine Wahl zwischen Führung oder keiner Führung, sondern immer nur zwischen revolutionärer oder reformistischer Führung.
Die SPD konnte die Deutsche Revolution 1918 abwürgen, weil es keine politische und organisatorische Alternative gab – die KPD war neu, klein, und ohne Masseneinfluß. Die Anti-AKW-Bewegung geriet Ende der 70er Jahre in die Sackgasse, weil sie keinen Anschluß an die Arbeiterbewegung fand, die von der Sozialdemokratie mit Mühe davon abgekoppelt wurde. Die revolutionären Organisationen hatten wenig Einfluß und befanden sich in einer tiefen politischen und organisatorische Krise. Die Grünen sammelten die Reste auf und los ging’s auf die Reise nach rechts in und durch die Parlamente.
Die Linke muß den reformistischen Parteien ihre Führung in den Bewegungen streitig machen und eine alternative Führung aufbauen.
"Um den zentralisierten Staat mit seinen Robocops zu schlagen, brauchen wir eine demokratisch-zentralistische Organisation." |
Staat
Wenn die ideologische Kontrolle nicht ausreicht, greifen die Kapitalisten zur Staatsmacht. Der Staat ist keine neutrale Instanz. Er ist aber auch nicht das System an sich. Hier zentralisieren sich die Kapitalisten, um eine Infragestellung ihrer Macht zu kontern. Das haben wir in Prag erlebt. Der Staat ist also der bewaffnete Flügel der herrschenden Klasse. Ein Kampf gegen die Polizei, manchmal nötig, ist kein Ersatz für einen Kampf gegen die kapitalistische Dominanz in den Betrieben.
Aber der zentralisierte Staat ist ein großes Hindernis für eine Bewegung für Emanzipation. Wir brauchen eine Symmetrie zum Staatsapparat. Wir wollen nicht seine Hierarchie nachahmen, aber wir müssen auch unseren Kampf zentralisieren, wenn wir gewinnen wollen. Eine Gegenwehr, die dezentral bleibt, hat keine Chance gegen die Herrschenden. Polizei, Justiz, Medien und Bildungssystem sind aufeinander abgestimmt Ein Kampf gegen diesen Staat braucht eine Organisation, die die Stränge der emanzipatorischen Bewegungen zusammenbringt und zentralisiert.
Was wir brauchen
Wir brauchen also eine Organisation, die zwei Bedingungen erfüllt. Erstens: sie muß sie die spaltenden Ideen und die reformistische Politik, die die Massenaktion und Emanzipation der Arbeiter verhindert, mit ihrer ganzen Kraft bekämpfen. Zweitens muß sie in der Lage sein, den Ausschuß zur Vertretung der Interessen der herrschenden Klasse – den Staat -, in die Knie zu zwingen. Das prägt der Organisationsform.
Scharnier: Die Organisation muß ein Scharnier sein zwischen der aktiven antikapitalistischen Minderheit und der Mehrheit der Arbeiter. Wir dürfen die Arbeiter nicht Schröder und seinen Freunden in der Gewerkschaftsführung überlassen. Wir kämpfen für den Wiederaufbau einer revolutionären Strömung in der Arbeiterbewegung, die Arbeiter in den Betrieben für eine antikapitalistische Perspektive gewinnen kann. Wir wollen zeigen, wie sie in ihrem Alltagswiderstand davon profitieren. Dafür müssen wir die Trennung zwischen den politischen Kämpfen der antikapitalistischen Bewegung und den ökonomischen Auseinandersetzungen der Arbeiterbewegung überwinden.
Theorie: Unsere Theorie stammt aus der Analyse der Erfahrungen der Arbeiterbewegung. Wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Wir wollen aus den Stärken und Schwächen der Geschichte lernen. Sie ist keine von Untertanen, die Untertanen bleiben wollen, sondern eine von Widerstand. Es gibt eine lange Tradition der direkten Aktion. Vom Aufstand der schlesischen Weber Mitte des 19. Jahrhunderts über die Revolutionäre Obleute, die in Berlin Anfang des letzten Jahrhunderts 200.000 Arbeiter organisierten, bis zum Basis-Netzwerk in den Betrieben Anfang der 70er Jahre – und international ist die Bandbreite nochmal deutlich größer.
Jede Bewegung braucht ein historisches Gedächtnis. Und zwar nicht wie in der Schule – eine Aneinanderreihung von Fakten und Daten. Durch eine Analyse der Geschichte können wir eine eigene Theorie und Weltanschauung entwickeln, um gemeinsam das kapitalistische System zu stürzen.
Gemeinsame Praxis: Das heißt nicht, dass alles, was gestern richtig war, heute noch immer gilt. Die Welt ist im wesentlichen, wie sie im Kapitalismus immer war. Klassenspaltung und Klassenkampf existieren weiter. Sie hat sich aber weiterentwickelt. Durch eine gemeinsam organisierte Praxis in den heutigen Auseinandersetzungen können wir die Gültigkeit unsere Positionen überprüfen. Das ist der beste Weg, um herauszufinden, was richtig ist und was nicht. Er fordert und fördert eine gemeinsam organisierte Debatte über die Verhältnisse heute.
Aktive Demokratie: Für diese Debatte brauchen wir Demokratie. Keine Demokratie als Selbstzweck, sondern weil sie nötig ist, um die nächsten Schritte der Bewegung zu entscheiden. Also eine wirklich aktive Demokratie. Auch wenn die Bewegung abflaut, brauchen wir Strukturen, um Debatten weiter zu führen: was war gut, was ist schief gelaufen, wie geht’s weiter, welche Themen können Leute wieder mobilisieren? Ohne demokratische Debatte werden wir die Stand der Bewegung falsch einschätzen und realitätsferne Entscheidungen treffen.
Zentralismus : Zentralismus ist so wichtig für die Handlungsfähigkeit einer Organisation wie Demokratie für die Debatte. Demokratie hilft uns Entscheidungen zu treffen. Die Mehrheitsentscheidung muß aber umgesetzt werden. Und zwar von jeder und jedem - auch denen, die anderer Meinung waren. Nur dann können wir in der Praxis testen, ob unsere Entscheidungen richtig waren. In der gemeinsamen Debatte können wir die Lehren aus den Erfahrungen ziehen und Korrekturen in unserer Praxis vornehmen.
Antikapitalisten können viel von der Arbeiterbewegung lernen. Ein Streik, demokratisch von der Mehrheit beschlossen, muß durchgesetzt werden. Und zwar auch gegen die Arbeiter, die gegen den Streik sind. Streikposten sind dazu da, Entscheidungen durchzusetzen. Sonst ist die Entschlossenheit und Kollektivität hin – der Streik zerbröselt.
Die Arbeiter müssen als Einheit handeln. Zu einem Streikposten müssen alle zur gleichen, vorher abgemachten, Uhrzeit kommen. Es kann nicht jeder kommen wann er will. Disziplin ist nötig, aber nicht eine von oben aufgedrückte, sondern eine von unten gemeinsam beschlossene.
Führung: In jeder Bewegung gibt es eine Führung. Bestimmte Meinungen, richtige oder falsche, gewinnen Anhänger und bestimmen den Ausgang der Bewegung. Wir wollen das nicht dem Zufall überlassen, sondern organisiert um Meinungen Kämpfen.
Auch Innerhalb horizontal organisierten Zusammenhänge gibt es eine Führung, sichtbar oder unsichtbar. Eine unsichtbare oder informelle Führung ist nicht rechenschaftspflichtig. Sie kann nicht korrigiert oder abgewählt werden. Falsche Positionen bleiben, richtige kommen nicht hoch. Alles andere als eine transparente, sichtbare Führung. ist undemokratisch und gefährlich.
Jede Führung muß in der Praxis beweisen, daß ihre Einschätzungen und Vorschläge richtig sind. Dafür ist die gemeinsame Aktivität aller nötig. Auf diese Weise können die Leute aus den gemeinsam gemachten Erfahrungen heraus sehen, was effektiv und richtig ist. Die Aktivität ermöglicht darüber hinaus, auch viele andere mit einzubeziehen. Passivität führt zu Hierarchie. Das ist es, was reformistische und stalinistische Parteien ausmacht. Die Führung entscheidet, was zu tun ist, und die Führung agiert. Für sie ist die Selbstaktivität der Mitglieder ein Hindernis, für uns die Grundlage zum Erfolg.
Das läuft dezentral und zentral, horizontal und vertikal ab. Die Agitation findet in Betrieben, Schulen, Unis oder auf der Straße statt - eben dort, wo die einzelnen Aktivisten sind. Sie suchen Anschluß an das, was abgeht, wo Widerstand möglich ist. Die Führung lernt daraus und hilft, diese Erfahrungen in der gesamten Organisation zu verallgemeinern. Die Erfahrungen in den verschieden Bereichen und Orten werden zentralisiert und ausgewertet. Schließlich werden hieraus die neuen Perspektiven entwickelt.
Eine Führung ist für uns nicht da, Führung zu sein und zu bleiben, sondern, um andere führungsfähig zu machen. Das bedeutet, sie zu befähigen, andere um sich zu ziehen und zu politisieren. Das finden wir emanzipatorisch. Emanzipier dich selber ist einfach gesagt. Dafür brauchst du Führung, Menschen, die dabei helfen.
Wir streben die Emanzipation von jeder und jedem an, der bei uns organisiert ist. Die Menschen, die zu uns kommen oder zu uns schauen, leben im Kapitalismus. Die Ungleichheiten, die er schafft, sind auch in unserer Organisation da. Wir müssen sie nicht akzeptieren, aber erkennen und versuchen, sie zu überwinden. Das ist die Aufgabe der Führung.
Die Zukunft
Die Zukunft ist groß. Nach den vielen Jahren des linken Niedergangs bietet die neue weltweite antikapitalistische Bewegung und die bittere Erfahrungen von Millionen unter sozialdemokratischen Regierungen in Europa eine Öffnung für Neues. Linke Einheit in der Praxis und eine neue Strategie-Debatte über Perspektiven sind wichtiger denn je. Die hier dargelegten Positionen sind nur ein kleiner Beitrag mit keinem Anspruch auf Vollständigkeit. Ich hoffe auf eine Fortsetzung. Die Zukunft hängt davon ab, welche Schlußfolgerungen wir aus den heutigen Debatten ziehen.
Linke und rechte Sozialisten vereint -
gemeinsam schlagen wir jeden Feind!
Eine Kampfschrift, die den Revolutionär im jeweils anderen Lager zum Nachdenken anregen soll von Micha Togram Im Interesse einer notwendigen Zusammenarbeit rechter und linker Antikapitalisten sollten Pauschalurteile vermieden werden. Viel wichtiger ist die Würdigung des ehrlichen Bemühens in beiden Lagern um einen Brückenschlag. Konzentrieren sollte sich daher die Kritik auf reaktionäre und internationalistische Kreise, die in beiden Lagern die Politik einer antikapitalistischen Aktionseinheit gegen den Weltfeind der Völker sabotieren. 1960 erschien im Kohlhammer-Verlag das Buch von Otto-Ernst Schüddekopf über "Linke Leute von Rechts". In diesem Buch beschreibt der Verfasser den Versuch eines Brückenschlages von Nationalrevolutionären zu Kommunisten in der Weimarer Republik. Diese linken Leute von rechts unternahmen den Versuch, die Rechten vom bürgerlichen Klassennationalismus und die Linken vom Internationalismus zu heilen. Auf diese Weise sollten in beiden Lagern verhängnisvolle Fehlentwicklungen gestoppt werden, die letztlich nur den Herrschaftsinteressen des internationalen Kapitals dienten. In ähnlicher Weise kann man auch von "Rechten Leuten von Links" sprechen, die einen Sozialismus in den Farben ihrer jeweiligen Nation anstrebten und dabei in einen heftigen Gegensatz zu den international und kosmopolitisch orientierten marxistischen Dogmatikern gerieten. Der Kampf zwischen "rechten" Nationalisten und "linken" Internationalisten innerhalb des marxistischen Lagers läßt sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen:
In Deutschland erstrebte Ferdinand Lassalle (1825 - 1864) zeit seines kurzen Lebens einen Sozialismus auf nationaler Grundlage. Für Lassalle waren Nation und Sozialismus keine Gegensätze. Nach seiner Auffassung war das Bürgertum mit seinen kapitalistischen grenzüberschreitenden Interessen weit weniger an der Nation interessiert als das Proletariat, das mit allen seinen Wurzeln fest an den Boden seiner Heimat gebunden bleibt, weil es keine kosmopolitischen wirtschaftlichen Interessen vertritt. Lassalle war ein scharfer Gegner des Liberalismus. Zu seiner Bekämpfung war er auch bereit, mit Konservativen ein Bündnis zu schließen. Berühmt sind seine Gespräche mit Bismarck über ein soziales Volkskönigtum und staatlich geförderte Produktivgenossenschaften für die Arbeiter. Marx hat diese nationalsozialen Konzepte Lassalles scharf verurteilt. Nach dem tragischen Duelltod Lassalles setzte v. Schweitzer die Annäherung zwischen nationalen Sozialdemokraten und Bismarck fort. Später setzte sich allerdings der Internationalismus Bebels in der SPD durch und verhinderte alle weiteren nationalsozialen Entwicklungen. Bei der Ausgestaltung des deutschen Sozialstaates standen die Sozialdemokraten zusammen mit den Liberalen beiseite und pflegten ihre schäbigen antinationalen englandfreundlichen Vorbehalte gegen das neugegründete Kaiserreich. Ferdinand Lassalle ist die berühmte Ausnahme von jener Regel, die für die marxistische Linke den Internationalismus jüdischer Intellektueller als bestimmend ansieht. In dem Buch von Zeev Sternhell "Die Entstehung der faschistischen Ideologie" schreibt er von den "internationalistischen und revolutionären jüdischen Intellektuellen - Luxemburg, Hilferding, Parvus, Radek, Trotzki, Otto Bauer, Max Adler, Karl Renner und viele andere ... sie verabscheuten den völkischen Nationalismus... Keiner verehrte die Volksgemeinschaft und ihren Boden... Ihnen lag nichts an der Heimat an der so viele westeuropäische Sozialisten hingen." Insbesondere in Frankreich stieß dieser jüdische Internationalismus auf scharfen Widerstand innerhalb der Linken bis zur offenen Kampfansage. Henryk M. Broder verweist in seinem Buch "Der ewige Antisemit" auf judenkritisch eingestellte französische Frühsozialisten: Charles Fourier, einer der Begründer des französischen Sozialismus bezeichnete die Juden als Parasiten, deren Emanzipation der "beschämendste aller gesellschaftlichen Fehler" gewesen sei. Alphonse Toussenel, ein anderer wichtiger Frühsozialist veröffentlichte im Jahr 1845 ein Buch unter dem Titel "Die Juden - Könige unserer Zeit", in dem er u. a. darlegte, Europa sei der Herrschaft der Juden unterworfen. Pierre Leroux, der den Begriff "Sozialismus" erfunden hat, bezeichnete die Juden als "Verkörperung des Mammons". Pierre Joseph Proudhon bezeichnete die Juden als Feinde der Menschheit, die man nach Asien zurückschicken sollte... Frankreich ist das erste Land in Europa, in dem sich um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eine sozialistisch - nationalistische Synthese mit syndikalistischer (antiparlamentarischer) Tendenz entwickelte. Der ultralinke Gewerkschaftler Bietry gründete 1905 erstmals eine nationalsozialistische Arbeiterorganisation. Ein hervorragender Vertreter dieser sozialnationalistischen Bestrebungen war Georges Sorel (1847 - 1922). Von Marx kommend, gelangte er auf dem Umweg über den Revisionismus zum revolutionären Syndikalismus. Im Gegensatz zur Sozialdemokratie glaubte er nicht an den parlamentarischen Weg zur Beseitigung des Kapitalismus. Er bekannte sich zum revolutionären Kampf gegen das Kapital. Die wichtigste revolutionäre Triebkraft der Geschichte war für Sorel der Nationalismus. Aus dem Klassenkampf der Arbeiter gegen das Kapital sollte ein Volkskampf aller schaffenden Schichten des Volkes (Kleinbürgertum, Bauernschaft, schaffendes Kapital) werden. Mit der Verbreiterung der sozialen Basis erfolgte auch gleichzeitig eine Vereinfachung des kapitalistischen Feindbildes auf das Finanzkapital. Endziel der antikapitalistischen Revolution sollte ein Syndikalistischer Staat der sich selbst verwaltenden Produzenten sein. Im Gegensatz zum AnarchoSyndikalismus vertrat Sorel einen Nationalsyndikalismus auf berufsständischer, staats - und eigentumsbejahender Grundlage. In dem Buch mit dem demagogischen Titel "bis alles in Scherben fällt - Die Geschichte des Faschismus" (Bertelsmann 1973) schreibt Otto-Ernst Schüddekopf die folgenden interessanten Zeilen:
"Andere faschistische Bewegungen in Europa aber nahmen den Sozialismus durchaus ernst, so daß in der Typologie auch von 'Linksfaschismus' gesprochen wird. Die französischen Faschisten Marcel Deat, Eugene Deloncle, Jaques Doriot und Valois kamen vom Sozialismus und waren bestrebt, ihn in einer nationalen Form zu realisieren. Auch im Faschismus Mosleys war die sozialistische Komponente durchaus ernst zu nehmen. Seine an Keynes orientieren wirtschaftspolitischen Auffassungen hatte er in der Labour-Party und sogar in der linksgerichteten Independent Labour Party entwickelt. Es ging ihm in erster Linie um die Überwindung der Abeitslosigkeit und die Schaffung gesunder wirtschaftlicher Verhältnisse. Auch Drieu La Rochelle, der mit später führenden Kommunisten befreundet war und für Doriot schrieb, zeigte noch Anfang 1945 kurz vor seinem Tod nationalbolschewistische Tendenzen. Die ungarischen Pfeilkreuzler forderten eine radikale Bodenreform mit Abschaffung des Großgrundbesitzes." So wie der Begründer des Faschismus, Benito Mussolini, ein führender Mann des italienischen Marxismus war, so gilt dies auch für viele europäische Faschistenführer, die teilweise sogar aus der Kommunistischen Partei kamen. In den Augen der konservativen Reaktion waren diese sozialnationalen Kräfte "schwarze" "braune" bzw. "grüne Bolschewisten" entsprechend der Farbe ihrer jeweiligen italienischen, deutschen bzw. ungarischen Parteihemden. Ein wesentlicher Grund für die Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg war die mangelhafte Unterstützung dieser national - und sozialrevolutionären Bewegungen in Europa. Stattdessen buhlte das Dritte Reich um die Gunst reaktionärer Militärcliquen (Antonescu, Franco, Mannerheim, Horthy, Petain), die insgeheim mit den Westalliierten im Bunde standen bzw. unentschlossen zwischen den Kriegsparteien hin - und herschwankten. Gleiches gilt auch für Mussolini, der erst nach dem Verrat der Badoglio-Clique in der Italienischen Sozialrepublik (R.S.I.) zu seinen sozialistischen Ursprüngen zurückkehrte und den vollständigen Bruch mit der Reaktion vollzog. "Rechte Leute von Links" finden sich natürlich auch im Kommunistischen Lager. Solange es den Kommunismus gibt, tobte in seinen Reihen ein heftiger Kampf zwischen Nationalisten und Internationalisten. Mal siegte die eine, mal die andere Seite. Damit zeigt der Kommunismus ein ähnlich widersprüchliches Gesicht wie der zwischen Revolution und Reaktion hin - und herschwankende europäische Nationalismus der Zwischenkriegs - und Kriegsperiode.
Entsprechend seiner marxistischen Taufurkunde war der Kommunismus eine grundsätzlich internationalistische Bewegung. In dem Buch "Rot-Braun" (Hoffmann und Campe 1999) beschreibt der Verfasser Thierry Wolton den Einfluß des englischen Liberalismus auf Karl Marx. Dieser sei nachhaltig vom Internationalismus der Freihandelslehre geprägt worden. Seine Schlußfolgerung: "Kurzum, da der Kapitalist kein Vaterland kennt, muß das Gleiche für den Proletarier am anderen Ende des gesellschaftlichen Kontinuums gelten." (S. 213). Auf der gleichen Seite findet sich der Hinweis daß die jüdische Herkunft von Marx ein Motiv bei seiner Entscheidung gegen das nationale Denken gehabt hat. "Sein Wanderleben und das internationale Milieu, in dem er sich entwickelte, mussten ihn einfach in der Gewißheit bestärken, daß die Nation von nebensächlicher Bedeutung sei." Ähnliches gilt auch für den nationalen Nihilismus vieler jüdischer Revolutionäre. Das gleiche Buch verweist auch auf Seite 141 auf Lenins jüdische Herkunft, um später dann seine Haltung zur nationalen Frage als opportunistisch und rein taktisch zu erklären. Er sah in der Nation lediglich ein Mittel zur Auflösung des Zarenreiches und eine Etappe auf dem Wege zur proletarischen Weltrepublik. Mit dem Erscheinen Stalins kommt zum erstenmal ein nationalkommunistischer Ansatz zur welthistorischen Entfaltung. Seine ersten Maßnahmen bestehen in der Vernichtung der Internationalisten (Trotzki- Kamenew-Sinowjew-Clique) und der Verkündigung des fast nationalsozialistischen Grundsatzes vom "Sozialismus in einem Land". Bereits in seiner Schrift "Der Marxismus und die nationale Frage" aus dem Jahre 1913 schrieb Stalin: "Die Nation ist eine menschliche Gemeinschaft, die historischen Ursprungs ist und sich auf eine Gemeinsamkeit der Sprache, des Gebiets, des wirtschaftlichen Lebens und der psychischen Eigenschaften gründet, die in einer Kulturgemeinschaft zum Ausdruck kommen." Auch nach Zerschlagung der Trotzki-Clique verfügten die nichtrussischen Internationalisten über starke Machtpositionen in Partei (Kaganowitsch-Sippe), Politische Hauptverwaltung der Roten Armee (u.a.Mechlis) und der GPU (u.a. Jagoda). Intensive Kontakte zu den herrschenden Kreisen des US-Imperialismus pflegte der Sowjetaußenminister und spätere Botschafter der UdSSR in Washington Maxim Litwinow (korrekt: Wallach-Finkelstein), der zusammen mit dem "Franzosen" Leon Blum und dem "US-Amerikaner" Morgenthau eine aggressive antideutsche Einkreisungspolitik betrieb. Er galt als scharfer Gegner des deutsch-russischen Nichtangriffspaktes. In dem Buch des russischen Nationalisten und KGB-Opfers Anatoli M, Iwanow "Logik des Alptraums" (Verlag der Feunde, Berlin 1995) stehen folgende interessante Hinweise zum Nationalisierungsprozeß innerhalb des Bolschewismus: "Es sei daran erinnert daß Trotzki Stalin 1930 des 'nationalen Sozialismus' bezichtigte. J. Schnurre, Beamter im deutschen Außenministerium, machte in seinem Memorandum vom 27. Juli 1939 seine Chefs darauf aufmerksam, daß die Verschmelzung des Bolschewismus mit der nationalen Geschichte Rußlands, die sich in der Verherrlichung großer Russen und Heldentaten ...zeige, den internationalen Charakter des Bolschewismus verändert hätten. Auch Graf Ciano, italienischer Außenminister und Schwiegersohn Mussolinis, vermerkte, die Sowjetunion habe mit dem Internationalismus gebrochen und sei zu einer Art 'slawischem Faschismus' gelangt. Tatsächlich nahm der Sozialismus in der Sowjetunion gegen Ende der 30er Jahre äußerlich deutliche Züge des Nationalsozialismus an..." Den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vom 23.August 1939 bezeichnet Iwanow als "ein Bündnis zweier Nationalsozialismen". Unabhängig von dieser Einschätzung wäre der deutsch-sowjetische Pakt mit Sicherheit die entscheidende Grundlage für eine enorme Aufwärtsentwicklung beider Völker geworden. Unter der sozialistischen Anleitung beider Führungsmächte hätte sich der eurasische Raum zu einem gewaltigen und prosperierenden Bollwerk gegen den US-Kapitalismus und seine isolierten europäischen Satrapen England und Frankreich entwickelt. Dieser Nichtangriffspakt stand in der Tradition eines guten deutsch-russischen Einvernehmens von Tauroggen 1812 (deutsch-russisches Bündnis gegen Napoleon) und Rapallo 1922 (gegenseitiger Verzicht auf Reparationen). Im Zuge des deutsch-sowjetischen Paktes entwickelte sich auch ein lebhafter Warenaustausch, der England und Frankreich zur Planung von Luftangriffen auf die sowjetischen Erdölfelder des Kaukasus (Baku) veranlasste. Daß die USA ebenfalls nicht untätig waren, um diesen Pakt mithilfe ihrer internationalistischen Helfer innerhalb der Sowjetunion selbst zu Fall zu bringen liegt klar auf der Hand. Wie groß aber muß erst der Druck des Weißen Hauses auf jenes Land gewesen sein, daß mit dem "Erzschurken" Hitler und mit dem Führer eines "Gangsterstaates" ein Freundschafts - und Wirtschaftsabkommen abgeschlossen hatte. Diese Fakten bedürfen keines Beweises, weil sie der geschichtlichen Logik jener Jahre entsprechen. Stalin selbst war geprägt von der Niederlage Rußlands im 1. Weltkrieg gegen Deutschland.
Noch während der Gespräche im November 1940 in Berlin bemühte sich Hitler, Molotow davon zu überzeugen, daß die zwei größten Völker Europas mehr erreichen würden, wenn sie zusammenhielten, als wenn sie gegeneinander wirkten. Je mehr Deutschland und Rußland, Rücken an Rücken stehend, im Kampf gegen die Außenwelt vorankämen, desto größere Erfolge hätten sie in Zukunft, und diese Erfolge würden geringer ausfallen, wenn beiden Länder gegeneinander ständen (s. Iwanow S. 214). Wir alle kennen den tragischen Ausgang eines hoffnungsvollen Beginns. Im Zeichen von Antifaschismus und Antikommunismus schlugen sich Deutsche und Russen die schlimmsten Wunden. In jenen Jahren, da der Lebensraum zweier Völker in Schutt und Asche versank, zerbrach in den USA nicht eine Fensterscheibe durch kriegerische Einwirkung. In welchem Ausmaß die sowjetische Besatzungspolitik in Deutschland den Interessen des deutschen und russischen Volkes schadete und dem US-Imperialismus diente, wurde bereits beschrieben und braucht hier nicht noch einmal wiederholt zu werden. Erwähnen müssen wir aber in jedem Falle, daß es deutsche Kommunisten gab, die sich dieser verhängnisvollen Fehlentwicklung entgegenstemmten. So z.B. Anton Ackermann, der als Chefideologe der SED Anfang der Fünfziger Jahre das Konzept von "besonderen deutschen Weg zum Sozialismus" verkündete. Ackermann gehörte zum sog. "Zaisser-Herrnstadt-Flügel". Diese oppositionelle Gruppe wollte aus der SED eine "Partei des Volkes" machen, d.h. sie sollte ihre proletarische Basis um andere Klassen und Schichten verbreitern und auch deren berechtigte Interessen vertreten. Größere Zugeständnisse sollten an den Mittelstand gemacht werden. Auf eine Kollektivierung der Landwirtschaft sollte verzichtet werden. Der Kampf Stalins gegen den Zionismus ("wurzelloses Kosmopolitentum") fand auch in der DDR seinen Niederschlag in der Ausschaltung jüdischer Westemigranten wie z.B. Paul Merker, dem Kontakte mit dem US-Agenten Noel Field vorgeworfen wurden. Jahrelang weigerte sich die DDR, Wiedergutmachung an "jüdische Kapitalisten" zu leisten. Da sich die DDR als .antifaschistischer Staat empfand, ersparte sie den Mitteldeutschen ein Übermaß an antinationaler Selbstkasteiung. Trotz eines hohen Anteil an jüdischen Parteifunktionären wurde die Politik Israels durchaus kritisch gesehen. Delegationen der Palästinensischen Befreiungsbewegung waren häufige Gäste der DDR.
Während ein ungedienter Greis und Feind preußisch-deutscher Militärtraditionen die Remilitarisierung der westdeutschen Jugend im Auftrage des US-Imperialismus betrieb, bemühten sich ehemalige hohe Führer der Hitlerjugend mit dem Zentralrat der FDJ um gemeinsame Gespräche. Vordringlich ging es um die Vermeidung eines deutschen Bruderkrieges sowie Fragen der Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Sports, der Kultur, des Jugendverkehrs Ost-West, der Wirtschaft und Berufsausbildung. Es wurden auch Gespräche mit Erich Honecker geführt. Dessen spätere Ehefrau, Margot Feist, kümmerte sich um die Betreuung der Delegationsteilnehmer. Nähere Angaben zu dieser Aktion "Deutsche an einen Tisch" finden sich in den Lebenserinnerungen des ehemaligen Reichsjugendführers des Großdeutschen Reiches, Arthur Axmann mit dem Titel "Das kann doch nicht das Ende sein" auf Seite 532 ff. Die Spalterpolitik der Westmächte bedeutete dann auch das Ende aller sowjetischen Versuche, das SED-Regime zugunsten einer blockfreien Deutschlandlösung zur Disposition zu stellen, um auf diese Weise eine westdeutsch-us-amerikanische Machtkombination zu verhindern und von einer gesamtdeutschen Wirtschaft zu profitieren. Die Folgen der Adenauer-Politik mußten die Mitteldeutschen dann 40 Jahre ertragen, indem die Früchte ihrer Arbeit in hohem Maße von der sowjetischen Zentrale gepflückt wurden. Aus Protest gegen die zunehmende Ausplünderung der DDR nahm sich 1965 der höchste Wirtschaftsfunktionär der DDR, Erich Apel, das Leben. Apel zählte zu den SED-Funktionsträgern, die einen eigenen deutschen Weg zum Sozialismus anstrebten. Erfolgreicher dagegen war der Weg nationalkommunistischer Bewegungen in Asien (China, Korea, Vietnam). Sie waren als sozialistisch-kommunistische Klassenparteien zugleich aber auch antikoloniale Befreiungsbewegungen ihrer jeweiligen Völker. Ihr erfolgreicher nationaler Freiheitskampf richtete sich nach der Niederlage der Japaner gegen die alten europäischen Kolonialmächte, die nach dem 2. Weltkrieg ihre alten imperialistischen Positionen in Asien wieder einnehmen wollten. Natürlich darf man nicht übersehen, daß die USA die Niederlage ihrer europäischen Konkurrenten in Asien durch die Kommunisten begrüßten und zu diesem Zwecke auch bereit waren, den roten Vormarsch in Asien zu tolerieren. In Vietnam bewies der asiatische Nationalkommunismus, daß er auch in der Lage war, den USA eine empfindliche Niederlage zu bereiten. Eine hochtechnisierte Militärmacht verwandelte ein ganzes Land in eine einzige Gaskammer ("agent orange") und mußte trotzdem dem Mut und der Zähigkeit hochmotivierter Dschungelkrieger weichen. Auch die Moskauer Zentrale hatte ihre liebe Not mit den nationalkommunistischen Genossen aus Asien, die sich allen internationalen Paktstrukturen (Warschauer Pakt, Comecon) verweigerten. Am Ende des 20. Jahrhunderts müssen wir feststellen, daß der Nationalisierungsprozess des Kommunismus in allen Teilen der Erde gescheitert ist. Das Ergebnis ist entweder der völlige Zusammenbruch (Rußland, Osteuropa) oder die schrittweise kapitalistische Zersetzung wie in Asien. Insbesondere die "Liberalisierungs-Politik" der chinesischen Kommunisten macht das Riesenland zu einer Beute ausländischer Kapitalisten. Im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) muß sich China dem ausländischen Kapital öffnen. Massenhafte Agrareinfuhren ruinieren die chinesischen Bauern. China verhilft mit seinen Billigprodukten den multinationalen Konzernen zu Riesenprofiten zulasten der Hochlohnländer. Millionen Wanderarbeiter durchziehen heute als wurzellose wirtschaftliche Verschiebemasse das Land. In Sonderwirtschaftszonen erzielt das internationale Kapital auf steuerfreie Weise Maximalprofite. Chinas Großstädte gleichen immer mehr einem chaotischen und amerikanisierten Mega-Chicago. An die Stelle der Roten Fahne tritt die rote Cola-Reklame. Der kapitalistische Kurs der chinesischen Kommunisten wird von Kritikern als "Mc-Maoismus" verspottet.
Wo liegen die Ursachen für das Scheitern eines nationalen Weges zum Sozialismus in den kommunistischen Ländern? Er ist nicht gescheitert, weil er unmöglich ist sondern weil er von Anfang an auf den Widerstand internationalistischer und dogmatischer Parteikreise stieß. Sie waren nicht bereit, das proletarische Massen - und Klassendenken zugunsten einer volksgemeinschaftlichen Perspektive zu überwinden. Nur mithilfe einer solchen Umorientierung wäre es möglich gewesen, alle übrigen schaffenden Schichten des Volkes (selbständiges Bauerntum, Mittelstand, schaffendes Kapital) auf schöpferische Weise in den Aufbau des Sozialismus miteinzubeziehen. In gleicher Weise lähmte auch der imperialistische moskaufixierte Zentralismus die nationalen Energien und Fähigkeiten der kommunistisch beherrschten Völker Europas. Unter dieser Vormundschaft litt insbesondere die Kreativität der Deutschen in der DDR, die sogar am Aufbau einer eigenen Flugzeugindustrie durch Moskau gehindert wurden. Die Ersetzung des Privatkapitalismus durch einen alles lähmenden Parteikapitalismus behinderte viele schöpferische und unternehmerische Kräfte im Volke. Dieser Parteikapitalismus war nicht in der Lage, über seinen roten Schatten zu springen, um die Stupidität einer eigentums - und verantwortungslosen Massengesellschaft durch die Kreativität einer gegliederten Volksgemeinschaft zu ersetzen. Anstatt das Steuer herumzureißen und alle nationalen Energien in den Völkern zum Aufbau eines wahren Volkssozialismus aller produktiv Schaffenden zu mobilisieren, sahen die führenden Parteifunktionäre angesichts der angerichteten wirtschaftlichen Katastrophe und des Drucks von unten nur noch die Möglichkeit einer Rettung ihrer Regime durch ausländische Kapitalinvestitionen. Das Betteln um fremde "Hilfe" war natürlich einfacher als die Reorganisierung vernachlässigter bzw. vernichteter nationaler Wirtschafts - und Sozialstrukturen im bäuerlichen und mittelständischen Bereich. Der Zusammenbruch des Kommunismus erfolgte 50 Jahre nach seinem von den USA finanzierten Sieg über den deutschen Nationalsozialismus. Im Gegensatz zum internationalen Sozialismus ist der nationale Sozialismus nicht von innen verfault sondern von außen zerstört worden. Dennoch muß auch dem Dritten Reich ein hohes Maß eigener Schuld an der Niederlage vorgeworfen werden. Der Sabotage internationaler Kreise bei der Nationalisierung des Sozialismus im Kommunismus entsprach die Sabotage reaktionärer Kreise innerhalb des Nationalsozialismus bei der Sozialisierung des Nationalismus. Dies bedeutete die fortwährende Existenz einer mit den Westmächten liebäugelnden Militär - und Wirtschaftsopposition, die mangelhafte Unterstützung national - und sozialrevolutionärer Bewegungen in Europa, das Schwanken zwischen einer englandfreundlichen West - und einer prorussischen Ostorientierung. Das Buhlen um die Gunst Englands führte zur strategischen Katastrophe von Dünkirchen. Die ungeklärte Haltung zu Rußland führte zu einer widersprüchlichen Besatzungspolitik mit teilweise kolonialistischen Auswüchsen. Dies begünstigte die kommunistische Partisanenbewegung und verlieh Stalin den Nimbus des Führers im "Großen Vaterländischen Krieg". Hauptnutznießer des Zusammenbruchs zweier sozialistischer Systeme im eurasischen Raum ist das internationale Kapital und sein us-imperialistischer Golem. Während in Deutschland Sozialstaat und Staatsbetriebe demontiert werden, versinkt Rußland und der ehemalige Ostblock im Sumpf von Drogensucht, Aids und einer wüsten kapitalistischen Geschäftemacherei. Armut und Not breiten sich überall in Europa schlagartig aus. Soziale Sicherheit wird von den kapitalistischen Propagandisten als "Wärmestube" verhöhnt Sie praktizieren dafür soziale Kälte und eine brutale Ellbogengesellschaft, die weder Wärme noch Geborgenheit kennt.
Rechte und linke Antikapitalisten gehören somit in der Tat zu den "Verlierern der Weltgeschichte". Allerdings enthält jede Niederlage in sich die Chance eines Sieges sowie auch jeder Sieg das Risiko einer Niederlage enthält. Kein Sieg währt ewig und kein Baum wächst in den Himmel. Dies gilt vor allem erst recht für ein wurzelloses System wie den Kapitalismus. Natürlich ist das Beschwören von Endzeitvisionen kein Ersatz für eine sinnvolle Politik. Hinweise für eine erfolgreiche antikapitalistische Strategie liefern uns die Gegner selbst mit ihren hysterischen Warnungen vor einem "rot-braunen" Bündnis von "Extremisten beider Lager". In Anlehnung an die einleitenden Worte des "Kommunistischen Manifests" läßt sich heute mit Fug und Recht behaupten: "Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Sozialnationalismus. Alle Mächte der westlichen "Werteordnung" haben sich gegen dieses Gespenst verbündet, Konzerne und Gewerkschaften, liberale Konservative und demokratische Sozialisten, CIA und Verfassungsschutz." Bereits 1944 warnte Friedrich August v. Hayek, ein unermüdlicher Einpeitscher des kapitalistischen Individualismus, in seiner polemischen Schrift "Der Weg zur Knechtschaft" vor Nationalismus und Sozialismus als den beiden gefährlichsten Feinden der Zivilisation (wie Hayek den Kapitalismus umschreibt). Ohne sich jetzt auf Einzelheiten dieser kaum differenzierenden Totalitarismus-Theorie einzulassen, muß festgestellt werden, daß sie auf einer fundamentalen Lüge beruht, wenn sie den Kapitalismus mit der Freiheit des Einzelnen gleichsetzt. Die kapitalistische Freiheit ist eine Dschungelfreiheit d.h. der wirtschaftlich Stärkste frißt den wirtschaftlich Schwächsten. Die Willkür des Marktes und der ihn beherrschenden Geldtyrannen bestimmt und begrenzt den persönlichen Spielraum und die Selbstentfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen bis zur Nullgrenze. Im Kapitalismus herrscht der Totalitarismus des Marktes und die Willkürherrschaft der Marktmachthaber. Gegenüber dieser kapitalistischen Wild-West-Freiheit bleibt die Idee der sozialen Gemeinschaft das wichtigste Bollwerk, um den Einzelnen vor der Knechtschaft des Kapitals zu bewahren. Nur die soziale Gemeinschaft gibt dem Einzelnen Halt, Geborgenheit und Selbstverwirklichungsmöglichkeiten. Denken wir nur an die Bildungspolitik, die in einem sozialistischen System allen die gleichen Chancen einräumt ohne Rücksicht auf Herkunft und Geldbeutel. Denken wir weiter an die Fülle von sozialen Gemeinschaftsaufgaben, deren Bewältigung vielen Menschen Selbstwertgefühl und Lebenssinn verleiht. Mit dem scheinbaren Endsieg des internationalen Kapitalismus und der globalen Machtergreifung einer größenwahnsinnigen internationalen Geldoligarchie wird sich überall in der Welt die nationale und soziale Frage mit voller und nie gekannter Entschiedenheit stellen. Der nationale Zorn über die Fremdherrschaft ferner internationaler Konzernzentralen wird sich verbinden mit der sozialen Empörung der Völker über den dadurch ausgelösten wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Niedergang. Dann ist die Stunde gekommen, in der sich alle Kräfte solidarisieren und vereinigen müssen, die den Antikapitalismus sowohl im rechten als auch im linken Lager immer als ein ernsthaftes Anliegen betrachtet haben. In Umrissen ist heute bereits schon eine antikapitalistische Aktionseinheit rechter und linker Kräfte sichtbar: In den "Antifaschistischen Nachrichten" (4/99) werden in einem von Jean Cremet verfassten Artikel "APO-Veteranen auf dem Eilmarsch nach rechtsaußen" interessante Namen genannt: Horst Mahler Günter Maschke, Reinhold Oberlercher usw. Es seien gerade die Alt-68er und früheren Kader des SDS, die die Theoriedebatte der extremen Rechten vorantreiben. Diese "rechten Leute von links" haben in der Tat durch ihren Kampf gegen die multikriminelle Massengesellschaft und die Amerikanisierung unseres Lebens die antikapitalistischen, antiimperialistischen und sozialistischen Wurzeln des Nationalismus wieder freigelegt. Als Linke haben sie bewußt einen Schlußstrich gezogen zur Antifa-Linken, die im Interesse des US-Imperialismus die eigene Nation beschmutzt. In gleicher Weise haben sie aber auch einer neoliberalen "Rechten" die antikapitalistischen Leviten gelesen. Im Zuge dieser Entwicklung hat sich auf der rechten Seite des politischen Spektrums die einst liberal-konservative Thadden-NPD in eine national - und sozialrevolutionäre Kraft einer antikapitalistisch gesinnten Jugend verwandelt. Mit ihren großen Volksaufmärschen bildet sie heute die Speerspitze des nationalen und sozialen Widerstandes gegen die kapitalistische Globalisierung in Deutschland. Sie bietet auch heimatlosen Linken eine Heimstatt, die das kapitalistische Überläufertum von SPD, Grünen und PDS aus Treue zu ihren alten Idealen verurteilen und bekämpfen. Mit dieser bewußt antikapitalistischen Positionierung hat die NPD das herrschende System gezwungen, die demokratische Maske fallen zu lassen, um zur Verbotskeule zu greifen. Gleichlaufend mit der Unterdrückung rechter Protestbewegungen erfolgt die Integration der Kommunisten in das kapitalistische Parteiensystem mit der Aufgabe, das soziale Protestpotential den Rechten zu entziehen und systemkonform "einzubinden". Diese Taktik wird umso nötiger, je mehr die Empörung der Deutschen über Ausländerinvasion, Abbau des Sozialstaates, Verschleuderung des Volkseigentums und Demolierung des Rentensystems um sich greift. Ob und inwieweit die PDS dieser Rolle gewachsen sein wird, ohne selbst dem Rechtsruck zu erliegen, ist heute bereits zu einer sehr interessanten Fragestellung geworden. Ende 2000 erfolgte in der PDS ein bemerkenswerter Führungswechsel. An die Stelle der radikal-antinationalen Gysi-Bisky Brie-Clique wurde Gabriele Zimmer zur neuen Vorsitzenden gewählt, die ungewohnte patriotische Töne anschlug. Dies löste bei den vorerst abgehalfterten Internationalisten scharfe Kritik aus. In ihrer Arbeit kann sich die neue Vorsitzende auf eine breite Mitgliederbasis und einen "Mittelbau" stützen, der im wesentlichen noch "DDR-patriotisch" geprägt ist. Für die meisten dieser Mitglieder ist das Wort "Vaterland" kein Unwort, über das man die Nase rümpft, wie es linke Weltbürger im Westen Deutschlands gerne tun. Die DDR wurde übrigens nie in dem Ausmaße russifiziert wie die BRD amerikanisiert. Nicht wenige deutsche Kommunisten empfanden der sowjetischen Führungsmacht gegenüber ein gewisses nationales Überlegenheitsgefühl. Nicht umsonst bremste der Große Bruder in Moskau die Aktivität des kleinen Bruders in Berlin, um das Hochkommen einer zweiten Führungsmacht im Ostblock zu verhindern. Moskau kannte und fürchtete nur zu gut die deutschen Tugenden wie Sauberkeit, Ordnung und Disziplin. Sie waren für die DDR Bürger keine "Sekundärtugenden" wie für den SPD-Kanzlerkandidaten und kleinen "Saar-Napoleon" Oskar Lafontaine, sondern wichtige Elemente einer "sozialistischen Menschengemeinschaft". Ausländer erhielten in DDR Ausbildungsmöglichkeiten aber kein Bleiberecht mit dem Recht auf Familiennachzug und Sozialhilfe. Mochte auch manche Bevorzugung der Ausländer (Zuweisung von Neubauwohnungen!) Unmut bei den einheimischen Deutschen erzeugen, Zustände wie in der ausländerüberschwemmten BRD waren in der DDR undenkbar. Von daher ist auch den heutigen PDS-Mitgliedern die Wahnidee einer multikulturellen Gesellschaft nicht zu vermitteln. Sollte die PDS in dieser Frage sich weiterhin internationalistisch positionieren, können sich mindestens 19% der PDS-Anhänger vorstellen, eine rechte Partei zu wählen. Wenn die PDS einer ungebremsten Zuwanderung allzu laut das Wort redet, könnte dies die Partei vor eine Zerreißprobe stellen (siehe auch Süddeutsche Zeitung 22.11.2000 S.5). Der vielgepriesene "proletarische Internationalismus" blieb in der DDR draußen vor der Tür der eigenen Datsche. Stattdessen erfolgte eine Pflege nationaler Traditionen auf dem Gebiete der Kultur, der Geschichte (Großer Deutscher Bauernkrieg, Freiheitskrieg gegen Napoleon, Wiederaufstellung des Denkmals Friedrichs des Großen Unter den Linden) und des Militärwesens (Uniformen und Militärparaden im Stile der früheren Wehrmacht). Die DDR wirkte insgesamt deutscher als die mac-donaldisierte BRD. Hätte die DDR den Mut zu einem "Preußischen Sozialismus" gehabt, wäre sie in der Tat zu einer gefährlichen Alternativordnung zum westdeutschen Ausbeuter - und Drogenparadies geworden. So aber hatte sie in ihrem heruntergewirt- schafteten Zustand dem Talmiglanz der westlichen Konsumwelt keine überzeugende Alternative entgegenzusetzen. Der real-degenerierende Kapitalismus hat jedoch in Mitteldeutschland vielen die Augen geöffnet. Das Positive von gestern und das Negative von heute führt auch und gerade in den Kreisen der SED-Nachfolgepartei PDS (der Gysi übrigens den Namen "Einheit und "Deutschland" mopste) zu einer brisanten Protesthaltung aus Nationalismus und Antikapitalismus. Aber auch darüber hinaus zeigen insbesondere die Mitteldeutschen im Gegensatz zu den Westdeutschen vielfach wieder jene Zivilcourage im Kampf gegen Überfremdung und andere westliche Zumutungen, die sie einst beim Ansturm auf die Mauer am 9. November 1989 bewiesen. Damit verbunden ist die Idee einer sozialen Volksgemeinschaft, die der Willkür einer internationalen Geldoligarchie nationale Grenzen setzt, die Eigentumskonzentration durch breite Eigentumsstreuung überwindet und den Geist der Volkssolidarität über den Ungeist der Ellbogengesellschaft zum Siege verhilft. Wer nicht zurück will ins liberale Neandertal, der muß als Linker und Rechter gemeinsam den Weg zu einer gemeinschaftsverpflichteten Sozialistischen Nation beschreiten. Tony Cliff
Lenin 1
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“Gute Streiks” ? |
“Böse Streiks” ? | |
Juni 1953: Wenn’s nach dem bundesdeutschen Chefhistoriker Guido Knopp geht, fand da die erste deutsche Revolution statt, was Lenin Lügen strafen würde, da der doch tatsächlich mal behauptete, die Deutschen würden zuerst eine Bahnsteigkarte lösen, bevor sie Revolution machten (ZDF, 1.6.03). Da sich der so genannte Volksaufstand des 17. Juni aber weniger auf Bahnsteigen abspielte, behält Lenin vielleicht doch recht. Begonnen hat das, was Knopp “Revolution” nennt und so super findet, mit Streiks in Betrieben gegen Normenerhöhung. Scharfe Einschnitte in die Versorgungslage der Bevölkerung ohne ausreichende Diskussion, hatten großen Unmut hervorgerufen. Westberlin und Westdeutschland nutzten die Gunst der Stunde und mischten sich völkerrechtswidrig in diese inneren Auseinandersetzungen ein, um das von Anfang an verfolgte Ziel der Einverleibung der DDR zu erreichen. Die Medien heizten die Stimmung gewaltig an und viele Westberliner und BRD-Bürger randalierten kräftig mit. So mussten schließlich (acht Jahre nachdem sie das deutsche Volk vom Hitlerfaschismus befreit hatten) sowjetische Panzer verhindern, dass der Versuch, auf deutschem Boden den Sozialismus aufzubauen, schon im Keim erstickt wurde. Dies brachte uns 36 Jahre mehr an Erfahrung und die längste Friedensperiode imperialistischer Zeiten! Dass dieser Versuch schließlich doch noch scheiterte und uns 1990 einholte, was uns 1953 noch erspart geblieben war, erleben wir tagtäglich mit Bildungskürzungen, fehlenden Lehrstellen, Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und massiver Aufrüstung zur Kriegsvorbereitung. Lasst uns die großdeutsche Katastrophe diesmal rechtzeitig verhindern! |
Juni 2003: Die IG Metall ruft ihre Beschäftigten in den ostdeutschen Betrieben zum Streik auf für die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, die im “Westen” lange tariflich umgesetzt ist. Ein Aufheulen geht durch die Medien. Laurenz Mayer (CDU) meinte bei Sabine Christiansen, dass die ostdeutschen IGM-Funktionäre “völlig irre” geworden seien und den “letzten Standortvorteil” Ostdeutschlands vernichten wollen (1.6.03). Aber was hat uns dieser Standortvorteil gebracht? Massenarbeitslosigkeit oder 3 Euro fuffzich die Stunde? Dieser Streik ist also absolut böse, soll uns zumindest verklickert werden. Da hat Angela Merkel (auch CDU) eine Super-Idee, denn sie sieht schon ein, dass Gerechtigkeit vonnöten ist: Nicht die ostdeutschen Metaller sollen 35 Stunden arbeiten, sondern die westdeutschen wieder 38 Stunden wie ihre Kollegen aus dem “Osten”. Die FDJ hatte ihren Mitgliedern also doch ein bisschen Marx beigebracht, und Ex-FDJlerin Angela hat brav aufgepasst und gelernt, dass die Kapitalisten zur Steigerung ihres Profits täglich möglichst lange ausbeuten müssen. Wenn sich die IGM durchsetzte, würden dem Kapital, das Frau Merkel ja nun vertritt, doch jeden Tag 36 Minuten geklaut. Bei Merkels Vorschlag kriegte es 36 Minuten geschenkt, und das bei einer höheren Zahl Erwerbstätiger im Westen als im Osten! Weiter so, Angela! Da gab’s kürzlich noch einen Streik, der war offenbar sogar so schlimm, dass man ihn lieber gleich tot schwieg: Im April streikten 4000 Schweinfurter Arbeiter gegen den Sozialraub Na, wenn das Beispiel Schule machte! | |
Lieber sozialistische Experimente als großdeutsche Katastrophen! |
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An die streikenden Metaller im Bezirk Berlin/Brandenburg-Sachsen
Solidarität mit eurem Kampf!
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"Bodo Finger, du verbaust uns die Zukunft, wir deine Tür" war das Motto der sächsischen IGM-Jugend, als sie am 5. Juni den Eingang der Chemnitzer Zahnradfabrik GmbH zumauerten. Der VSME hatte zum 1.5. den Flächentarif gekündigt, und damit die Übernahmegarantie ausgehebelt. Eine gute Aktion, denn andere Sprache scheinen sie nicht zu verstehen, die Herren von den Unternehmerverbänden. Der Kampf, den ihr mit eurem Streik führt, der ist auch für uns! Die Arbeitslosenzahlen erreichen mal wieder Rekordzahlen, es sind die höchsten Maizahlen seit der so genannten "Wiedervereinigung". Bloß was ist wiedervereinigt, wenn im Osten immer noch länger gearbeitet werden muss als im Westen? Und dass längere Arbeitszeiten Arbeitsplätze sichern würden, gehört zu den Ammenmärchen, mit denen sie uns seit 13 Jahren einlullen wollen. Und was ist wiedervereinigt, wenn die Arbeitslosenquote im Osten bei 18,6% liegt und im Westen bei 8,2%? Wir buckeln länger und für weniger Geld und als Dank sinkt nicht die Arbeitslosigkeit, sondern der Arbeitslose in die Sozialhilfe. Und im Angesicht von schon rein rechnerisch 170.000 fehlenden Lehrstellen meint Frau Bulmahn, dass Jugendliche, die sich "unbedingt auf eine bestimmte Ausbildung" versteifen, auch kein Recht auf Sozialhilfe hätten. Wo bleibt denn ihr tolles Grundgesetz, nach dem man ein Recht auf freie Berufswahl hat und auf Freizügigkeit (schließt auch ein, dass man zu Hause im Osten bleiben darf, wo man aufgewachsen ist)? So hatten wir uns das nicht vorgestellt, und wenn die Unternehmerverbände und deren Regierung mauert - wir können das auch! Viel Erfolg für eueren weiteren Kampf bis zum Sieg! Mit solidarischen Grüßen |