Das Ende der Menschlichkeit
Der Weg in den Krieg und zum Genozid
Von Prof. Dr. Dietrich Eichholtz
Es gibt Historiker, deutsche und ausländische, die behaupten, die Hitler-Regierung sei bis zum Krieg, jedenfalls bis 1938, eine normale europäische Regierung gewesen; sie habe Deutschland mit durchaus zu akzeptierenden Mitteln »national befreien« (Ernst Nolte) und wieder zu Größe und Ansehen führen wollen. Was für eine Fehlleistung, was für eine schändliche Täuschung des Publikums!
Seit dem 30. Januar 1933 fiel diese Regierung – ganz abgesehen von der rassistischen Verfolgung von Juden – mit blutigem Terror über Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Pazifisten, alle Antifaschisten her. Vom ersten Tage an bereitete sie jenen Revanche- und Eroberungskrieg großen Maßstabs vor, über den Hitler schon oft genug mit aller wünschenswerten Offenheit geredet und geschrieben hatte. Der »Führer« war sich hierin einig nicht nur mit dem engeren Kreis seiner Paladine, willigen und skrupellosen Erfüllungsgehilfen, sondern vor allem auch mit der Crème der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Eliten. Ihre schon früh gestellten Forderungen waren jetzt Regierungsprogramm: Beseitigung der Arbeiterparteien und der Gewerkschaften und der von ihnen erkämpften sozialen und demokratischen Errungenschaften, Auslöschung der Niederlage im Weltkrieg 1914-1918, Vorbereitung eines erneuten »Griffs nach der Weltmacht«.
Am 3. Februar 1933, vier Tage nach seiner Ernennung, legte der neue Reichskanzler vor der Reichswehrgeneralität die Marschroute für die künftige rabiate Aufrüstungs- und Außenpolitik dar: Erst die »Ausrottung des Marxismus mit Stumpf und Stiel« und der »Aufbau der Wehrmacht«, dann die »Eroberung neuen Lebensraumes im Osten und dessen rücksichtslose Germanisierung«. Im »Ostraum«, aber auch im übrigen Europa und in einem erweiterten deutschen Kolonialreich hatten die Militärs und die Wirtschaftsbosse schon seit langem die Ziele eines neuen Krieges ausgemacht. Sie wussten allerdings, besser als Hitler, dass Deutschland vorläufig für einen modernen Krieg selbst nur begrenzten Umfangs nicht gerüstet war. Aber die Diktatur machte ihnen außen- und innenpolitisch den Weg zur Hochrüstung frei. So entstand in wenigen Jahren ein stark motorisiertes Massenheer, fast aus dem Nichts eine bedrohliche Luftwaffe und eine Über- und Unterwasserstreitmacht, die der britischen Flotte standhalten sollte.
Der Eindruck, der später aufkam, nämlich dass ganz Deutschland begeistert Hitler in den verbrecherischen Krieg gefolgt sei, ist falsch. Was die Masse der arbeitenden Bevölkerung betraf, so war sie freilich gefügig gemacht worden. Ein erheblicher Teil hing sogar gläubig dem falschen Führer und Propheten an. Nicht nur der Terror hatte sie eingefangen, der jeden Nichtangepassten bedrohte. Es war der wirtschaftliche Aufschwung, das heißt die Rüstungskonjunktur, die die Arbeitslosen zur Arbeit oder in die Armee holte; es waren die außenpolitischen Erfolge des von kurzsichtigen ausländischen Politikern geförderten Hitler; es war die gefährliche Propaganda, das Geschrei von der »Volksgemeinschaft« und von dem deutschen Anspruch auf »Weltgeltung«, das zugleich Feindbilder prägte: Juden, »Bolschewiken«, »Plutokraten«. Ungezählte Handlanger, Denunzianten, Mordgehilfen rekrutierte der Faschismus aus dem Bodensatz der Gesellschaft. Verblendung, Dummheit und Verrohung nahmen schrecklich zu. Aber falsch bleibt es zu glauben, dass die breite Bevölkerung auch nur die geringste Lust auf Krieg hatte, geschweige denn auf einen großen, risikoreichen.
Das war ganz anders bei jenen, die Hitler die Mittel zum Kriegführen schufen: die Militärs, das große Kapital und die Diplomatie. Seit 1938, nach der Annexion Österreichs und des Sudetengebiets, als die letzten Skeptiker in diesen Kreisen verstummt oder kaltgestellt worden waren, beschäftigten sich alle mit Kriegszielen: mit dem Erdöl Galiziens und des Kaukasus, der Kornkammer der Ukraine, mit einem riesigen subsaharischen Kolonialreich, mit der Zwangsarbeit fremder Völker im »Großwirtschaftsraum«. Nicht einmal sehr geheim ging es dabei zu, so dass auch ein Ausländer wie der prominente Schweizer Diplomat Carl J. Burckhardt in Berlin interessante Unterhaltungen hatte (Dezember 1938): »Beiläufig, aber wiederholt sprach man von der Ukraine, sogar von Baku! was mir vom geographischen Standpunkt aus ziemlich verwegen erscheint...« Und 1940, nach dem Sieg in Westeuropa, tauchten dann auf einmal jene monströsen »Neuordnungs«- und Weltherrschaftspläne der Großkonzerne und der großen Industrieverbände auf, die offenbar schon seit den Jahren des Ersten Weltkrieges in den Schubladen geschmort hatten und jetzt in Eile auf den neuesten Stand gebracht worden waren.
Rassismus und Antisemitismus gehörten zur geistigen Aufrüstung und zur psychologischen Kriegführung ebenso wie Antikommunismus und Antibolschewismus. Aus dem Wust dieser und anderer reaktionärer Ideenkonstrukte und Konzepte hatten Hitler und seine Ko-Ideologen ihre Völkermordkonzeption destilliert. Der »Kampf gegen die jüdische Weltbolschewisierung« und die Verdrängung und Vernichtung von »minderwertigen Rassen« und Völkern waren bei Hitler stets verschränkt mit der Gewinnung von »Lebensraum«, mit dem Kampf um »Ölfelder, Gummi, Erdschätze usw.« (23. 11. 1939).
Die »Rassenkriegs«ideologie hatte also den Effekt, das Volk für den Krieg um »Lebensraum«, das heißt für imperialistische Ziele, reifzumachen und zu disziplinieren. Auch für ihre Urheber selbst begründete sie den höheren Sinn des Krieges und der Kriegsverbrechen als Kampf der überlegenen »Herrenrasse« gegen »niedere Rassen«. Rassenideologie und Vernichtungspolitik hatten ferner einen durchaus rationalen Kern: die dauernde »Sicherung« (ein Lieblingsbegriff der NS- und militärischen Führung) der zu erobernden Herrschaftsgebiete gegen jeglichen realen oder potenziellen Widerstand der Unterdrückten. Und so sah das Endresultat jenes 30. Januar 1933 zwölf Jahre später aus: Fast vierzig Millionen Tote in Europa (ohne Vermisste), Brand- und Schädelstätten tausendfach; allein zehn Millionen wehrlose Ermordete, darunter ganze Völker und »Rassen« mitsamt Frauen und Kindern. Niemand wird je die Zahl der Umgebrachten exakt bestimmen können.
Aber von den größten Verbrechen sind Zahlen bekannt: Fünf bis sechs Millionen Juden sind umgebracht worden, davon die Hälfte in den Vernichtungslagern, über eine Million in der UdSSR, eine Million in den Konzentrationslagern und bei der Zwangsarbeit, 700000 in fahrbaren Gaswagen. Sinti und Roma wurden in Deutschland und im ganzen besetzten Europa systematisch umgebracht. Ihre Gesamtzahl ist unsicher, liegt wahrscheinlich über 500000. Von insgesamt 5,6 bis 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen sind 3,3 Millionen in deutschen Kriegsgefangenenlagern, KZ- und Arbeitslagern umgekommen, wenn nicht direkt ermordet, dann durch Hunger und Krankheit. Schwer zu beziffern sind die Morde an jenen sowjetischen Zivilisten, die SS und Wehrmacht bei ihren Vernichtungsaktionen gegen die Partisanen umgebracht haben. Jedenfalls geht ihre Zahl in die Hunderttausende. Himmlers oberster »Banden«bekämpfer, SS-Obergruppenführer von dem Bach, erklärte später vor Gericht, »dass der Kampf gegen die Partisanenbewegung ein Vorwand für die Ausrottung der slawischen und jüdischen Bevölkerung war«. Die Belagerung Leningrads durch die Wehrmacht forderte etwa 700000 zivile Opfer in der Stadt, die an Hunger und Kälte zu Grunde gingen. Die Bevölkerung der sowjetischen Millionenstädte auszuhungern oder anders zu vernichten, war ein Grundbestandteil der Strategie Hitlers und der Wehrmachtsführung. Ihre Liquidierung sollte, so Hitler, eine »Volkskatastrophe« auslösen, »die nicht nur den Bolschewismus, sondern auch das Moskowitertum der Zentren beraubt«. In Stalingrad wäre, nach Einnahme der Stadt, »die gesamte männliche Bevölkerung beseitigt«, die übrige zur Zwangsarbeit abtransportiert worden. Hinzu kommen die »Euthanasie«-Opfer, in Deutschland etwa 190000, wahrscheinlich einige hunderttausend erschossener Widerstandskämpfer und Geiseln im besetzten Europa, die »Sühne«morde an ganzen Dorfeinwohnerschaften in Griechenland, Frankreich und anderswo – und nicht zuletzt die deutschen Nazigegner, die unter den allerersten und unter den letzten Opfern waren
In Neonazikreisen versucht man häufig, viele Verbrechen der SS und der Wehrmacht mit der "Haager Landkriegsordnung" zu rechtfertigen. Man sagt dort z.B.: Einzelmorde, Massaker und massenhafte Geiselerschiessungen von Unschuldigen, von Verdächtigen und von Kriegsgefangenen wären durch Verstöße des Gegners gegen die Haager Landkriegsordnung gerechtfertigt. Man unterschlägt dabei jedoch, daß die Sowjetunion die Haager Landkriegsordnung nicht unterzeichnet hatte und die Nazis damit auf dem Gebiet der Sowjetunion zu keinen solchen Praktiken wie Geiselerschiessungen, Abschreckungsmassnahmen, usw. hätten greifen dürfen und die Nazis selbst häufig die Landkriegsordnung verstießen, auf die sie sich beriefen. Völlig willkürlich und selektiv handhabten die Nazis das damalige Kriegsrecht, ebenso willkürlich mißbrauchen es die Neonazis für Rechtfertigungen der Kriegsverbrechen. Für eine andere Art der Rechtfertigung nutzen die Neonazis gerade den Fakt, daß die UdSSR der Haager Landkriegsordnung und dem Genfer Abkommen für Kriegsgefangene nicht beigetreten war, wodurch dann als rechtens unterstellt wird, daß Hitlerdeutschland im Krieg gegen die UdSSR zu deren Einhaltung nicht verpflichtet war.
Verfälscht wird dabei, daß der am 1. September 1939 begonnene Krieg auch vor dem 22. Juni 1941 kein völkerrechtskonformer »Normalkrieg« war, sondern bereits am ersten Tag mit Kriegsverbrechen begann, nämlich mit der Bombardierung der offenen Stadt Warschau. Verschwiegen wird, daß die UdSSR-Regierung erklärte, sie wollte sich, obwohl den genannten Abkommen bisher nicht beigetreten, sehr wohl an sie halten.
Auch in den übrigen besetzten Ländern, die diese Landkriegsordnung unterzeichnet hatten, gingen die Verstöße gegen diese und andere Ordnungen und Gesetze zuerst immer von der SS und Wehrmacht aus.
Der Bruch von nationalen und internationalen Gesetzen und Verträgen durch Hitlerdeutschland begann schon lange vor dem Bruch des Nichtangriffsvertrages mit der UdSSR ,lange vor 1941. Beispiele sind:
++ der vielfache Bruch des Versailler Vertrages,
++Anzünden des Reichstages und der darauffolgende Terror durch die SA und
NSDAP
++ der Bruch des Münchner Abkommens (durch die Annexion der gesamten
Tschecheslowakei,
++Annexion Österreichs,
++Bombardierung von Warschau, seit 1939 bis 1945 wurden dann 20 % bis 25 %
der polnischen Bevölkerung umgebracht
++ethnische Säuberungen in ganz Europa,
++ alle europäischen Kriege zwischen 1914 und 1945 sind von Deutschland,
Österreich und Italien ausgegangen und stellen schon an sich einen Bruch
internationalen Rechts dar,
++ der Bruch der Haager Landkriegsordnung durch Bombenterror zuerst auf
die spanische Republik (Guernica) und später auf andere Länder (Coventry,London,Warschau, u.a.),
++ der Bruch der Haager Landkriegsordnung und anderer Verträge und Gesetze
durch Massenmorde, unmenschliche Maßnahmen und Massaker innerhalb und
ausserhalb von Deutschland an politisch Andersdenkenden, Kriegsgegnern ,
Kriegsdienstverweigerern, SPD und KPD-Mitgliedern, Gewerkschaftern,
politischen Funktionären, an der geistigen Führungsschicht annektierter Länder, an Kranken, Behinderten, an Homosexuellen, an Sinti, Roma, Juden, an rassisch Verfemten und "nichtarischen" Völkern ("Untermenschen"), an Kriegsgefangenen usw. ,
++Landfriedensbruch gegen die annektierten Länder,
++der völkerrechtswidrige Barbarossa-Befehl Hitler, der
völkerrechtswidrige und kriegsrechtswidrige Kommissarsbefehl
(Kommunistenbefehl) Hitlers,
++völkerrechtswidrige Verordnungen,Weisungen z.B. gibt es einen Vermerk
über Ausführungen des Reichsmarschalls Göring vom 24. September 1942, nach
denen die"Ostlegionäre"(Einheiten aus Kollaborateuren) in den ihnen
zugewiesenen Gebieten morden, brennen und schänden durften;
++millionenfacher Hausfriedensbruch in den annektierten Ländern,
++Bruch zahlreicher Landesgesetze in den annektierten Staaten (z.B.
Entführung, Verschleppung, Geiselnahme, Zwangsarbeit, Enteignungen,
absichtliches Verhungernlassen von Städten und Dörfern, Diebstahl, Raub
("Requirieren", "Beschlagnahme"), massenhafte Sachbeschädigung, "verbrannte
Erde", Plünderungen, Folterung, biologische Experimente, Verstümmelung,
grausame und unmenschliche Behandlung, Morde, Massenmord, Vergewaltigungen,
Vertreibungen ("Umsiedlungen",Deportation,Ghettos)),
++zahlreiche Verbrechen gegen die Menschlichkeit und das Völkerrecht in
den KZs;
++Die Haager Landkriegsordnung verbot kategorisch den
Zwangsarbeitereinsatz von Zivilpersonen aus eroberten Gebieten. Die
Zwangarbeit durch die Hitlerfaschisten war systematisches Unrecht, die
Anschläge auf das Leben der Zwangsarbeiter ein Verbrechen
(Allein aus der Ukraine wurden über zwei Millionen Menschen als
Zwangsarbeiter ins Reich transportiert.);
++Zwangsabtreibungen bei Zwangsarbeitern, Trennung der Kinder von ihren
Eltern, zwangsweise Kinderarbeit, Massenmorde an Kindern und Frauen in
KZs und ausserhalb in den annektierten Staaten und in Deutschland;
++Bruch aller Religionsgesetze der katholischen und evangelischen und
orthodoxen Kirchen;
....
Man sieht, wer mit unzähligen Gesetzesbrüchen und Vertragsbrüchen begonnen und gewütet hat- die Hitlerfaschisten, in allen Ländern in denen sie waren und nicht zuletzt auch in Deutschland selbst, wo sie mit ihren Gesetzesbrüchen begannen
Ebenso hat ja auch die BRD nach 1990 zahlreiche Verträge, Abkommen und Gesetze gebrochen beim Krieg gegen
Jugoslawien, Afghanistan, hat den Einigungsvertrag und den 2+4 Vertrag mehrfach gebrochen(z.B."von deutschem Boden geht kein Krieg mehr aus"), den
UNO-Vertrag, die Genfer Konvention, das Potsdamer Abkommen, den NATO-Vertrag, das Völkerrecht, das eigene Grundgesetz und Strafgesetz, und nicht zuletzt die Haager Landkriegsordnung (z.B. in Jugoslawien durch
Bombenterror auf Zivilisten und Städte und zivile Infrastrukturen wie Krankenhäuser, Kraftwerke, Wasserversorgung, Stromversorgung, zivile Radio- und Fernsehstationen, Unterstützung von Terroristen, radioaktive Geschosse("schmutzige Bomben"),Streubomben, Splitterbomben, ...; in Afghanistan durch die KSK-Todeskommandos, ...).
Aktennotiz über eine Besprechung der Hitlerschen Staatssekretäre vom 2.5.1941
1. Der Krieg ist nur weiter zu führen, wenn die gesamte Wehrmacht im 3. Kriegsjahr aus Rußland ernährt wird.
2. Hierbei werden zweifellos zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Lande herausgeholt wird.
3. Am wichtigsten ist die Bergung und Abtransport von Ölsaaten, Ölkuchen, dann erst Getreide. Das vorhandene Fett und Fleisch wird voraussichtlich die Truppe verbrauchen.
4. Die Beschäftigung der Industrie darf nur auf Mangelgebieten wieder aufgenommen werden, z.B. die Werke für Verkehrsmittel, die Werke für allgemeine Versorgungsanlagen (Eisen), die Werke für Textilien, von Rüstungsbetrieben nur solche, bei denen in Deutschland Engpässe bestehen."
Quelle:
Ueberschär Gerd R. u. Wolfram Wette (Hg.): "Unternehmen Barbarossa". Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion 1941. Berichte, Analysen, Dokumente. Paderborn 1984, S. 377 (Aktennotiz) u. S. 387 ff. (Richtlinien).
Hitlers Vorgaben zum Vernichtungskrieg Notizen von Generaloberst Halder aus Hitlers Ansprache vom 30.3.1941 vor 250 Generälen und hohen Offizieren: Hitler in "Mein Kampf" 1925/26:
Wirtschafts- und Hungerpolitik
Militanter Antibolschewismus als ideologische Grundlage
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Bei den Vorbereitungen für den Rußlandfeldzug traf Hitler als oberster Gerichtsherr des Deutschen Reiches Bestimmungen, die weder mit dem Völkerrechts noch mit dem innerstaatlichen Recht (MStGB, KSSVO) übereinstimmten und von der Wehrmacht neue Verhaltensweisen verlangten. Zum einen beseitigte der Barbarossa-Befehl vom 13.5.1941 den Verfolgungszwang bei Straftaten von Soldaten gegenüber der Zivilbevölkerung, ein Rückfall in die Barbarei. Zum zweiten standen auf dem Boden der Sowjetunion keine Zivilisten vor deutschen Wehrmachtgerichten. Bei Verstößen gegen die von der Besatzungsmacht festgelegte Ordnung übernahm die Truppe die Bestrafung. Die Militärgerichte hatten ihre Zuständigkeit für Zivilisten, Partisanen, Partisanenhelfer usw. verloren. Deren Schicksal lag in Zukunft in der Hand von deutschen Offizieren. Nach den Weisungen des für das Rechtswesen des Kriegsheeres zuständigen Generals Eugen Müller war der Begriff des Partisanen großzügig auszulegen. In Zweifelsfällen über die Täterschaft sollte der Verdacht genügen. Auch bloße Tatverdächtige durften auf Befehl eines Offiziers, gleich welchen Dienstgrades, erschossen werden, damit war der Willkür Tür und Tor geöffnet.
Der Krieg gegen die Sowjetunion unterschied sich grundsätzlich vom Krieg im Westen, nur er wurde als Vernichtungskrieg geplant und geführt. Er war auf verbrecherische Ziele gerichtet und bediente sich verbrecherischer Mittel. Die meisten und die schlimmsten Verbrechen beging die Wehrmacht nicht bei Kampfhandlungen, sondern als Besatzungsmacht: mit dem Verhungernlassen der Kriegsgefangenen, den Massenrepressalien gegen die Zivilbevölkerung, der oft mörderischen Zwangsarbeit, den Judentransporten und dem Völkermord an den Juden. Mit der Dauer des Krieges wuchsen Zahl und Intensität der Verbrechen und der daran beteiligten Soldaten.
Martenssche Klausel in der Präambel der Haager Landkriegsordnung : "Solange, bis ein vollständiges Kriegsgesetzbuch festgestellt werden kann, halten es die hohen vertragschließenden Parteien für zweckmäßig, festzusetzen, daß in den Fällen, die in den Bestimmungen der von ihnen angenommenen Ordnung nicht einbegriffen sind, die Bevölkerung und die Kriegführenden unter dem Schutz und der Herrschaft der Grundsätze des Völkerrechts bleiben, wie sie sich ergeben aus den unter gesitteten Völkern feststehenden Gebräuchen, aus den Gesetzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens". Damit waren Folter, Heckenschützentum, Nichtversorgung von Verwundeten und Zwangsmaßnahmen gegen Frauen und Kinder grundsätzlich in Acht und Bann.
- "Das Eigentum der Gemeinden und der dem Gottesdienst,
der Wohltätigkeit, dem Unterricht, der Kunst und der Wissenschaft
gewidmeten Anstalten, auch wenn diese dem Staat gehören,
ist als Preivateigentum zu behandeln.
Jede Beschlagnahmung, jede absichtliche Zerstörung oder
Beschädigung von derartigen Anlagen, von geschichtlichen Denkmälern
oder von Werken der Kunst und Wissenschaft ist untersagt
und soll geahndet werden." Artikel 56 des Abkommens betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges, Den Haag, 1907
An ihren Taten werdet ihr sie erkennen! | ||
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Sie reden vom Frieden und rüsten zum Krieg!
(...)
Die Empfänglichkeit der Bevölkerung für soziale Phrasen brachte die Faschisten dazu, sich als Sozialisten zu tarnen – jedoch mit der Volksgemeinschaft gegen den Rest der Welt als Ziel. Diese Tarnung ermöglichte u.a. den rechten Sozialdemokraten die Verbreitung der Totalitarismusdoktrin. Unter der Parole “Rechts gleich Links” wurden linke Sozialdemokraten und Kommunisten verfolgt, unter dem Vorwand der wehrhaften Demokratie wurde der Abbau der selbigen vorangetrieben. So war die Antwort der Ebert-Regierung auf den faschistischen Putschversuch am 9. November 1923 zwei Wochen später das Verbot der KPD.
Doch wer als Demokrat nichts gegen die Kommunistenverfolgung sagte, half sich nicht damit. Nach der Machtübergabe am 30. Januar 1933 sahen sich nach und nach immer größere Teile der Bevölkerung dem Staatsterror gegenüber – demagogisch verbrämt, wie z.B. die faschistische Polizei als “Freund und Helfer”. Am 27. Februar ließ Göring den Reichstag anzünden und bedauerte noch im kleinen Kreis, dass nicht „die ganze Bude niedergebrannt“ sei. 1. Der Brand diente als Vorwand für das Verbot der KPD und die Notverordnung “Zum Schutz von Volk und Staat”, welche beinhaltete: die Abschaffung der persönlichen Freiheit, der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechts, Eingriffe in das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis und beliebige Hausdurchsuchungen sowie die Todesstrafe auf antifaschistische Tätigkeit. In Dachau wurde noch im selben Jahr mit großem Pomp das erste KZ errichtet.
Am 2. Mai 1933 wurden die Gewerkschaften zerschlagen. Am 10. Mai folgte die Bücherverbrennung – über 4000 Bücher wurden verboten. Selbst jetzt noch gab es Arbeiter und Arbeitervertreter, die glaubten, mit der Bourgeoisie Kompromisse schließen zu können: “Die Sozialdemokraten stimmten einmütig gegen das Ermächtigungsgesetz, sehr zu ihrer Ehre. Einige Wochen später billigten sie mit gleicher Aufrichtigkeit die Unterstützung der Hitlerschen Außenpolitik.” 2 Man kannte wie schon 1914 keine Parteien mehr, nur noch Deutsche, und es erhob sich am 17. Mai 1933 ein von der KPD gesäuberter Reichstag zum gemeinsamen Absingen des Deutschlandliedes – ein Ereignis, welches sich erst am 9. November 1989 wiederholen sollte. Es nutzte nichts, die SPD wurde am 22. Juni verboten.
Schließlich wurde auch die konservative und faschistische Konkurrenz (Zentrum, Stahlhelm, Anthroposophen, Burschenschaften etc.) gleichgeschaltet oder verboten. Auch in der NSDAP selbst herrschte der Terror – am 30. Juni 1934 (“Röhmputsch”) wurden allein in Stadelheim 122 Faschisten von ihresgleichen ermordet. Als 1935 die Unterstützung durch den Vatikan gesichert war, gab es auch keine Gnade mehr für antifaschistische Priester und Christen. Nicht zu vergessen: die antisemitische Hetze – allein bis Ende 1935 wurden 100.000 Menschen, die durch das Regime als “Juden” verfolgt wurden, unter Raub ihres Eigentums vertrieben oder deportiert. Aufhetzen eines Teils der Einwohner Deutschlands gegen einen anderen dient letztlich der Kriegsvorbereitung: wer zuhause Jagd auf In- und Ausländer macht, tut dies auch mit dem Gewehr in der Hand außerhalb der deutschen Grenzen.
Beschwert wurde sich lautstark über mangelnde Demokratie in den Nachbarländern, so hatte es z.B. in der Tschechoslowakei laut Hitler seit Kriegsende keine freien Wahlen mehr gegeben. Der Feind war wie üblich auch hier nur eine Person – “Diktator Benesch” –, nicht die gesamte Bevölkerung, der man ja die “Freiheit” zu bringen predigte.
Die Gleichschaltung der Wirtschaft begann schnell, z.B. mit dem Gesetz zum Reichsnährstand am 13. September 1933, welches die totale Kontrolle der Lebensmittelversorgung zur Folge hatte. Die dadurch mögliche künstliche Verknappung – ebenso wie Streichungen beim Wohnungsbau – gab der Lüge vom “Volk ohne Raum” zusätzlichen Nährboden. Damals brauchte es zwei Jahre Faschismus zur Einführung der Wehrpflicht am 16. März 1935. Im Jahr darauf wurde der Vierjahresplan unter der Devise “Kanonen statt Butter” verkündet, mit dem die deutsche Wirtschaft kriegsfähig gemacht werden sollte. Einer der ersten großen Tests der Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wehrmacht war ab dem 13. November 1936 das “Kriegsspiel” in Dresden.
(...)
Die Bekämpfung der Arbeitslosen
Durch zahlreiche Vergünstigungen, z.B. bei der Verpflegung wurde gerade die Jugend systematisch zur Rüstungsarbeit und zum Morden angelernt: “Zum Teil hoffen die Jungen später in der Wehrmacht ein gutes Fortkommen zu finden. ... wandern gerade Lehrlinge aus Handwerksbetrieben in Industriebetriebe ab, vielfach auch zur Wehrmacht (Feinmechaniker, Elektrotechniker, Kraftwagenschlosser), wo sie sich für längere Dienstzeiten verpflichten.” 3 Die Zuckerchen für den Schützengraben wirkten umso stärker, je schlechter die Lage des Proletariats wurde: steigende Säuglings- und Kindersterblichkeit, steigende Zahl der Arbeitsunfälle, längere Arbeitszeit, v.a. bei Frauen, da sie bei rund 45 Pfennig Stundenlohn nur 2/3 des Männerlohns bekamen, steigende Preise usw. Gesetzliches Maximum war der 16-Stunden-Tag.
Die Arbeiter sahen sich immer strengeren Regelungen ausgesetzt, die in offener Sklaverei endeten. Bereits am 20. Januar 1934 wurden die Betriebsräte abgeschafft. Das am 26. Juni 1935 verabschiedete Gesetz zum Reichsarbeitsdienst verpflichtete außerdem alle Männer zwischen 18 und 25 Jahren zur Zwangsarbeit – außer man war bei Wehrmacht, SA oder SS. Die freie Wahl des Arbeitsplatzes wurde am 27. November 1936 abgeschafft: eine Kündigung war nur noch mit Erlaubnis des Arbeitsamtes möglich.
Statt Konsumgütern importierte Deutschland Rohstoffe für die Rüstung – Kanonen statt Butter, wie angekündigt. All diese Opfer versuchten die Faschisten zu fordern mit der Behauptung, dies diene der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Doch wer einen Blick auf die Haushaltspläne wirft, der erkennt, wofür die Opfer verlangt wurden: Der Anteil der Rüstungsausgaben am Volkseinkommen stieg von 6% 1933 kontinuierlich auf 34% bei Kriegsbeginn. Nimmt man noch die versteckte Vorbereitung, z.B. den Autobahnbau, kommt man locker auf 50%! Ein Staat, der ein Drittel des Volkseinkommens für die Rüstung ausgibt, bereitet sich auf den Krieg vor – die einzige kapitalistische Lösung der Arbeitslosenfrage: “Die ‚Beseitigung der Arbeitslosigkeit‘, das war der Reklameschlager, mit dem es der Nazipartei gelang, auch einen Teil der Arbeiter irrezuführen.” 4 “Manch junger Arbeiter in Deutschland konnte lange nicht verstehen, welcher Zusammenhang zwischen Hitlers ‚Arbeitsbeschaffung‘ von 1933 und dem Kriegsbeginn im Jahre 1939 besteht” “Jetzt, zwölf Jahre später, sieht das deutsche Volk die Ergebnisse von Hitlers ‚Arbeitsbeschaffung‘. Statt sechs Millionen Arbeitslose – weit über sechs Millionen Tote und Krüppel!”
Der Preis war weitaus höher als sechs Millionen: ebenso viele Opfer hatte Polen zu beklagen, die Sowjetunion mehr als das dreifache, Spanien, Österreich, Frankreich, Jugoslawien, Griechenland... Dafür gab es dann nach dem großen Schlachten die ab 1944 von Ludwig Erhardt geplante “soziale Marktwirtschaft” plus “Wirtschaftswunder”.
(...)
Friedliche Wiedervereinigungen & friedensschaffende Maßnahmen
Der Faschismus kennt nur eine Verfassung: den Ausnahmezustand. Der Faschismus kennt nur einen Frieden: den Siegfrieden. Als Deutschland wieder frech geworden, begann es als erstes damit, die “Rückgabe” des Saarlands zu fordern – was es im März 1935 auch bekam und dadurch seine Rüstungsproduktion um 10% steigern konnte. Am 7. März 1936 versuchte man es mit der Besetzung des Rheinlandes. Der Befehl lautete, sich beim ersten Schuß zurückzuziehen – Frankreich schoß nicht.
Am 18. Juli 1936 erfolgte der Putsch der Franco-Faschisten in Spanien 5, in der deutschen Presse war vom “Freiheitskampf des spanischen Volkes gegen den Bolschewismus” u.a. zu lesen. Die Unterstützung Deutschlands und Italiens machte den Sieg der Putschisten möglich und die Verteidigung deutscher “Freiheit”: Die IG-Farben beherrschte die spanische Farbstoffproduktion, Siemens und AEG produzierten in Spanien, Krupp war an der Erz- und Hüttenindustrie und dem Schiffbau beteiligt, Deutsche und Dresdner Bank hatten Filialen... Verteidigt wurde auch die Freiheit der Europäischen (deutsch-spanischen) Pyritgesellschaft, als Francotruppen die Betriebsräte in ihrem spanischen Ableger Rio Tinto erschossen. Der Bruder eines Aufsichtsrates dieser Gesellschaft durfte sogar die “Legion Condor” kommandieren – womit wir beim zweiten Zweck sind: die deutschen Truppen hatten ein Übungsfeld.
Aus dem Wirtschaftsstandort wurde ein militärischer. Die Piloten der “Condor” schrieben Geschichte: sie legten als erste eine komplette Stadt in Schutt und Asche – von dem Blutgeld für die Zerstörung Guernicas wurde die Fluggesellschaft “Condor” gegründet. Österreich wurde gedroht, es werde zu einem “zweiten Spanien”, aber dann kam ja im März 1938 die “friedliche Wiedervereinigung”. Die Industrie wurde erhalten, weil man sie für den Krieg brauchte. Durch Claqueure am Straßenrand wurde mancher deutsche Soldat, der sich den Kittel des Räubers angezogen hatte, in seinem Glauben etwas Gutes zu tun bestätigt. Und natürlich sollte eben diese Forderung Deutschlands die letzte sein – so versprach es Hitler immer wieder.
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Der Frieden der Mörder
Tunlichst wurde 1939 auf Anweisung Goebbels von der deutschen Presse das Wörtchen “Krieg” vermieden – man “verteidigte” sich, man “rächte” sich, man “schützte die deutschen Volksgenossen”, man wollte eigentlich nur “Frieden” und war durch den “niederträchtigen Überfall” zur “Notwehr” gezwungen. Zudem wurde der Krieg zu Hause auch nicht als einschneidende Veränderung wahrgenommen: das Land befand sich seit 1933 im Ausnahmezustand, jeder zweite arbeitete direkt oder indirekt bereits zur Friedenszeit für den Krieg, eine große Mobilmachung blieb vorerst aus, die Lebenslage war bereits miserabel und auf Berlin fielen noch keine Bomben.
Später, als mit den ersten Siegen die Begeisterung für den Krieg wuchs, wechselte man den Ton. Mit einer Ausnahme: “Der verlogenste aller Feinde der Sowjetunion, der am 22. Juni 1941 sein räuberisches Zerstörungswerk begann, fand zur Zeit seiner Niederlage im Winter 1941-1942, als er die Notwendigkeit verspürte, wenigstens nachträglich einen Kriegs“grund” auszudenken, nichts Gescheiteres, als dem deutschen Volke aufzutischen, die Sowjetunion hätte ‚im Sinne gehabt‘, Deutschland zu erobern. Selbst Goebbels, der an schamloseste Lügen gewöhnt war, begnügte sich in diesem Falle mit dem Nachdruck der Rede des Führers, der sich schon gar zu sehr verstiegen hatte, und enthielt sich jeden Kommentars.” 6 Dies überließ er so manchem Nachkriegs“historiker”.
Arisiertes Eigentum wurde zu Schleuderpreisen versteigert, die Nachbarn beteiligten sich an der Plünderung der Wohnungen von Juden und Antifaschisten, denunzierten sie sogar extra zu diesem Zweck. Soldaten schickten Raubgut per Post nach Hause. Ein Volk wurde korrumpiert. Die Parteimitglieder kannten die Untaten ihrer “Kameraden”, was jeden zum Schweigen verdammte, wollte er nicht selbst Ärger mit der Justiz. Es wurden sogar Akten über Schwächen angelegt: Bestechlichkeit, sexuelle Vorlieben, Verbrechen, verwöhnte Ehefrauen und Liebchen.
Die Volksgemeinschaft war die Gemeinschaft der Räuber, und trotz der Bestechung, der Lügen und dem Terror gab es Widerstand: Selbst zur Hochzeit des Faschismus 1941 wurden allein in Deutschland monatlich rund 10.000 Verhaftungen vorgenommen – monatlich 10.000 Kommunisten, aufrechte Sozialdemokraten und Menschen, die es ernst meinten mit ihrem Humanismus und ihrem Christentum. 10.000 Menschen, die erkannt hatten, daß es nicht reicht, selbst kein Unrecht zu tun – man darf es nicht mal dulden!
Der Schoß ist fruchtbar noch...
Auch nach 1945 fanden sich im Ausland Menschen, die den deutschen Imperialismus zu verteidigen suchten. H.L. Bretton schrieb: “Er wollte lediglich ein Minimum an Revision erreichen. Wären ihm die Alliierten nur mit einigen Zugeständnissen entgegengekommen, hätten sie ihn in anderen Bereichen zugänglicher gefunden. Da er aber die gewünschten Zugeständnisse nicht rechtzeitig errang, konnte die nationalistische Opposition so weit anschwellen, daß Pazifismus und Demokratie beiseite geschwemmt wurden.” 7 Wirklich? Wenn es doch “Heute Deutschland und morgen die Welt” sein soll, die unsere Herren als Zugeständnis wünschen?
Lassen wir uns nicht täuschen! Vielleicht hätte dann schon 50 Jahre früher eine konservative Regierung eine “Wiedervereinigung” feiern können, vielleicht hätte schon 60 Jahre früher eine SPD-Regierung einen Krieg geführt. Denn die Krise hätte auch eine andere Regierung nicht verhindern können: “Die wirtschaftlichen Probleme müssen gelöst werden ... Ohne Einbruch in fremde Staaten oder Angreifen fremden Eigentums ist dies nicht möglich.” (Adolf Hitler)8
Die dritte Möglichkeit, welche die von Krise und Arbeitslosigkeit unberührte Sowjetunion aufzeigte, erwähnte Hitler, erwägt das deutsche Kapital lieber nicht. Für diese dritte Möglichkeit – Sozialismus statt Barbarei – entschied sich nach 1945 immerhin ein Drittel der Menschheit.
Stephan
Anmerkungen
1 Aus: Hermann Rauschning: Gespräche mit Hitler, 1937, zitiert nach: Der Widerspruch Nr. 6, Berlin 1976, S. 81
2 Deutschland, einig Vaterland?, München 1993, S. 14
3 Nach: Jürgen Kuczynski: Die Geschichte der Lage der Arbeiter in Deutschland von 1789 bis in die Gegenwart; Band II, Erster Teil, 1933 bis Mai 1945, Berlin 1953, S. 178f
4 Dieses und die folgenden Zitate aus: Walter Ulbricht: Die Legende vom “Deutschen Sozialismus”, Berlin 1946, S. 28
5 Zu Spanien: Albert Norden: So werden Kriege gemacht!, Berlin 1968, S. 78ff und: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Berlin 1966, Band 5, S. 149ff
6 E.W. Tarlé: Über die Arbeitsweise der bürgerlichen Diplomatie, zitiert nach Der Widerspruch Nr. 6, Berlin 1976, S. 73
7 Zitiert nach: Kühnl, Schönwälder (Hrsg.): Sie reden vom Frieden und rüsten zum Krieg, Köln 1986, S. 113
8 Zitiert nach: Albert Norden: So werden Kriege gemacht!, Berlin 1968, S. 101f
veröffentlicht durch
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Krieg gegen die Tschecheslowakei: 340.000 Morde der Nazis
Quelle: http://www.ekd.de/EKD-Texte/2110_tschechen_1998_tschechen1.html
... Überall, wo die deutschen Armeen hinkamen, ergoß sich eine Flut
von schrecklichen Gewalttaten über die Bevölkerung. Vor allem die
Juden, aber nicht nur sie, wurden verhaftet und ermordet. Auch in
den böhmischen Ländern wurden unmittelbar nach der Besetzung
Demokraten und andere Gegner des Nazismus verhaftet. Im Herbst
1939 wurden die tschechischen Hochschulen geschlossen und
Studentenvertreter hingerichtet. Ganze Jahrgänge junger Leute
mußten Zwangsarbeiten im Reich leisten. Zu Opfern der deutschen
Okkupation wurden auch hier hauptsächlich Juden und neben ihnen
vorwiegend Angehörige der tschechischen Intelligenz wie
Universitätsprofessoren, Lehrer, Schriftsteller, Leiter der
Jugendorganisationen u.a. Dieses Vorgehen stand im Einklang mit
den deutschen Absichten, die allerdings erst nach dem Krieg
vollständig offengelegt werden konnten: der am wenigsten
"verläßliche" Bestandteil des Volkes, die Intelligenz, sollte liquidiert
werden; von den anderen sollte der "gutrassige" Teil
eingedeutscht, der Rest in Räume von geringerem Interesse für
Deutschland, so z.B. auf die Krim, abgeschoben werden(24).
In der Ablehnung der Besetzung und des Protektorats sowie unter
dem Eindruck des Besatzerterrors vereinigte sich allmählich die
Mehrheit der Tschechen in Verweigerung und Widerstand. Nach dem
Attentat auf den Stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard
Heydrich im Mai 1942 nahm der Terror massiv zu. Mit einem Schlag
wurden "zur Warnung" die beiden Dörfer Lidice und Lekáky
ausgerottet. Täglich fanden Hinrichtungen von einigen Dutzend
Personen statt, deren Namen in allen Gemeinden veröffentlicht und
im Rundfunk verlesen wurden.
Die Verluste an Leben infolge des Terrors auf dem gesamten
Gebiet der Tschechoslowakei, durch das im Unterschied zu Polen
oder Rußland der Krieg nicht tobte, werden auf 340.000 bis 360.000
Opfer geschätzt. Zwei Drittel davon waren Juden. Die täglichen
Erfahrungen des deutschen Terrors gaben den Tschechen eine
Vorstellung davon, was sie im Falle des Sieges von Hitler zu
erwarten haben würden. Zunehmend baute sich bei ihnen daraus
die Überzeugung einer Kollektivschuld aller Deutschen und das
Verlangen nach Vergeltung auf. Dieses entlud sich nach dem Krieg
in Vorgängen und Aktionen, die vielen Deutschen unbegreiflich
waren und sie betroffen fragen ließen, wie die Tschechen ihnen so
viel Leid zufügen könnten.
... Die Alliierten stimmten schließlich der Zwangsaussiedlung
der Deutschen aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn zu,
bestanden jedoch auf einer geordneten Durchführung ohne
Verstöße gegen die Menschlichkeit.
Der "geregelte Abschub"(26) erfolgte vor allem im Jahr 1946; im
Frühling 1947 wurde er aufgrund des Widerstands der Westmächte
nicht weitergeführt. In dieser Zeit mußten ungefähr 3 Millionen
Deutsche das Land verlassen. Ungefähr 300.000 blieben - nicht
immer freiwillig - in der CSR zurück. Die Anzahl der Deutschen, die
bei der Vertreibung umgekommen sind, läßt sich anhand der
Quellen nicht ganz sicher bestimmen. Die neuesten Schätzungen,
denen sich die Gemeinsame deutsch-tschechische
Historikerkommission angeschlossen hat, gehen von maximal
30.000 Toten aus(27) . Die meisten Opfer gehörten zur
Zivilbevölkerung und starben in der Zeit nach dem vollständigen
militärischen Sieg. Das sagt viel über den Haß aus, der das Land
nach dem Ende der deutschen Oberherrschaft überschwemmte.
Die Motive, die auf der tschechischen Seite die Notwendigkeit des
"Abschubs" begründeten, waren unterschiedlich. Sie verdichteten
sich zu einer derart herrschenden Stimmung, daß es ohne
persönliche Gefahr nicht möglich war, sich ihr zu widersetzen. Diese
heftige Feindselig-keit war geprägt von der Erinnerung an München,
von den Erfahrungen mit dem Terror im Protektorat und den
besonders harten Repressalien gegen Ende des Krieges, aber auch
von Berichten zurückkehrender Häftlinge über Bestialitäten in
Konzentrationslagern und von der inzwischen gewonnenen vollen
Kenntnis der deutschen Pläne zur "Germanisierung" der
böhmischen Länder.
Streit um Dimitroff |
Zwischen Antifaschismus und Stalinismus. Zu den Tagebüchern Georgi Dimitroffs (Teil 1). Von Ernstgert Kalbe |
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Es mehren sich die Anlässe, um erneut über die Rolle des Bulgaren Georgi Dimitroff in der bulgarischen und internationalen Arbeiterbewegung sowie für den weltweiten Antifaschismus nachzudenken. Seit der selbstverschuldeten Implosion des Staatssozialismus in Europa wurde ein undifferenziertes Verdikt der selbstgerechten Sieger über alle repräsentativen Persönlichkeiten, historischen Ereignisse und politischen Aktivitäten dieses mit der kapitalistischen Welt konfrontierten Systems verhängt - und zwar ungeachtet aller Voraussetzungen, Bedingungen und Formen dieser Auseinandersetzung sowie ihrer Wirkungen auf das reale Kräfteverhältnis und die politischen Strategien und Entscheidungen der jeweiligen Akteure. Diesen Zusammenhang beschreibt der englische marxistische Historiker Eric Hobsbawm mit dem Umkehrschluß, daß »der Umgang des einen Systems die malaise des anderen offenbart«. Auf den Index gesetzt Auch das seit 1952 in Leipzig beheimatete Georgi-Dimitroff- Museum wurde nach der Wende von 1989/90 auf den politischen Index gesetzt. Eine knappe Mehrheit der Leipziger Stadträte versuchte mit der Umbenennung des nach Dimitroff benannten Platzes vor dem ehemaligen Reichsgericht im Juni 1997 sogar, das Gedenken an den Sieg des »Helden von Leipzig« im Reichstagsbrandprozeß 1933 über die faschistischen Brandstifter zu tilgen, indem man Dimitroff zur stalinistischen Unperson erklärte. Geschichte läßt sich jedoch weder einseitig verteufeln noch ignorant verdrängen, sondern verlangt differenzierte Befragung und Bewertung. Für eine möglichst wahrheitsnahe Beurteilung der Persönlichkeit Georgi Dimitroffs kommt die Veröffentlichung der Tagebücher Dimitroffs gerade recht, da es sich um persönliche Notizen des Zeitzeugen in neun Heften handelt, die Jahrzehnte verschlossen im Parteiarchiv der BKP lagen, unzugänglich selbst einem inneren Führungskreis. Freilich verfügen wir nunmehr gleich über zwei chronologisch, editorisch und sprachlich verschiedene Ausgaben der Aufzeichnungen, die Dimitroff vom 9. März 1933 bis zum 6. Februar 1949 - teils in deutsch, teils in russisch oder bulgarisch - angefertigt hat. Zwei Ausgaben Die bulgarische Ausgabe des »Dnevnik« (Tagebuch), die 1997 im Sofioter Universitätsverlag erschien, ist mit einem Vorwort von Dimitroffs Adoptivsohn Bojko Dimitrow sowie einer Einleitung des ausgewiesenen Historikers Iltscho Dimitrow versehen, die Anliegen und historisches Umfeld der Veröffentlichung erläutern. Sie umfaßt den gesamten Zeitraum der Tagebuchnotizen vom 9. März 1933 bis zur letzten Eintragung des schon schwerkranken Dimitroffs Anfang Februar 1949. Dagegen beinhaltet die deutsche Ausgabe der »Tagebücher«, die jetzt der Kölner Historiker Bernhard H. Bayerlein im Aufbau-Verlag Berlin herausgegeben hat, lediglich den Zeitraum vom 9. März 1933 bis zum 12. Juni 1943. Das ist eine Verkürzung, die erstens die letzte Kriegsperiode vom Sommer 1943 bis 1945 ausspart, und die zweitens den bulgarischen Ministerpräsidenten und Balkanpolitiker Dimitroff von 1946 ff. wegschneidet. Während die bulgarische Ausgabe also die Tätigkeit Dimitroffs vom Machtantritt des Hitlerfaschismus in Deutschland bis zum Vorabend des Todes des Verfassers reflektiert, interessiert die deutsche Ausgabe ausschließlich Dimitroff und die Komintern. Ein Unterschied mit konzeptionellem Hintergrund. Ob es eine Fortsetzung der deutschen Ausgabe geben wird, hat der Aufbau-Verlag noch nicht entschieden. Unverzeihlich aber erscheint mir die Unterlassung jedes Hinweises in der deutschen Veröffentlichung darauf, daß schon drei Jahre früher eine bulgarische Ausgabe erschien, und so der Eindruck publizistischer Priorität erweckt wird, wenngleich auch die deutschsprachige Ausgabe originär aus den Quellen gearbeitet ist. Die deutsche Fassung verzichtet auf einen wissenschaftlichen Einleitungsbeitrag. Dafür bietet sie im ersten Beiband eher individuelle Betrachtungen des Herausgebers Bernhard Bayerlein unter der Überschrift »Innenansichten aus dem Stab der Weltrevolution« und einen ebenso persönlichen Kommentar von Wolfgang Engler »Einheitsfront als Ideologie«. Übersetzung und Redaktion der deutschen Ausgabe, sorgfältig besorgt von Wladislaw Hedeler und Birgit Schliewenz, verdienen uneingeschränkten Respekt. Die die deutsche Ausgabe mit Blick auf Lizenzgeschäfte in Westeuropa und den englischsprachigen Raum auszeichnenden umfangreichen Beigaben sind gründlich gearbeitet: Chronik, Anmerkungen und Bibliographie (1. Beiband) sowie 300 Seiten Kurzbiographien und Register (2. Beiband), ein »Who is Who der Komintern«, wie Aufbau in seiner Werbung stolz vermerkt. »Realisiert in Würde« Das Anliegen der bulgarischen Ausgabe verdeutlicht Bojko Dimitrow im Vorwort: »Wenn es nur von meinem Willen abhinge, hätte dieses Buch das Licht der Welt nicht erblickt. Wenn man seine Seiten aufschlägt, wird der Leser allein verstehen, warum. Selbst ein oberflächlicher Blick läßt keinen Platz für Zweifel: Das Tagebuch von Georgi Dimitroff wurde nicht mit dem Gedanken an eine Veröffentlichung geführt. Die Aufzeichnungen, die mein Vater hinterlassen hat, sind nicht einfach das Register oder der Kommentar des Vollbrachten, Gesehenen, Gehörten, Gelesenen, der Tagesereignisse. Sie stellen etwas unvergleichlich Intimeres dar: eine Art vertrauensvolles Selbstgespräch, in dem er seine geheimsten Gedanken und Gefühle mitteilt, seine Freuden und Schmerzen, seine Zweifel und Sorgen. Er offenbart sich aufrichtig und wahrhaftig, oftmals bis zum ungünstigen Bekenntnis für den Autor selbst. Mit anderen Worten, was das Dokument angeht, so ist es zum eigenen Trost geschrieben und nur zur eigenen Verwendung bestimmt, keinesfalls für fremde Augen.« Bojko Dimitrow begründet seinen Entschluß, die Verantwortung für die Publikation zu übernehmen, damit, daß angesichts des gesellschaftlichen Umbruchs in Bulgarien im Herbst 1991, der einsetzenden Welle von Enteignungen der Kommunistischen Partei und der gesetzgeberischen Lücken über das Archivwesen die Dinge entweder ihrem unkontrollierten Lauf überlassen oder eine Veröffentlichung gestattet werden mußte, »realisiert in Würde und Achtung, die diesem historischen Dokument und seinem Autor gebühren«. Besorgt »von ehrenhaften Menschen und ausgewiesenen Fachleuten, die fähig sind, strengsten Anforderungen nach wissenschaftlicher Objektivität, Gewissenhaftigkeit und Kompetenz zu entsprechen«. Der Historiker Iltscho Dimitrow wiederum charakterisiert den Verfasser der Tagebücher als einen Menschen seiner Zeit, der sich zu einer Ideologie bekannte, »als Kämpfer im Namen eines Ideals und Verfechter einer Politik. Jedoch zwischen Ideologie, Ideal und Politik gibt es häufiger ein Auseinanderdriften als Übereinstimmung. Das bezieht sich übrigens auf alle ideellen und sozialen Bewegungen in der Geschichte.« Obwohl Georgi Dimitroff nicht ohne Verfehlungen wäre, »bleibt Dimitroff, ungeachtet seiner Widersprüchlichkeit, einer der großen Namen in unserer neuen Geschichte, der - bereinigt von einer angepaßten Apologetik wie einer nicht weniger angepaßten Anschwärzung - seiner objektiven historischen Beurteilung harrt. Der Sache nach war das eine wie das andere eine konjunkturelle Politik: sowohl die ungerechtfertigte Erhebung in den Himmel wie die nicht weniger unberechtigte Verdammung in die Hölle.« Deutsche Urteile Deutlich anders liest sich das Gesamturteil über Dimitroff in der deutschen Ausgabe. Bernhard Bayerlein meint: »Dimitroffs Tagebücher verweisen nicht mehr auf ein >Jahrhundert der großen Gesänge< (Albert Camus) ... Das realistische Stalin-Bild, das Dimitroff zeichnet, nähert sich dem Trotzkis, des schärfsten Kritikers Stalins, an. Seine Botschaft ist die der Inkompatibilität der Herrschaft Stalins nicht nur mit der Weltrevolution, sondern mit jeglicher politischer, sozialer und kultureller Emanzipation der Menschheit. Dimitroff selbst war Werkzeug und Übersetzer seines Herrn, bisweilen konnte er Ideen liefern, extreme Positionen abschleifen, >seine< Komintern vor (noch) Schlimmerem bewahren. Doch letztendlich demonstrieren seine Tagebücher seine Machtlosigkeit und Mitverantwortung für ein perfides Herrschaftssystem.« (Band 2/1, S. 18) Forscher noch charakterisiert Wolfgang Engler Georgi Dimitroff als »Verräter in eigener Sache«, nämlich an der Politik der Einheitsfront - »ausgerechnet in dem Moment, als sie am dringlichsten war« - zu Beginn des Zweiten Weltkrieges. »Dimitroff war Stalins Mann an der Spitze der Komintern, aber doch nicht sein Mordkumpan. Für den ideologischen Notfall war er als Komparse vorgesehen; man konnte auf ihn zeigen, so lange er nicht sprach. Nun hat er auch hierzulande seine Sprache wieder. Und was Eingeweihten längst vertraut war, erfährt nun auch der interessierte Laie: Der Mann wußte alles. Und er nahm alles hin: Säuberungen, Schauprozesse, politische Morde.« (Band 2/1, S.20) Mich verwundert stets aufs Neue, mit welcher Selbstsicherheit nachgeborene Betrachter vergangene Ereignisse und Personen beurteilen - abgehoben von den jeweiligen zeithistorischen Bedingungen, die der Erklärung, nicht der Rechtfertigung von Haltungen und Handlungen historischer Akteure dienen. Vielleicht erleichtert das die Selbstfindung auf neuen Wegen, vielleicht verkürzt es aber zugleich den Blick auf historische Kontinuitäten wie Brüche. Leben als Revolutionär Georgi Dimitroff wird kurz nach der Abschüttelung der Osmanischen Herrschaft über Bulgarien am 18. Juni 1882 geboren. Die Tagebücher spiegeln seine Persönlichkeit in einem bestimmten historischen Zeitraum wider. Aber sie erfassen nicht die ihn prägenden Lebensperioden seit seiner Kindheit, nicht seine Existenz als proletarischer Revolutionär zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Seine frühzeitige Gewerkschaftsarbeit, Verantwortung als ZK-Mitglied in der Bulgarischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (tesni socialisti) bzw. später der BKP, Antikriegskampf in den Balkankriegen 1912/13 wie im Ersten Weltkrieg, begeistertes Engagement für die russische Oktoberrevolution, führende Rolle im umstrittenen bulgarischen Septemberaufstand 1923 und nachfolgende, durch Todesurteil erzwungene Emigration, vorwiegend in Wien, Berlin und Moskau. Solche Erfahrungen lassen Dimitroff zum Funktionär des Exekutivkomitees der Komintern reifen, sie prägen seine Grundhaltung zur Einheitsfrontpolitik gegen Imperialismus, Faschismus und Krieg, die er während des Leipziger Prozesses und später als Generalsekretär der Komintern begründet und unter wechselnden, häufig widrigen Bedingungen verficht. Einheitsfrontpolitik Dimitroff gehörte keinesfalls zu den orthodoxen Ultralinken in der Komintern, er wurde eher des Rechtsopportunismus verdächtigt - Vorwürfe, die zunächst verstummt waren nach seinem Triumph über die faschistischen Brandstifter im Leipziger Prozeß. Georgi Dimitroff hatte als Leiter des Westeuropäischen Büros der Komintern von Berlin aus wesentlichen Anteil an der Vorbereitung des Amsterdamer Antikriegskongresses vom August 1932 wie auch des Antifaschistischen Arbeitskongresses Europas vom Juni 1933 im Pleyel-Saal in Paris, der auf Einheitsfront orientierte. Im August 1933 vereinigten sich beide Bewegungen und gründeten das »Weltkomitee gegen Krieg und Faschismus« unter Vorsitz von Henri Barbusse, der seinerseits zur internationalen Protestbewegung gegen den Leipziger Prozeß und für die Befreiung der angeklagten Kommunisten aufrief. Angesichts solcher Erfahrungen ist es nicht zufällig, daß Georgi Dimitroff auf dem Leipziger Prozeß die Linie der antifaschistischen Einheitsfrontpolitik auf den Punkt bringt: »Massenarbeit, Massenkampf, Massenwiderstand, Einheitsfront, keine Abenteuer - das ist das Alpha und Omega der kommunistischen Taktik.« Dazu bedarf es keiner neuen Analyse: Dimitroff war der »Held von Leipzig«, er brachte dem Faschismus seine erste schwere Niederlage bei, motivierte den internationalen Antifaschismus und die Einheitsfrontpolitik, die sich 1935 auf dem VII. Weltkongreß der Komintern gegen linksorthodoxe Widerstände durchsetzte. Das war eine strategische Wende in der kommunistischen Weltbewegung, die freilich später - zwischen Münchner Abkommen (1938), deutsch-sowjetischem Nichtangriffspakt (1939) und Überfall auf die UdSSR (1941) - erneut ins Abseits gedrängt wurde, ehe sie nach dem faschistischen Überfall auf die Sowjetunion ihre Auferstehung erlebte. Georgi Dimitroff war ein Mann seiner Zeit, geprägt von der kommunistischen Bewegung und ihrem damaligen Gravitationszentrum, der Sowjetunion, mit deren Existenz sich damals alle sozialistischen Hoffnungen verbanden. Die Sowjetunion wurde bedingungslos verteidigt, und stalinistische Deformationen wurden, soweit reflektiert, den Kampfbedingungen zweier konträrer Welten zugeschrieben. In der realen Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und der Sowjetunion, die als Inkarnation des Sozialismus galt, wurde die Stalinsche These von der ständigen Verschärfung des Klassenkampfes zum Dogma erhoben. Das diente der Rechtfertigung restriktiver Innen- und repressiver Sicherheitspolitik, die immer stärker zu terroristischen Herrschaftsmethoden und etatistisch-bürokratischen Kommandomethoden in Gesellschaft und Wirtschaft trieben. Historisch angelegte Demokratiedefizite und systemimmanente Krankheitskeime wucherten zu metastatischen Geschwüren. Die Entartung sozialistischer Werte und Ziele bewirkte schließlich den selbstverschuldeten Systemuntergang. Dem moralisch-politischen Druck und den politischen Konsequenzen des »Stalinismus« unterlag auch Georgi Dimitroff, namentlich in seiner Funktion als Generalsekretär der Komintern. Wegen seiner unbedingten Treue zur Sowjetunion und angesichts seines offensichtlichen Glaubens an die Autorität Stalins, der erst spät erschüttert wurde, verstrickte sich Dimitroff in die destruktive und selbstzerstörerische Repressionspolitik des Sowjetsystems. Mitverantwortung Es fällt auf, daß in Dimitroffs Tagebuch - von Ausnahmen abgesehen - gewöhnlich nur knappe, zurückhaltende Eintragungen zu den Repressionen und Verfolgungen der dreißiger Jahre zu finden sind, was sicher sowohl als innere Distanz wie auch als vorsichtiger Selbstschutz gedeutet werden kann. Abgesehen von wiederholt bezeugten Fällen seines Einsatzes für die Freilassung mancher verhafteter Landsleute und direkter Mitarbeiter hat Dimitroff jedenfalls keinen energischen Widerspruch gegen die Verfolgung auch ihm bekannter Kommunisten erhoben. Somit trägt er letztlich Mitverantwortung für die Repressalien gegen sowjetische und ausländische Kommunisten, darunter viele Emigranten, die in der Sowjetunion Schutz vor faschistischer Verfolgung suchten. Erneut erweist sich, daß Mannesmut vor dem Feind leichter ist als Widerstand gegen die vermeintlich »eigenen Leute«. In den Jahren des antifaschistischen Befreiungskrieges der Völker seit Juni 1941, in denen die zeitweilig in den Hintergrund verdrängte Volksfrontpolitik erneut politische Aktualität erlangte, nahm der Einfluß Dimitroffs vorübergehend wieder zu. Jedoch selbst nach Dimitroffs Rückkehr in seine bulgarische Heimat und als Ministerpräsident Bulgariens wurde er den Instruktionen und Kontrollen sowjetischer Organe unterworfen, die den Volksdemokratien ab 1947/48 das Sowjetsystem überstülpten und nationale Wege zum Sozialismus abschnitten. Gesundheitlich seit langem schwer angeschlagen, mußte Georgi Dimitroff die Zerstörung seiner Vision einer Balkanförderation hinnehmen und die Verurteilung seines engen Mitstreiters Trajtscho Kostow wegen »Titoismus« erleben. Doch davon später. Die letzte Eintragung in seinem Tagebuch stammt vom 6. Februar 1949; am 2. Juli 1949 verstarb Georgi Dimitroff. Wird fortgesetzt. Im Januar Teil 2: Der Held von Leipzig, Teil 3: Volksfrontpolitik, Teil 4: Sowjetmodell *** Georgi Dimitrov: Dnevnik (Tagebuch) 9. Mart 1933 bis 6. Fevruari 1949. Bearbeitung, Übersetzung, Redaktion, Anmerkungen, Register: Dimitar Sirkov, Petko Boev, Nikola Avrejski, Ekaterina Kabakcieva. 794 S., Sofia 1997 Georgi Dimitroff: Tagebücher 1933-1943. Hg. von Bernhard H. Bayerlein. Aus dem Russischen und Bulgarischen von Wladislaw Hedeler und Birgit Schliewenz. 712 S. Kommentare und Materialien zu den Tagebüchern 1933-1943. Hg. von Bernhard H. Bayerlein und Wladislaw Hedeler unter Mitarbeit von Birgit Schliewenz und Maria Matschuk. Bd.2/1, Bd.2/2. 773 S. Aufbau-Verlag, Berlin 2000. DM 99 Textende --> |
Georgi Dimitroff - der Held von Leipzig |
Die Wahrheit wider den Geschichtsrevisionismus um Reichstagsbrand und Leipziger Prozeß. Von Ernstgert Kalbe |
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- Zu den Tagebüchern Georgi Dimitroffs (Teil II) - Die Weltöffentlichkeit war sich nach dem Leipziger Reichstagsbrandprozeß weitgehend einig: Das vermeintlich »kommunistische Aufstandsfanal« der Brandstiftung im Reichstag am 27. Februar 1933 war eine faschistische Provokation zur Begründung der Notverordnung vom 28. Februar und des Ermächtigungsgesetzes vom 24. März sowie zur Manipulation der Reichstagswahlen vom 5. März 1933, zur Zerschlagung der marxistischen Arbeiter- und jeder demokratischen Bewegung, zur Beseitigung der Verfassung der Weimarer Republik und zur Stabilisierung des faschistischen Terrorregimes in Deutschland. Der kommunistischer Sympathien unverdächtige US- amerikanische Konsul in Leipzig, Ralph C. Busser, brachte das in seinem Bericht vom 14. April 1934 - ein gutes Vierteljahr nach dem erzwungenen Freispruch der wegen hochverräterischer Brandstiftung inkriminierten kommunistischen Angeklagten Georgi Dimitroff, Blagoj Popoff, Wassil Taneff und Ernst Torgler im Reichstagsbrandprozeß - an das State Department in Washington auf den juristischen Nenner vom »cui bono« dieser Brandstiftung. Unter dem ironischen Titel »The Riddle of the Revolution. Political aspects of the Reichstag Fire Trial« (Das Wunder der Revolution. Politische Aspekte des Reichstagsbrandprozesses) konstatiert Busser, daß »der Reichstagsbrandprozeß angesichts der höchst bedeutsamen politischen Interessen und der involvierten Persönlichkeiten natürlich weltweites Interesse hervorrief und sich als ein berühmter Fall in die größten politischen und Ketzerprozesse der Geschichte einreihen wird, solche wie das Verfahren gegen Sokrates, das Verfahren gegen Christus vor Pilatus, die Verhandlungen gegen Jeanne d'Arc, Martin Luther, Galileo Galilei, Maria Stuart, Königin von Schottland, Karl I., Warren Hastings und - in neuerer Zeit - der Dreyfus-Prozeß in Frankreich und der kürzliche Prozeß gegen die britischen Ingenieure in Sowjetrußland.« (S. 12/13) Geschichtsrevisionismus Seither wurden Dutzende von Untersuchungen angestellt, die die Verantwortung der Nazis für die Reichstagsbrandstiftung nachweisen - darunter nicht nur Zeitzeugnisse des antifaschistischen Widerstands, sondern auch spätere wissenschaftliche Arbeiten von Historikern, Politologen, Kriminologen und Brandtechnikern. Ungeachtet dessen wurde in der Bundesrepublik seit den späten 50er Jahren eine Debatte über Ursachen und Täter der Reichstagsbrandstiftung vom Zaun gebrochen, die die Nazis von Schuld entlasten und mit der Behauptung von der Alleintäterschaft des in die Nähe kommunistischer Ideen gerückten Holländers van der Lubbe unterschwellig allgemeine Verdachtsmomente gegen »die Kommunisten« schüren sollte. Den Auftakt zu diesem Geschichtsrevisionismus bildete 1959 eine Serie des Verfassungsschutzbeamten Fritz Tobias im »Spiegel« (1959, Nr. 43-52; 1960, Nr. 1-2) unter der Überschrift »Stehen Sie auf, van der Lubbe! Der Reichstagsbrand 1933. Geschichte einer Legende«, die Tobias 1962 in Buchform wiederholte: »Der Reichstagsbrand - Legende und Wirklichkeit«. Damit sollte der zuvor von Richard Wolff in der Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament (Aus Politik und Zeitgeschichte) vom 18. 1. 1956 publizierte Forschungsbericht über den Reichstagsbrand 1933 desavouiert werden. Tobias bedient sich generell unglaubwürdiger Nazizeugen, darunter der Gestapo-Chef Rudolf Diels, der 1933 direkt Hermann Göring unterstellt und mit der Verfolgung der kommunistischen Bewegung befaßt war. Der energische Widerspruch, der von bekannten Wissenschaftlern erhoben wurde, wie vom Politologen Karl Dietrich Bracher, vom Historiker Walther Hofer, vom Politologen Eugen Kogon, vom Historiker Golo Mann, vom Literaturwissenschaftler Hans Mayer sowie vom Historiker Friedrich Zipfel - Positionen früherer DDR-Wissenschaftler werden absichtlich nicht genannt -, wurde ohne Bedenken in den Wind geschlagen. Schließlich sahen sich die renommierten Münchener Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte zur Überprüfung der Tobias-Thesen im »Spiegel« veranlaßt. Nachdem Martin Broszat in »grundsätzlichen Erörterungen« zum »Streit um den Reichstagsbrand« (Jg. 1960, Nr. 3, S. 277f.) wenigstens ein »peinliches Entdeckerpathos« des Spiegel in Sachen Reichstagsbrand anmerkte, »weil es bestätigt, wie nachhaltig der propagandistisch glänzende Einfall Hitlers gewirkt hat, die eigentliche Staatsstreichbrandfackel (die Notverordnung vom 28. 2. 1933 mit ihren unzähligen Konsequenzen) im Schatten des weithin sichtbaren Feuers im Reichstag anzustecken«, stellte sich die spätere »Recherche« des Historikers Hans Mommsen zum »Reichstagsbrand und seinen politischen Folgen« (Jg. 1964, Nr. 12, S. 351ff.) voll hinter die »Alleintäterthese« von Tobias und verlieh ihr damit quasi wissenschaftliche Weihen. Ungeachtet zwischenzeitlich vorgelegter neuer Forschungsergebnisse, z.B. des »Internationalen Komitees Luxemburg« (»Der Reichstagsbrand. Eine wissenschaftliche Dokumentation«), oder der soliden Dokumentenbände »Der Reichstagsbrandprozeß und Georgi Dimitroff«, die die Marxismus-Institute in Berlin, Moskau und Sofia 1982 bis 1989 herausgaben, fand die »Alleintäterthese« mit ihrer die Nazis entlastenden Geschichtsfälschung und ihrer antikommunistischen Folgewirkung bis heute unkorrigierten Eingang in die bundesdeutschen Schulbücher. Wie Volker Külow im ND-Beitrag vom 29. 12. 2000 über die »Mär vom Einzeltäter« belegt, stellt sich nun obendrein heraus, daß das Münchener Institut ursprünglich nicht Hans Mommsen mit der Überprüfung der Spiegel-Recherche beauftragte, sondern zunächst den Historiker Hans Schneider engagiert hatte. Dessen Studie erklärte die von Tobias vorgetragene Argumentation für die Alleintäterschaft van der Lubbes als »in der Wissenschaft ohne Beispiel«. Offenbar deshalb hielt Hans Mommsen in einer Aktennotiz für das Institut fest, daß »aus allgemeinpolitischen Gründen eine derartige Publikation unerwünscht scheint«. Entlarvte Brandstifter Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand stellte sich Ernst Torgler, der Vorsitzende der KPD-Reichstagsfraktion, zum Beweis seiner Unschuld den Polizeibehörden, während die »drei verdächtigen Ausländer« Dimitroff, Popoff und Taneff infolge einer Denunziation am 9. März 1933 in die Hände der faschistischen Inquisitoren fielen. Die Nazis behaupteten gleich nach dem Brand ohne Beweis ein »internationales kommunistisches Komplott« der »aufrührerischen Brandstiftung und des Hochverrats«. In seiner ersten schriftlichen Erklärung an die polizeiliche Untersuchungsbehörde stellte Georgi Dimitroff fest: »Nach meiner tiefen Überzeugung kann die Inbrandsetzung des Reichstages nur das Werk verrückter Leute oder aber der ärgsten Feinde des Kommunismus sein, die durch diesen Akt eine günstige Atmosphäre für die Zertrümmerung der Arbeiterbewegung und der Kommunistischen Partei Deutschlands schaffen wollen. Ich bin aber weder verrückt noch ein Feind des Kommunismus.« Damit gab Georgi Dimitroff schon die Linie vor, die er sowohl in der Untersuchungshaft als auch während des Reichstagsbrandprozesses zur Entlarvung der faschistischen Brandstifter und zu seiner politischen Selbstverteidigung einschlagen würde. Und er wußte, worauf er sich einlassen würde: Denn am 1. April 1933 notiert er im »Tagebuch« nach der Tagespresse die Erklärung von Reichskommissar Hanns Kerrl, wonach es »das Vorurteil des formalliberalistischen Rechts ist, daß der Götze der Rechtsprechung die Objektivität sein muß. ... Was ist denn Objektivität im Augenblick des Lebenskampfes eines Volkes? Kennt der kämpfende Soldat, kennt das ringende Heer Objektivität? ... So ist es einmal eine Selbstverständlichkeit, daß die Justiz eines auf Tod und Leben kämpfendes Volkes nicht tote Objektivitätsanbetung betreiben kann. ...« (S. 8f.) Wirklich: Weder die Methoden der Voruntersuchung noch die Prozeßführung waren »objektiv«, vielmehr der Versuch, mit allen Mitteln - Pressionen gegen die Angeklagten, falsche Zeugenaussagen, Vertuschung der wahren Spuren, Verhinderung einer unabhängigen Verteidigung, verlogene Berichterstattung, Anwendung rückwirkender Strafgesetze, antikommunistische Hysterie und brauner Terror - »Ersatztäter« anstelle der wirklich Schuldigen dingfest zu machen. Im Lichte dieser Tatsachen erscheint die oft wiederholte Behauptung von der damaligen »Unabhängigkeit« der deutschen Justiz im allgemeinen und des IV. Strafsenats des Reichsgerichts um Dr. Wilhelm Bünger im besonderen als bestenfalls verlogene Halbwahrheit. In der halbjährigen Untersuchungshaft war Dimitroff fünf Monate (5. 4. - 31. 8.) in Handschellen gefesselt und mußte unter solchen Bedingungen lesen, schreiben, essen und seine Verteidigung vorbereiten. Alle 23 in- und ausländischen Rechtsanwälte, die von Dimitroff oder seiner Familie als Wahlverteidiger beauftragt wurden, lehnte das Gericht ab und bestellte statt dessen den »Stahlhelmer« Dr. Paul Teichert als Offizialverteidiger, den Dimitroff als »Saboteur der Verteidigung« bezeichnete. Dimitroff setzte sein Recht auf Selbstverteidigung durch (S. 40 ff.) Im Verlauf des am 21. September 1933 begonnenen Prozesses wurde Dimitroff mehrfach wegen »Beamtenbeleidigung« von den Verhandlungen ausgeschlossen und so seine Selbstverteidigung behindert. Prozeß aus den Fugen Dennoch geriet der Prozeß am dritten Tag mit dem ersten Auftritt Dimitroffs vor Gericht aus den Fugen: »Es ist wahr, daß ich ein Bolschewik, ein proletarischer Revolutionär bin. ... Wahr ist auch, daß ich als Mitglied des ZK der bulgarischen KP und Mitglied der Exekutive der KI ein verantwortlicher und führender Kommunist bin ... Aber gerade deswegen bin ich kein terroristischer Abenteurer, kein Putschist und kein Brandstifter!« Die Rundfunkübertragung des Prozesses wurde sofort eingestellt. Die Prozeßführung war von Anbeginn tendenziös. Fast alle von Dimitroff benannten Zeugen wurden abgelehnt. Dafür wurden alle denkbaren Belastungszeugen aufgeboten, die die Anklage stützen sollten: von NSDAP-Abgeordneten und -Ministern, Untersuchungs- und Kriminalbeamten, käuflichen Journalisten und Polizisten bis zu Psychopathen und Kriminellen. Mit den Brandsachverständigen und inhaftierten Arbeiterzeugen hatte das Gericht wenig Glück. Bekannt sind der von Dimitroff während der Verhandlungen gezeichnete »Teufelskreis«, der nach dem »Mephisto« im Zentrum der Nazizeugen fragt, die Kontakte zwischen den Angeklagten behaupteten, sowie sein Zwischenruf am 31. Oktober bei der Vernehmung des Kriminellen Lebermann, daß damit der Kreis der Anklage-Zeugen geschlossen sei, »angefangen mit nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten und beendet mit einem Dieb«. (S. 57) Ausführlicher dokumentierte Dimitroff seine Strategie des antifaschistischen Kampfes, der Einheitsfront, die er insbesondere bei der Vernehmung der Arbeiterzeugen entwickelte. In seiner großen Schlußrede vom 16. Dezember argumentierte er, daß im Februar/März 1933 die Herstellung der Einheitsfront »keineswegs den Aufstand und dessen Vorbereitung« bedeutete, sondern »die Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen den räuberischen Feldzug der Kapitalisten und gegen die Gewalt der Nationalsozialisten.« Er brachte die politische Linie auf den Punkt: »Massenarbeit, Massenkampf, Massenwiderstand, Einheitsfront, keine Abenteuer - das ist das Alpha und Omega der kommunistischen Taktik«. Und nachdem er Goethe zitiert hatte, wonach »auf des Glückes großer Waage« die Zunge selten einstünde, man entweder »leiden oder triumphieren, Amboß oder Hammer sein« müsse, schlußfolgerte Dimitroff: »Ja, wer nicht Amboß sein will, der muß Hammer sein! Diese Wahrheit hat die deutsche Arbeiterschaft in ihrer Gesamtheit weder 1918 noch 1923 noch am 20. Juli 1932 noch im Januar 1933 verstanden.« (G. Dimitroff, Reichstagsbrandprozeß, S. 168, 180) Unter dem Gewicht der Tatsachen wie der Selbstverteidigung Dimitroffs und angesichts der internationalen Solidaritätswelle mit den unschuldig Angeklagten mußte das Gericht am 23. Dezember die Angeklagten Dimitroff, Popoff, Taneff und Torgler »mangels Beweisen« freisprechen, obwohl Dimitroff Freispruch »wegen erwiesener Unschuld« beantragt hatte. Internationale Solidarität Hartnäckig wird bis in jüngste Zeit behauptet, daß Dimitroff nur deshalb eine so unerschrockene Haltung während des Leipziger Prozesses einnehmen konnte, weil er vorab um einen Deal von sowjetischem NKWD und faschistischer Gestapo gewußt habe, ihn nach dem Prozeß in die UdSSR abzuschieben. Damit wird nicht nur die Drohung Görings vor Gericht bagatellisiert und der »Held von Leipzig« herabgesetzt, sondern gemäß der »Totalitarismusdoktrin« werden Faschismus und Kommunismus gleichgesetzt. Die Wahrheit sieht indessen anders aus. Tatsächlich fürchtete das Hitlerregime die Reaktion der Weltöffentlichkeit, zumal während des Leipziger Prozesses »eine Einheitsfront im Weltmaßstab entstand, obwohl formell kein Pakt abgeschlossen worden war« - wie Dimitroff feststellte. Ungewöhnlich war bereits, daß Senatspräsident Dr. Bünger bei der Prozeßeröffnung mit einem Statement auftrat, wonach das weltweite Interesse am Prozeß den Gerichtshof nicht beeinflussen könne, sondern dieser sich lediglich nach dem Prozeßverlauf richten werde. Das war eine Reaktion auf das »Braunbuch«, ein antifaschistisches Zeitdokument in der Regie Willi Münzenbergs, und auch auf die »Internationale Untersuchungskommission zur Aufklärung des Reichstagsbrandes - den sogenannten Londoner Gegenprozeß - unter Vorsitz des britischen Kronanwalts D. N. Pritt, der am Vorabend des Prozesses in Leipzig ein gründlich recherchiertes Gutachten zur Reichstagsbrandstiftung veröffentlichte, wonach es erstens unmöglich war, daß van der Lubbe das Feuer allein gelegt haben konnte, zweitens vieles dafür sprach, daß Nazikreise die Brandstiftung ausgeführt hatten, drittens die vier angeklagten Kommunisten in keinerlei direkter oder indirekter Beziehung zum Reichstagsbrand standen (D. N. Pritt, Memoiren, 1970, S. 30 ff., 40). Die demokratische Weltöffentlichkeit war es, die den Freispruch der Angeklagten erzwang; die Verleihung der sowjetischen Staatsbürgerschaft am 15. Februar 1934 an die drei Bulgaren bewirkte nach weiteren zwei Monaten »Schutzhaft« ihre Freilassung am 27. Februar 1934. Das war nicht vorbestimmt, denn noch am 4. Januar 1934 insistierte Gestapo-Chef Diels in einer interministeriellen Beratung im Auftrage Görings darauf, daß »dem Herrn Ministerpräsidenten keinesfalls zugemutet werden könne, daß ein politischer Verbrecher, der für alle Zukunft sein geschworener Feind sein müsse, in Freiheit gesetzt werde«. Vielmehr ginge die Absicht des preußischen Ministerpräsidenten dahin, »Dimitroff in ein Konzentrationslager zu bringen und ihn dort genauso zu behandeln wie die anderen maßgeblichen kommunistischen Funktionäre Thälmann, Schneller usw. ... Jedenfalls sei es eine undenkbare Vorstellung, wenn ein Mann wie Dimitroff, der durch den Leipziger Prozeß in aller Welt bekannt geworden sei, und der aus seiner rein bolschewistischen Einstellung nie ein Hehl gemacht habe, ohne weiteres Deutschland verlassen und nun gewissermaßen einen Siegeszug durch die ganze Welt antreten könne.« (Niederschrift des Reichsinnenministeriums vom 4.1.1934) Die Intervention der Sowjetregierung zugunsten ihrer Staatsbürger erzwang schließlich deren »Ausweisung« in die UdSSR, genau am Jahrestag des Reichstagsbrandes. Es geht nicht um eine undifferenzierte Glorifizierung von Dimitroffs Lebensweg, wohl aber darum, seinem antifaschistischen Kampf Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, den er während des Reichstagsbrandprozesses schon führte, als andere, heute hochgeehrte Persönlichkeiten, z.B. Männer des 20. Juli 1944, noch tief in das Herrschaftssystem des Hitlerfaschismus verstrickt waren. Vorauseilender Gehorsam Als die Leipziger Stadtratssitzung am 11. Juni 1997 in vorauseilendem Gehorsam vor dem künftigen Hausherrn des Gebäudes des ehemaligen Reichsgerichts, dem Bundesverwaltungsgericht, die Umbenennung des vorgelagerten Georgi-Dimitroff-Platzes mit 32 Stimmen bei 25 Gegenstimmen und sieben Enthaltungen beschloß - schon zur Wende war das Georgi-Dimitroff-Museum aus dem Gebäude exmittiert worden - bewies sie blinden Eifer bei der Eliminierung antifaschistischer Geschichtstraditionen. Das leitete Wasser auf die Mühlen des nicht zufällig auflebenden Rechtsextremismus. Ist die Tilgung des Andenkens an bekannte Antifaschisten, die Kritik am angeblich in der DDR »verordneten Antifaschismus« nicht Ermunterung für neofaschistische Kräfte, gerade auch im Osten Deutschlands? Dennoch bleibt es dabei: Georgi Dimitroff ist der »Held von Leipzig«, der dem Antifaschismus weltweit Impulse verlieh und dem Faschismus die erste schwere politische Niederlage beibrachte! (Wird demnächst fortgesetzt. Der erste Teil erschien am 22. Dezember 2000) Textende --> |
Höhen und Tiefen der Volksfrontpolitik | |||||||||||||||||||||||||||
Zu den Tagebüchern Georgi Dimitroffs (Teil III). Von Prof. Dr. Ernstgert Kalbe | |||||||||||||||||||||||||||
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Zunächst eine Vorbemerkung: Die deutsche Ausgabe (Georgi Dimitroff, Tagebücher 1933-1943, hrsg. von Bernhard H. Bayerlein, Berlin 2000, 708 S. Tagebuchtext) und die großformatige bulgarische Ausgabe (Georgi Dimitrov, Dnevnik: 9 mart-6 februari 1949, Sofia 1997, 652 S. Tagebuchtext) unterscheiden sich zunächst dadurch, daß erstere die Eintragungen Dimitroffs nur bis zur Auflösung der Komintern im Juni 1943, letztere seine vollständigen Tagebuchnotizen bis Anfang 1949 beinhaltet - wie mir scheint ein konzeptionell unterschiedliches Anliegen beider Veröffentlichungen: Die deutsche Ausgabe will eine vorwiegend kritische Sicht auf Dimitroffs Rolle in der Komintern vermitteln, während die bulgarische Ausgabe die Persönlichkeit Dimitroffs in ihrem gesamten Wirken mit Verdiensten und Verfehlungen, deren roter Faden im unbeirrbaren Antifaschismus besteht, vorstellen möchte. Zum heutigen Gegenstand: Trotz der gewählten Überschrift möchte der Rezensent, gestützt auf beide Ausgaben, seine Betrachtungen bis Mai 1945, bis zum Sieg der Antihitlerkoalition über den Hitlerfaschismus ausdehnen, weil darin die Konsequenz der über Höhen und Tiefen verfolgten Volksfrontpolitik, quasi als Kehrseite zur Politik der kollektiven Sicherheit und Antihitlerkoalition, besteht. Die historische Zäsur - auch im Leben Dimitroffs - ist der 8. Mai 1945, nicht der 8. Juni 1943! Neue Verantwortung Nach der Verleihung der sowjetischen Staatsbürgerschaft an die im Reichstagsbrandprozeß freigesprochenen Bulgaren wurden Dimitroff, Popoff und Taneff ausgewiesen und am 27. Februar 1934 per Flugzeug via Königsberg nach Moskau geflogen, wo ihnen ein grandioser Empfang bereitet wurde. Bei einer Zusammenkunft mit Stalin, Molotow, Knorin und anderen am 7. April 1934 wurde Dimitroff zur leitenden Arbeit in der Komintern gedrängt. Wenig später drängte auch Dimitri S. Manuilski Georgi Dimitroff, daß man aus dem Gespräch mit Stalin Konsequenzen ziehen müsse: »Wir brauchen in der KI einen >Chasjain< (Hausherrn). Die Geschichte hat Dich durch den Leipziger Prozeß in den Vordergrund gestellt. Du hast ungeheure Popularität unter den Massen. Deine Stimme hat kolossale Resonanz. Du mußt die Leitung übernehmen. Ehrenwort, ich werde Dir mit 120 Prozent in allem helfen. Du mußt die Leute auswählen und sie zusammenführen. Das wird nicht leicht gehen. Es gibt vieles umzustellen. Bei uns gibt es schreckliche Routine und Bürokratismus. Ich habe längst versucht, das zu verändern, aber mir fehlt die nötige Autorität. Du hast diese Autorität. Und wenn es auch Dir nicht gelingen sollte, dann bliebe alles wieder beim alten - und ich muß Dir sagen, dann hat es keinen Zweck, in der KI zu arbeiten. (...) Notwendig ist der Kontakt mit Stalin. Bei Dir wird das leichter sein. Er wird sich mit Dir verständigen.« (deutsche Ausgabe S.103) In der Tat: Dimitroff fand Zugang zu Stalin. Wegen seiner unwandelbaren Ergebenheit gegenüber der Sowjetunion und angesichts seines offensichtlichen Glaubens in die Autorität Stalins, der dieses Vertrauen seinerseits lange - mit Schwankungen bis zum Kriegsende - erwiderte, betrieb Dimitroff in der Komintern eine auf die UdSSR gestützte und zugleich von ihr abhängige Politik, die er nicht als hegemoniale sowjetische Großmachtpolitik, sondern als im Interesse eines weltrevolutionären Prozesses liegend begriff. Von der kommunistischen Bewegung seiner Zeit geprägt, verteidigte Dimitroff die Sowjetunion bedingungslos als vermeintliche Inkarnation sozialistischer Hoffnungen und verdrängte dabei, soweit überhaupt reflektiert, auch stalinistische Deformationen. Tatsächlich gab es damals wohl auch zwei Wahrheiten nebeneinander: einerseits Arbeitsenthusiasmus und Aufschwung im Sowjetlande und andererseits eine repressive Modernisierungs- und Sicherungspolitik, die in quasi zaristisch-etatistischer Tradition zu terroristischen Herrschafts- und bürokratischen Kommandomethoden in Gesellschaft und Wirtschaft mutierte. In diesem Kontext verstrickte sich auch Dimitroff in die destruktive und letztlich selbstzerstörerische Repressionspolitik des stalinistischen Sowjetsystems. Obwohl infolge der faschistischen Haft gesundheitlich schwer angeschlagen, stürzte sich Georgi Dimitroff - von vielen Krankheiten unterbrochen - engagiert in die Vorbereitung des VII. Weltkongresses der Komintern, was im Tagebuch nur spärlich dokumentiert ist. Notizen zum Jahr 1935 fehlen fast vollständig und über den VII. Weltkongreß vom 25. Juli bis 20. August 1935 gänzlich. Offenbar wurden diese Seiten - warum auch immer - aus dem Tagebuch herausgerissen. Wende in der Kominternpolitik Ausgewiesen sind nur Beratungen über die Tagesordnung im April/Mai 1934, bekannt sind sein Brief samt Exposé zum Hauptreferat, das Ende Juni/Anfang Juli in der Vorbereitungskommission beraten wurde, sowie die Tagung des Exekutivkomitees der Komintern (EKKI) im Dezember 1934, auf der Erfahrungen der antifaschistischen Bewegung und strategische Konsequenzen der Aktionseinheit gegen Faschismus und Krieg erörtert wurden. Die Beschlüsse des VII. Weltkongresses zur antifaschistischen Einheits- und Volksfrontpolitik, mit denen die Konsequenzen des faschistischen Machtantritts in Hitlerdeutschland gezogen und die Erfahrungen der französischen Volksfront 1934/35, der bewaffneten Kämpfe in Österreich im Februar 1934 sowie des bewaffneten Generalstreiks im Oktober 1934 in Spanien verallgemeinert wurden, stellen eine wirkliche Wende in der Politik der Komintern dar, die gegen linksorthodoxe Auffassungen durchgesetzt werden mußte. Nicht zufällig scheint mir, daß Dimitroff im »Tagebuch« gleichsam als sein Credo des Antifaschismus immer wieder auf Jahrestage des Reichstagsbrandprozesses zurückkommt. Gegen Faschismus und Krieg Georgi Dimitroff definiert im November 1936 nochmals den Sinn der Volksfrontpolitik: Die Herstellung der Volksfront bedeute, wie am Beispiel Frankreichs und Spaniens ersichtlich, einen Umschwung im Kräfteverhältnis zwischen Proletariat und Werktätigen einerseits und der faschistischen Bourgeoisie andererseits: »Ebnen die Spaltung in den Reihen der Arbeiterklasse und das Fehlen der Aktionseinheit zwischen ihr und den übrigen werktätigen Volksschichten dem Faschismus den Weg zur Macht, so sichern die Einheit der proletarischen Reihen, die Bildung der Volksfront den Sieg der Demokratie über den Faschismus, schützen die Welt vor den faschistischen Kriegsbrandstiftern und ebnen letzten Endes den Weg zum Sieg der Arbeit über das Kapital.« (Dimitroff, Ausgewählte Schriften, Bd. 3, S. 37 f.). Deshalb betrachtete er es als »politische Kurzsichtigkeit« linker Kritiker, der Politik der Volksfront die Prinzipien des Klassenkampfes entgegenzusetzen. Wiederholte Angebote des EKKI an die Sozialistische Arbeiter-Internationale zur Aktionseinheit gegen den Faschismus scheiterten an wechselseitigen Vorbehalten, bewirkten jedoch wenigstens die Duldung von Einheitsfrontabkommen auf nationaler Ebene, so in Frankreich und Spanien. Das »Tagebuch« gibt Einblick in vielfältige Aktivitäten zur Entwicklung der Volksfront in Europa. Es dokumentiert das Auf und Ab der Volksfront in Frankreich. Es belegt die vielfältige politische, materielle und militärische Hilfe von Komintern und Sowjetunion für die spanische Republik gegen den Franco-Putsch, macht jedoch auch deutlich, daß sich wirksame Aktionen wiederholt mit politischer Einmischung in innere Angelegenheiten verbanden. Die eskalierende Aggressivität des Faschismus, verbunden mit einer beschämenden »Befriedungspolitik« der Westmächte gegenüber den faschistischen Achsenmächten, bewirkten die Schwächung und Niederlagen der Volksfrontpolitik seit 1938. Diese Entwicklung kulminierte in der sogenannten Sudetenkrise und dem schändlichen Münchener Abkommen vom 29. September 1938 zur Preisgabe der Tschechoslowakei, das die Politik der kollektiven Sicherheit fragwürdig machte, die Volksfront in Frankreich spaltete und die spanische Volksfront schrittweise zum Rückzug zwang. Dimitroff konstatierte am 11. Oktober 1938: »Zieht man ein vorläufiges Fazit der jüngsten Ereignisse, muß man sagen, daß die Arbeiterklasse (und das bedeutet auch die kommunistische Partei) der wichtigsten kapitalistischen Länder auch diesmal die Prüfung nicht bestanden hat. Dem Faschismus ist ein weiterer zeitweiliger Sieg gelungen, zudem ein für ihn unblutiger Sieg, der fast keine Opfer gekostet hat.« (S. 204) Die Sowjetregierung leitete im Mai 1939 mit der Ablösung von M. M. Litwinow und der Ernennung W. M. Molotows zum Außenminister einen außenpolitischen Kurswechsel ein, der im Abschluß des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrages gipfelt. Verstrickung in Repressionen Der wegen der internationalen Lage ohnehin deutliche Einflußverlust der Komintern verband sich zudem mit der Eskalation der innenpolitischen Repressionspolitik Stalins, die nicht ohne Auswirkungen auf die Komintern bleiben konnte. Dimitroffs »Tagebuch« verzeichnet - von Ausnahmen abgesehen - gewöhnlich nur knappe, zumeist zurückhaltende Einträge zu den Verfolgungen und Prozessen der dreißiger Jahre, was man als innere Distanz oder vorsichtigen Selbstschutz auffassen kann. Natürlich registriert er den ersten Moskauer Schauprozeß vom August 1936 (gegen Kamenjew, Sinowjew und weitere Angeklagte) wie den zweiten vom Januar 1937 gegen das »antisowjetische trotzkistische Zentrum« (Pjatakow, Sokolnikow, Radek und andere) ebenso wie die »Jagd« auf den »Block der Rechten und Trotzkisten«, dem im März 1938 Bucharin, Rykow und viele andere zum Opfer fielen. Mit Ausnahme einer negativen Bemerkung zu Bucharin trifft Dimitroff aber keine persönlichen Wertungen. Im Gegensatz dazu gibt er breit zwei Gespräche mit Lion Feuchtwanger und Maria Osten vom 18. Dezember 1936 (S. 140) und 2. Februar 1937 (S. 148) wieder. Im ersten Gespräch drückte Feuchtwanger sein Unverständnis darüber aus, daß »alle Angeklagten alles gestehen«, obwohl außer den Geständnissen keine Beweise vorliegen, während er beim zweiten Gespräch Spionage und Diversionsakte einräumt, jedoch nochmals konkreten Beweismangel moniert und Kritik an »unflätigen Beschimpfungen der Angeklagten« übt. Dimitroff merkt zum ersten Gespräch an, daß »die Protokolle des Prozesses nachlässig zusammengestellt, voller Widersprüche und nicht überzeugend« seien, während zum zweiten Besuch festgehalten wird, daß »in der Bevölkerung eine Atmosphäre außerordentlicher Unruhe entstanden« sei, »gegenseitiger Verdächtigungen, Denunziationen usw«. Wiederholt erlebt Dimitroff die Verhaftung sowjetischer und ausländischer Mitarbeiter des EKKI, Mitstreiter aus engster Umgebung, die er häufig ohne Einspruch hinnimmt. Besonders tragisch ist die Verstrickung Dimitroffs in die Auflösung der KP Polens im November 1937 und die Verfolgung ihrer ZK-Mitglieder. Andererseits bezeugt das »Tagebuch« wiederholte Fälle seines Einsatzes für verhaftete bulgarische Landsleute oder ausländische Kommunisten, darunter deutsche und jugoslawische Emigranten, was schon aus jugoslawischen Quellen bekannt ist. Übrigens war auch die Komintern-Führung unverhüllten Drohungen ausgesetzt, so Stalins, der die Komintern beschuldigte, »dem Feind in die Hände zu arbeiten« (S. 149), oder Jeshows, der »die größten Spione« in der KI wähnte (S. 158). Letztlich trägt Dimitroff Mitverantwortung für Repressalien gegen sowjetische und ausländische Kommunisten, auch wenn er versuchte, das Schlimmste von der Komintern abzuwenden. Angesichts der damals herrschenden Umstände ist freilich eine Alternative schwer vorstellbar, was erneut bestätigt, daß Widerspruch gegen die eigene Partei schwerer war als Widerstand gegen den Feind. Nach dem Scheitern der Bündnisverhandlungen zwischen der UdSSR und den Westmächten im Sommer 1939 unterschrieb die Sowjetregierung am 23. August den »deutsch- sowjetischen Nichtangriffspakt« und am 26. September 1939 einen »Grenz- und Freundschaftsvertrag«. War der erstgenannte Vertrag unter dem Aspekt sowjetischer Staatsräson noch erklärlich, so verletzten das zugehörige Geheimprotokoll wie der zweite Vertrag - wegen seiner territorialen Konsequenzen, namentlich der polnischen Teilung - alle völkerrechtlich gesetzten Normen. Konträre Kriegssituationen Dieser außenpolitische Kurswechsel wurde offenbar nicht mit dem EKKI vorberaten, wie die seltsam knappen Notizen im »Tagebuch« zum Nichtangriffspakt verraten, der faktisch die antifaschistische Volksfrontpolitik desavouierte. Nicht nur in den kommunistischen Parteien verbreitete sich Unsicherheit; es dauerte immerhin bis zum 9. September, ehe das EKKI - nach Instruktion durch Stalin - eine Direktive verabschiedete, die den am 1. 9. 1939 begonnenen Zweiten Weltkrieg als »imperialistischen, ungerechten Krieg zweier Gruppen kapitalistischer Länder um die Weltherrschaft einschätzte, weshalb »die Teilung der kapitalistischen Staaten in faschistische und demokratische« jetzt »ihre frühere Bedeutung verloren« habe und die kommunistischen Parteien eine gegen den imperialistischen Krieg gerichtete Politik verfolgen müßten (S. 275). Dimitroff orientierte nunmehr auf eine »antiimperialistische Volksfront«, auf Massenaktionen zur Beendigung des Krieges, auf Verhinderung der Einbeziehung weiterer Länder in den Krieg, gestützt auf die Sowjetunion. Dennoch unterstützte Dimitroff den national gerechten Widerstand der vom Faschismus okkupierten oder versklavten Länder und Völker, z.B. der Tschechoslowakei und Polens oder später Frankreichs und Jugoslawiens, wie aus Dokumenten des Dimitroff-Fonds 146 im ehemaligen bulgarischen Parteiarchiv hervorgeht. Erst mit dem Überfall der faschistischen Achsenmächte am 22. Juni 1941 auf die UdSSR erlebte die antifaschistische Volksfrontstrategie ihre nachdrückliche Auferstehung, wie wir sowohl aus einer Dimitroff-Rede vor dem EKKI-Sekretariat vom gleichen Tage (CPA Sofia, Fonds 146, Op.2., A.E.431, pag.2-4) wie aus seinem »Tagebuch« wissen: aktive Unterstützung des Vaterländischen Krieges der Sowjetunion; Organisierung nationaler Befreiungsbewegungen in den faschistisch besetzten Ländern; Hauptschlag gegen den Faschismus, für Demokratie und Unabhängigkeit! Die operative Leitung des EKKI wurde in die Hände von Dimitroff, Manuilski und Ercoli (Palmiro Togliatti) gelegt und konzentrierte sich auf die Unterstützung der KPs bei der Schaffung nationaler antifaschistischer Fronten, auf die Entfaltung des Widerstandes und Partisanenkrieges im Hinterland des Feindes, auf antifaschistische Rundfunkpropaganda und auf die Arbeit unter kriegsgefangenen Soldaten der Achsenmächte. Der Vorwurf der Kooperation des EKKI mit dem sowjetischen NKWD und der militärischen Abwehr geht insofern ins Leere, als Aktivitäten ausländischer Bürger unter Kriegsbedingungen in jedem Lande geheimdienstlich observiert und begleitet werden, was keine unbegründeten Verhaftungen rechtfertigt, die es freilich weiterhin zur Genüge gab. Insgesamt sei festgestellt, daß das EKKI und Dimitroff als Person während der ersten Kriegsjahre eine ungeheure Arbeit bewältigten, auch als Komintern-Organe während der Schlacht um Moskau aus der Hauptstadt nach Kuibyschew und Ufa umsiedelten. Besondere Erwähnung verdienen der engagierte Einsatz Dimitroffs für die Gründung der Polnischen Arbeiterpartei um P. Finder, M. Novotko und B. Molojec im Jahre 1942, seine Unterstützung der jugoslawischen Volksbefreiungsbewegung um die KPJu und J. B. Tito, die lange gegen zögerlichen Widerstand Stalins erfolgte, sowie die enge Zusammenarbeit mit der KPD (W. Pieck, W. Florin, W. Ulbricht und A. Ackermann) hinsichtlich des deutschen Radiosenders, der Arbeit unter den Kriegsgefangenen und der Gründung eines »Nationalkomitees Freies Deutschland«. Im Umgang mit seinen Mitarbeitern war Dimitroff an kollegialer Zusammenarbeit interessiert. Als z.B. einige Abteilungsleiter ihren Mitarbeitern den direkten Zugang zu Dimitroff verbieten wollten, ordnete er an, »daß jeder Mitarbeiter des EKKI-Apparates sich direkt an den Generalsekretär wenden kann, wenn er dies im Interesse der Sache für notwendig erachtet.« (S. 618) Auflösung der Komintern, kein Ende der Arbeit Im Frühjahr 1943 drängte die sowjetische Führung mit Rücksicht auf Empfindlichkeiten der westlichen Alliierten, die die Komintern als Instrument sowjetischer Außenpolitik verstanden, auf die Auflösung der Komintern. Nach mehreren Beratungen im EKKI- Präsidium wurde die Meinung der nationalen KI- Sektionen eingeholt, die dem Vorschlag sämtlich zustimmten. Mit der Begründung, daß die Leitung der nationalen Arbeiterparteien von einem Zentrum aus nicht mehr möglich sei, wurde am 8. Juni 1943 die Auflösung der Komintern beschlossen (S. 689-706). Zur Weiterführung der internationalen Zusammenarbeit wurde im ZK der KPdSU (B) eine Abteilung »Internationale Information« gebildet, deren nominelle Leitung anfangs bei A. S. Tschtscherbakow und alsbald direkt bei Georgi Dimitroff lag. In den letzten beiden Kriegsjahren stand für Georgi Dimitroff die Beratung der KPs, vor allem der ost- und südosteuropäischen Länder bei der Entfaltung des antifaschistischen Widerstands, der Formierung Nationaler Fronten, der Erarbeitung volksdemokratischer Programmdokumente für die Nachkriegszeit und bei der Zusammenarbeit der Parteien der Balkanländer im Vordergrund. Unüberhörbar sind seine Warnungen vor übereilten Schritten zu sozialistischen Gesellschaftsvorstellungen. Wesentliche Aussagen sind auch zur Arbeit mit den polnischen und deutschen Kommunisten an deren politischen Nachkriegskonzeptionen enthalten. Am 17. März 1945 notiert Georgi Dimitroff Gespräche mit Stalin und Molotow zur deutschen Frage nach der Jalta-Konferenz (bulg. Ausgabe, S. 471). Endlich am 8. März 1945 verzeichnet Dimitroff im »Tagebuch«: »In Berlin wurde der Akt der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands unterzeichnet. Der Krieg in Europa ist beendet!« (bulg. Ausgabe S. 477) (Wird demnächst fortgesetzt. Die ersten beiden Teile erschienen am 22. 12. 2000 und am 19. 1. 2001)
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Glatteis, Legenden und tragische Geschichte |
Leipzigs Georgi-Dimitroff-Platz und die »Stalinismus«-Keule |
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In Leipzig geht die Auseinandersetzung um die Neubenennung des Georgi-Dimitroff-Platzes weiter. Zwar hat der Stadtrat inzwischen beschlossen, den Namen des bulgarischen Kommunisten von den Schildern vor dem ehemaligen Reichsgericht zu entfernen. Doch die Leipziger selbst wurden von der SPD-geführten Stadtverwaltung nicht gefragt. Laut einer Zeitungsumfrage jedoch ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung dagegen, Dimitroffs Namen von dem Platz im Zentrum der Stadt zu entfernen. Die Initiatoren der Umbenennung aus CDU und SPD entzogen sich zudem öffentlichen Diskussionen über das Wirken Dimitroffs, der 1933 im Reichstagsbrandprozeß die Anklagekonstruktion der Nazis zu Fall brachte - unterstützt von einer publizistischen Offensive aus dem Ausland, die der deutsche Kommunist Willi Münzenberg initiierte. Unser Autor, der Leipziger Historiker Ernstgert Kalbe, beschäftigt sich in dem folgenden Beitrag mit den »Stalinismus«-Vorwürfen gegen Dimitroff, der 1935 auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale die Volksfrontpolitik begründete, einen Versuch der Sammlung aller antifaschistischen Kräfte, den dann Stalin vor allem mit den Moskauer Schauprozessen von 1936 und 1937 sabotierte. (jW) Georgi Dimitroffs Name steht für die erste Niederlage des faschistischen Hitlerregimes im Reichtagsbrandprozeß 1933 in Leipzig. Dort ging es um jene politische Brandstiftung vom 27. Februar 1933, in deren langem Schatten die Verfolgung von Kommunisten, Sozialdemokraten, Demokraten und Antifaschisten aller Couleur eingeleitet und schließlich die Weltbrandstiftung des Zweiten Weltkrieges vorbereitet wurde. Ist es das, was Leipziger Lokalpolitiker und Pseudohistoriker von CDU bis SPD zur Umbenennung des Georgi-Dimitroff-Platzes vor dem Gebäude des ehemaligen Reichsgerichts treibt, nachdem schon bald nach der Wende das Dimitroff-Museum aus dem Gebäude vertrieben und seine Bestände weggeschlossen wurden? Oder ist es der vorauseilende Gehorsam gegenüber den hohen Richtern des künftig hier beheimateten Bundesverwaltungsgerichts, denen man die Konfrontation mit jener makabren Seite deutscher Reichs- und Rechtsgeschichte ersparen möchte? Im Unterschied zum IV. Strafsenat des Deutschen Reichsgerichts, der angesichts der Tatsachen die angeklagten Bulgaren Dimitroff, Popow und Taneff sowie den deutschen Angeklagten Torgler 1934 freisprechen mußte, sind heutige Leipziger Politiker zu einer fairen politisch-rechtlichen Würdigung der Rolle Dimitroffs im Leipziger Prozeß sowie im antifaschistischen Kampf nicht bereit. Vielmehr schwingen sie die vielseitig verwendbare Keule des »Stalinismus« gegen Dimitroff, der damals weltweit als der »Held von Leipzig« gefeiert wurde. Der erste Vorwurf lautet, Dimitroff habe als Sekretär des Westeuropäischen Büros der Kommunistischen Internationale (KI) in Deutschland zur Vernichtung der Sozialdemokratie aufgerufen, weil »Faschismus und Sozialdemokratie Zwillingsbrüder« seien. Gerade Dimitroff gehörte zu jenen führenden Kommunisten, die gegen die These vom Sozialfaschismus auftraten. Während des Leipziger Prozesses rief er zur Einheitsfront mit der Sozialdemokratie auf, so wie er es bereits zuvor getan hatte. Im Oktober 1932 zum Beispiel schrieb Dimitroff einen Brief an das Exekutivkomitee der KI, in dem er sektiererische Enge der KPD bei der Politik der Antifaschistischen Aktion beklagte. »Gegenüber den sozialdemokratischen Arbeitermassen setzen wir in der >Antifaschistischen Aktion< die frühere Fragestellung fort:Kommt zu uns! Kämpft mit uns gegen den Faschismus, gegen den Lohn- und Unterstützungsraub (...) Faktisch stellen wir immer noch die Anerkennung der Führung der Kommunistischen Partei als eine Vorbedingung für die revolutionäre Einheitsfront ...« Statt dessen empfahl er, daß die Arbeiter »ohne Unterschied der Partei- und Organisationszugehörigkeit« »gemeinsam gewählte Kampforgane« schaffen sollten.Bekannt ist Dimitroffs Wirken für den Amsterdamer Antikriegskongreß im August 1932 und für den Antifaschistischen Arbeiterkongreß Europas im Juni 1933 in Paris. Während des Leipziger Prozesses rief er zu Massenarbeit, Massenkampf und Einheitsfront auf, die das Alpha und Omega des antifaschistischen Kampfes seien. Der zweite Vorwurf lautet, Dimitroffs Mut in Leipzig habe im Wissen darum bestanden, daß Gestapo und NKW vorab seine Überstellung nach Moskau vereinbart hätten. Weiß der Henker, woher diese Weisheit stammt. Die Akten des sächsischen Ministeriums des Innern wie die Gestapo-Akten (Landeshauptarchiv Dresden, Ministerium des Auswärtigen Amtes, Teil I, Nr. 846, XXI. 45) weisen jedenfalls aus, daß am 4. Januar 1934 in Berlin eine Beratung im Reichsministerium des Innern stattfand, auf der über die Auslieferung Dimitroffs und seiner Genossen oder ihre Verbringung in ein KZ diskutiert wurde. Ministerialdirigent Diels erklärte dort im Auftrage des preußischen Ministerpräsidenten Göring, daß man »die weitere Behandlung Dimitroffs geradezu eine Stilfrage für den Nationalsozialismus nennen« könne. »Die Absicht des preußischen Herrn Ministerpräsidenten ginge dahin, Dimitroff in ein KZ zu bringen und ihn dort genauso zu behandeln wie die anderen maßgeblichen kommunsitischen Funktionäre Torgler, Schneller usw.« Aus außenpolitischen Rücksichten entschied Hitler persönlich, die freigesprochenen Bulgaren in die Sowjetunion abzuschieben, nachdem diesen im Februar 1934 die sowjetische Staatsbürgerschaft verliehen worden war. Der beabsichtigte gleichsetzende Totalitarismusvorwurf geht also nicht auf. Der dritte Vorwurf lautet, Dimitroff habe nach dem Leipziger Prozeß und als Generalsekretär der KI als Erfüllungsgehilfe Stalinscher Repressionspolitik gedient. Zunächst begründete Dimitroff nach dem Leipziger Prozeß die Strategie der antifaschistischen Einheitsfront und Volksfrontpolitik des VII. Weltkongresses der KI im Sommer 1935, die anfänglich zum Aufschwung des weltweiten antifaschistischen Kampfes beitrug, mit dem Münchner Abkommen und dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt jedoch faktisch für zwei Jahre außer Kraft gesetzt wurde. Die Durchsetzung der Volksfrontpolitik war nur gegen den Widerstand sektiererischer Kräfte in der kommunistischen Bewegung möglich. Es ist wahr: Als Generalsekretär der KI konnte Dimitroff die um sich greifenden Repressionen gegen sowjetische Funktionäre, deutsche, bulgarische und andere Politemigranten in der Sowjetunion nicht verhindern, teils wegen zunehmender Machtlosigkeit, teils wegen falscher Gläubigkeit gegenüber den sowjetischen Organen, teils auch wegen selbstverschuldeter Unmündigkeit gegenüber dem Machtapparat Stalins, zumal das Gewicht der KI seit 1938 ständig sank. Das ist keine Entschuldigung, sondern eine Erklärung. Freilich gibt es auch Beweise dafür, daß Dimitroff - wie Togliatti oder Pieck - in manchen Fällen verhaftete Gesinnungsgenossen aus der Haft befreien konnte. Bekannt ist die Aussage des autorisierten Tito-Biographen Dedijer, wonach Dimitroff und Tito bei den Verhaftungswellen 1937/1938 gegenseitig gefährdete Landsleute in ihren Datschen versteckten. Stefan Troebst, zu realsozialistischen Zeiten westdeutscher Geschichtsstudent in Sofia und heute als Leiter des Flensburger »Europäischen Zentrums für Minderheitenforschung« (EZM) maßgeblich am Ausbau einer rechtsextremistisch beeinflußten »Volkstums«politik beteiligt (siehe jW vom 22. Mai 1997), widmet sich in einem längeren Artikel, der von der Leipziger SPD gewissermaßen als Hauptbeweismittel gehandelt wird, den in der Tat verbrecherischen Säuberungen und Verfolgungen in der Bulgarischen Kommunistischen Partei (BKP). Der Autor bezeichnet dabei Dimitroff neben Kolaroff als »Strohmann« bei solchen Repressalien gegen Politemigranten in der UdSSR und gegen Parteifunktionäre in Bulgarien. Troebst verteidigt in diesem Zusammenhang faktisch sogar die sogenannte »linke« Führung der BKP um Petar Iskroff, um die Einheits- und Volksfrontlinie Dimitroffs ins Zwielicht zu rücken. Nicht immer recherchierte er die Fakten exakt, so wenn er von der Teilrehabilitierung Blagoj Popoffs 1954 spricht, eines Mitangeklagten Georgi Dimitroffs im Leipziger Prozeß, der nach seiner Entlassung aus sowjetischer Haft immerhin Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre 1. Botschaftsrat der Volksrepublik Bulgarien in der DDR war. Der unterschwellige Verdacht, Dimitroff könnte seine Hand auch bei der Ausschaltung und Verurteilung Traitscho Kostoffs, des 1. Sekretärs der BKP, im Jahre 1949 im Spiele gehabt haben, geht ins Leere. Der todkranke Dimitroff befand sich seit dem 15. April 1949 im sowjetischen Sanatorium Barwicha und verstarb dort am 2. Juli 1949, Kostoff wurde - freilich mit Kenntnis Dimitroffs - hingegen im Mai 1949 aus dem ZK, im Juni aus der BKP ausgeschlossen, am 20. Juni 1949 verhaftet und im Dezember 1949 in einem konstruierten Prozeß zum Tode verurteilt. Nach seiner Rückkehr nach Bulgarien hatte Dimitroff von 1946 bis 1948 gemeinam mit Tito eine aktive Politik zur Schaffung einer Balkanföderation zwischen Bulgarien, Jugoslawien, Albanien, eventuell auch Griechenland (im Falle eines linken Sieges im griechischen Bürgerkrieg) und Rumänien betrieben. Das fand im sogenannten Bleder Vergleich zwische Bulgarien und Jugoslawien vom 1. August 1947 und in den Freundschaftsverträgen von 1947/48 zwischen den südosteuropäischen Ländern der Volksdemokratie konkreten Ausdruck. Damit wäre eine starke staatliche Föderation in Südosteuropa entstanden - mit eigenem internationalem Gewicht und eigenen Interessen. Das rief die harsche Kritik Stalins hervor. Während sich Dimitroff dem Verdikt aus Moskau beugte, beharrte Tito auf eigenen Positionen, was 1948 zum Kominform-Konflikt mit Jugoslawien führte. Das tragische Ende einer großen Idee. Übrigens war Kostoff aktiv an den Föderationsgesprächen mit Jugoslawien beteiligt. Das war der eigentliche Punkt seiner späteren Verhaftung, Verurteilung und Hinrichtung, die zweifellos auf Stalins Intervention zurückzuführen war. Jedenfalls riet Dimitroff, der sich an der Kominform-Beratung im Juni 1948 nicht beteiligte, den Jugoslawen zum Durchhalten. In Jugoslawien wurden deshalb der Name Dimitroff für Orte und Betriebsbezeichnungen beibehalten, während Tito die Namen von führenden Funktionären anderer sozialistischer Länder entfernen ließ. In der blutigen Geschichte des 20. Jahrhunderts, das Eric Hobsbawm als das »Zeitalter der Extreme« bezeichnet, sind fleckenlose Biographien selten. Das gilt zum Beispiel auch für die Männer des 20. Juli 1944, die sich führend an Hitlers Krieg beteiligt hatten. Warum gilt ähnliche Fairneß nicht für Dimitroff? Oder obwaltet hier die Logik umgekehrter Totalitarismusdoktrin? *** Unter dem Titel »Der Dimitroff-Skandal: Wie die Stadt Leipzig einen weltberühmten Antifaschisten abwickelt« hat der PDS-Stadtvorstand Leipzig eine illustrierte Chronik der bisherigen Auseinandersetzungen um den Georgi-Dimitroff- Platz herausgegeben. Die von Volker Külow und Dietmar Pellmann verfaßte 32seitige Broschüre ist zum Preis von 4 Mark plus Porto ab dem heutigen Donnerstag über die Leipziger PDS (04277 Leipzig, Brandvorwerkstr. 52/54, Tel. 0341/3950455) erhältlich. Textende --> |
Keinen Stein für van der Lubbe? |
jW-Gespräch mit dem Berliner Gerhard Brack, der sich für einen Gedenkstein in Berlin einsetzt |
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*** Gerhard Brack - das Foto zeigt ihn mit drei niederländischen Künstlern vor dem Berliner Reichstagsgebäude - lebt als freier Autor und Wissenschaftler in Berlin. Er promovierte über Friedrich Dürrenmatt, arbeitete beim Bayrischen Rundfunk. Er beschäftigt sich mit dem Leben von Marinus van der Lubbe und studiert derzeit im Bundesarchiv vor allem die Akten, die 1982 aus der Sowjetunion nach Berlin zurückkamen: 250 Kartons über den Reichstagsbrand - mit jeweils zwischen 200 und 8 000 Seiten * Die Nazis hatten versucht, die Brandstiftung den Kommunisten anzuhängen. Noch in der Nacht vom 27. zum 28. Februar 1933 wurden zahlreiche Mitglieder der KPD und andere Antifaschisten nach vorgefertigten Listen verhaftet. Die Anklage gegen Georgi Dimitroff und andere brach im Reichstagsbrandprozeß zusammen. Doch Marinus van der Lubbe wurde widerrechtlich zum Tode verurteilt. Bis heute wird versucht, ihn als »Alleintäter« bei der Reichstagsbrandstiftung hinzustellen F: In Leipzig und dem niederländischen Leiden sind zwei Gedenksteine für den niederländischen Rätekommunisten Marinus van der Lubbe errichtet worden. Nun soll auch in Berlin vorm Reichstagsgebäude ein Gedenkstein für den als angeblichen Reichstagsbrandstifter zum Tode Verurteilten errichtet werden. Sie engagieren sich - gemeinsam mit zahlreichen niederländischen Künstlern - für diese Ehrung. Was hat Sie dazu bewegt? Ich interessiere mich sehr stark für das Leben Marinus van der Lubbes. Er ist eine in der Geschichte sehr wichtige Persönlichkeit. In den Niederlanden existiert eine Stiftung, die sich dafür einsetzt, daß es ein Grab für van der Lubbe gibt. In Holland ist das Interesse riesengroß. Bei der Stiftung laufen die Telefone heiß. Auch wenn ich selbst nicht Mitglied dieser Stiftung bin, war ich in den Niederlanden, habe dort recherchiert und diejenigen kennengelernt, die diese Initiative ins Leben riefen. Das überzeugte mich. Marinus van der Lubbe ist jemand, der sich stark politisch engagierte einerseits. Und er ist jemand, der ein sehr fürsorglicher, offener, kämpferischer, aber für andere kämpferischer Mensch war. Ich habe mich auf die Suche nach Menschen gemacht, die noch Marinus van der Lubbe persönlich erlebten und habe diese auch gefunden. Beispielsweise habe ich den Sohn des Mannes gefunden, der Marinus in die Kommunistische Partei eingeführt hat. Im Bundesarchiv fand ich vor kurzem einen Brief, worin van der Lubbe einem Jungen zum Geburtstag Geld schickt. Er bekam selber sehr wenig Geld, er war Invalide und hatte nur sieben Gulden vierundvierzig pro Woche. Dieses wenige Geld hat er oft verschenkt an andere. In Leipzig, wo van der Lubbe vor dem Reichsgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde, steht bereits ein solcher Gedenkstein für ihn. Ja, als Grabmal. Das Grab von Marinus liegt versteckt, in doppelter Tiefe, und es war nicht leicht, dieses Grab zu finden. F: Wieweit sind die Bemühungen gediehen, in der deutschen Hauptstadt eine Ehrung für van der Lubbe zu schaffen? Dieser Stein ist fertig. Er ist als Geschenk von Bürgern aus den Niederlanden gestiftet worden. Er ist ein Geschenk für die Stadt Berlin. Die Stadt Berlin möchte sich - so die letzten mir vorliegenden Informationen - jedoch nicht engagieren, sich nicht einsetzen, es nicht befürworten, daß dieser Stein aufgestellt wird. Vom Bundestag gab es einige positive Rückmeldungen, auch die Stadt Leipzig äußerte sich sehr positiv. Aber die zuständige Berliner Senatsverwaltung äußerte, daß sie das Projekt nicht empfehlen möchte. Ohne Empfehlung der Stadt Berlin wird die Aufstellung des Denkmals nicht genehmigt. Es geht seit längerem nur darum, ob und wo der Stein aufgestellt werden kann. Aber die Senatsverwaltung wünscht offenbar diesen Stein nicht. In den Niederlanden interessiert man sich stark für van der Lubbe, wo er auch einen großen Rückhalt hat. Politiker und auch die Bevölkerung dort stehen sehr hinter ihm. Am kommenden Montag wird eine Ausstellung im Amsterdamer Widerstandsmuseum eröffnet, wo dieser Stein zu sehen sein wird. Es bewegt die Menschen in den Niederlanden sehr. Sie sagen, Marinus war das erste Nazi-Opfer in den Niederlanden. Ich finde es sehr warm von den Niederländern, daß gerade von dieser Nation, die als erste durch die Ermordung van der Lubbes betroffen war, eine solche Aussöhnungsgeste kommt und Berlin dieser Stein geschenkt wird. Ich fände es völlig unverständlich, dieses Geschenk abzulehnen. F: Sind die drei Steine in Leipzig, der in Berlin geplante und der in der Heimatstadt van der Lubbes, in Leiden, identisch? Nein. Die drei Steine sind vom Format her gleich groß und sehen aus, als seien sie die Sandsteinquader, aus denen der Reichstag aufgebaut ist. Marinus dachte trotz seiner harten Haftbedingungen - über Monate hinweg waren seine Hände mit Ketten an die Hüften gefesselt, bei Tag und Nacht brannte Licht in seiner Zelle - an seine Freunde und schrieb ihnen ein dreistrophiges Gedicht, in dem es um die Schönheit des Lebens geht. Die zweite Strophe steht auf dem Stein, der für Berlin gedacht ist. F: Gibt es in Deutschland weitere Ehrungen für van der Lubbe? Nein. Nicht, daß ich wüßte. F: Die Leipziger PDS hat sich seinerzeit sehr für ein öffentliches Gedenken an Marinus van der Lubbe in Leipzig eingesetzt. Hat Ihr Vorhaben auch von anderer Seite hierzulande Unterstützung bekommen? Ich glaube, daß viele noch gar nicht wissen von dem Projekt. Die junge Welt ist die erste deutsche Zeitung, die bei uns anfragt und wissen will, was da eigentlich genau geplant ist. Es ist zu wünschen, daß dem Vorhaben mehr Öffentlichkeit geschenkt wird. Die Zeit schrieb seinerzeit, als der Gedenkstein in Leipzig aufgestellt wurde, es sei zu hoffen, daß sich die Hauptstadt genauso leicht tue wie Leipzig. F: Was haben Sie jetzt konkret vor, um für mehr Öffentlichkeit, auch mehr Unterstützung zu sorgen? Es wird auf jeden Fall die Möglichkeit geben, daß jeder Berliner diesen Stein sehen kann, und zwar am 27. Februar. Die Künstler werden aus Holland nach Berlin kommen, und sie werden den Stein mitbringen. Jeder wird sich davon überzeugen können, daß der Stein nicht übertrieben ist, sondern sehr schlicht und bescheiden. Es wird gegen Marinus gesagt, durch seine Tat seien die Konzentrationslager entstanden, das Ermächtigungsgesetz. Das ist nichts, was Marinus wollte, und das hat er wirklich nicht verschuldet. Er war nach Deutschland gekommen, als er vom Machtantritt Hitlers hörte, und er ist nach Berlin gegangen, um zu sehen, wie es den Arbeitern geht. Er ging damals davon aus, so sagte er, daß diese Regierung der nationalen Konzentration erstens die Arbeiter unterdrücken und zweitens zum Krieg führen werde. Es ist wirklich nicht die Schuld von Marinus, wenn die Nazis den Reichstagsbrand benutzten, um Konzentrationslager einzurichten und das Ermächtigungsgesetz durchzudrücken. Man kann also nicht sagen, daß der Stein keinen Platz habe, weil Marinus Schuld habe an den Dingen, die in der Folge des Reichstagsbrandes geschahen. F: Das Berliner Reichstagsgebäude ist im vergangenen Jahr nach großen Umbauarbeiten wieder eröffnet worden. Auf die Rolle von Marinus van der Lubbe in der Geschichte dieses Gebäudes ist von dem amerikanischen Architekten Foster in keiner Weise eingegangen oder hingewiesen worden. Wie erklären Sie sich das? Das ist einfach ein Versäumnis. Als sich die Initiative für diesen Gedenkstein gründete, waren die Planungen von Foster schon beendet. Das Empfehlungskomitee des Bundestages war zum letzten Mal zusammen getreten. Die Planungsphase war abgeschlossen, was es auch jetzt problematisch macht. F: Aber es ist zumindest verwunderlich, daß bei der Konzeption einer Renovierung, Neugestaltung des Reichstagsgebäudes ein solcher Hinweis auf van der Lubbe überhaupt nicht in Erwägung gezogen wird? Das kann man doch eigentlich nicht »vergessen«. Das ist richtig. Der Heizungsgang, durch den die Nazis gekommen sein sollen, soll wohl erhalten bleiben. Auf den soll warscheinlich hingewiesen werden. Aber, daß auf Marinus van der Lubbe nicht hingewiesen wird, ist wirklich ein riesiges Versäumnis. F: Die Bundesrepublik Deutschland hat als Rechtsnachfolger des Nazi-Reiches die von den deutschen Nazis über van der Lubbe verhängte Todesstrafe in eine achtjährige Freiheitsstrafe revidiert. Was sagen Sie dazu? Das hat alle, die sich mit dieser Geschichte und mit Marinus auseinandersetzen, persönlich getroffen und verletzt. Es leben noch Angehörige von Marinus, die das genausowenig verstanden haben, wie all diejenigen, die sich mit seinem Leben auseinandergesetzt haben. Marinus ist zum Tode verurteilt und geköpft worden aufgrund eines Gesetzes, das es zur Tatzeit noch gar nicht gegeben hat. In dem Gerichtsverfahren unter den Nazis selbst ist auch vieles nicht berücksichtigt worden, was Marinus entlastet hätte. Es ist bedauerlich, daß das nicht richtiggestellt worden ist. Ein bundesdeutscher Verfassungsrichter soll sich wohl auch einmal sehr gegen diese Umwandlung in eine achtjährige Zuchthausstrafe ausgesprochen hat. F: An diesem Wochenende ziehen wieder Zehntausende Menschen an die Gräber der ermordeten KPD-Mitbegründer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Die größte antifaschistische Demonstration, die alljährlich in Deutschland stattfindet. Können Sie sich vorstellen, daß Marinus van der Lubbe auch einmal in den Mittelpunkt eines breiten öffentlichen Gedenkens gelangen wird? Marinus wird immer jemand sein, mit dem sich die Beschäftigung lohnt. Es gibt in den Niederlanden fast eine Kultur des Anarchismus, und ich glaube auch, daß wir von der etwas lernen können. Ich glaube ganz bestimmt, daß viele Berliner ihn liebgewinnen können. Es wird immer viel unverständlich bleiben an ihm. Aber er war jemand, der sich den gesellschaftlichen Problemen nicht verweigerte und versuchte, etwas zur Lösung dieser Probleme zu tun. Als ich vor kurzem in Leipzig war, lagen dort auf seinem Grab auch Tulpen. Orange Tulpen. Das Gespräch führte Ulrike Schulz (Aus der Wochenend-Ausgabe) |
Kein Platz für Dimitroff und van der Lubbe? |
Leipzig will Platz umbenennen und ein NS-Mord vergessen machen |
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Reinhard Bohse, der Pressesprecher der Stadt Leipzig, ist offenkundig ein Mann mit seherischen Fähigkeiten. Während die für Mittwoch geplante Umbenennung des Georgi-Dimitroff-Platzes kurzfristig von der Tagesordnung der Ratsversammlung gestrichen wurde, gibt er protestierenden Bürgern die schriftliche Prognose, »ziemlich gewiß« sei es, »daß der Platz den Namen Dimitroff nicht behalten wird«. Den Antrag zur Umbenennung hatte die Leipiger CDU-Stadtfraktion - allerdings ohne alternativen Vorschlag - bereits am 4. Oktober 1996 mit der Begründung eingebracht, daß dem Bundesverwaltungsgericht als künftigem Nutzer des ehemaligen Reichsgerichts der Name eines »führenden bulgarischen Stalinisten« nicht zugemutet werden könne. Die mit der CDU faktisch in großer Koaliton verbandelte SPD überholte die Christdmeokraten wenig später noch rechts. Mit der Begründung, das Reichsgericht habe »bis in die Nazizeit seine Unabhängigkeit erhalten«, schlug man die sofortige Umbenennung des Georgi-Dimitroff-Platzes in »Reichsgerichtsplatz« vor. Die verheerende Unkenntnis der Leipziger Sozialdemokraten über die NS-Justiz und ihre Vorgeschichte könnte fast anrührend wirken, wenn sie nicht das Fundament geradezu abenteuerlicher Argumentationen bilden würde. Gestützt auf Handreichungen eines Hobby-Historikers kolportierte der zuständige SPD-Stadtrat Hans Heinrich Deicke beispielsweise die These, Dimitroff hätte vor Beginn des Reichstagsbrandprozesses um seinen Freispruch gewußt und sei nach den Verhandlungen gemeinsam mit Hermann Göring auf der Jagd gewesen. Ob sich die vom Großhistoriker Hans Mommsen angeführten Verfechter der sogenannten Alleintäter-Theorie, die den Brand vom 27. Februar 1933 bis zum heutigen Tag als Solotat des invaliden niederländischen Maurers Marinus van der Lubbe ansehen, über derartigen sozialdemokratischen Flankenschutz freuen, darf bezweifelt werden. Die mit dem Untergang der DDR nunmehr hegemoniale Ausdeutung des Reichtagsbrandes wird aus mächtigeren Kraftquellen gespeist und ist auf die wirren Phantasien lokaler Pseudoforscher nicht angewiesen. Es ist hier nicht der Ort, die eigentümlichen Entstehungsumstände der »Spiegel«-Serie zum Reichstagsbrand aus der Feder von Fritz Tobias in den Jahren 1958/59 nachzuzeichnen, als im Rahmen eines verdeckten Zusammenspiels von ehemaligen NS-Tätern in Polizei und Publizistik die Reinwaschung der wirklichen Brandstifter ihren Anfang nahm. Allerdings muß darauf verwiesen werden, daß diese bis heute nicht öffentlich gewordene Symbiose noch fast fünfzig Jahre später eine enorme Wirkung entfaltet. Eben diese Konstellation - mit Hans Mommsen als wissenschaftlicher Leitfigur - behindert die Publikation des seit 1990 druckreifen 3. Bandes der international renommierten Dokumentenedition »Der Reichstagsbrand und Georgi Dimitroff«. Dieser Band könnte auch näheren Aufschluß über die letzten Wochen des Mannes geben, der das eigentliche Opfer des Reichstagsbrandprozesses war: Marinus van der Lubbe. Im brennenden Reichstag von der Polizei am 27. Februar 1933 gegen 21.30 Uhr aufgegriffen, hatte van der Lubbe vom Zeitpunkt seiner Verhaftung an nicht mehr die Spur einer Chance. Schon wenige Tage nach dem Brand, als im Hitler-Kabinett die Behauptungen ausländischer Zeitungen behandelt wurden, daß die Nazis den Reichstag selbst angezündet hätten, äußerte Hitler, diesem ganzen »Geschrei wäre der Boden entzogen worden, wenn der Täter sofort aufgehängt worden wäre«. Drei Wochen später beschloß die NS-Regierung das Gesetz über die Verhängung und den Vollzug der Todesstrafe vom 29. März 1933 (»Lex van der Lubbe«), das vom Reichsgericht bei seinem Urteil zum Reichstagsbrand am 23. Dezember 1933 rückwirkend angewendet wurde: Wegen Hochverrats (Paragraph 81 StGB) in Tateinheit u. a. mit aufrührerischer Brandstiftung (Paragraph 307 StGB) verurteilte das höchste deutsche Gericht den aus dem niederländischen Leiden stammenden Maurer und Rätekommunisten, der während des Prozesses mutmaßlich unter dem Einfluß von Drogen bzw. Medikamenten gestanden hatte, zum Tode und beging damit einen bis heute ungesühnten Justizmord. Zur Rekonstruktion der geschichtlichen Wahrheit gehört auch die Feststellung, daß die Behandlung van der Lubbes durch die antifaschistische Linke - bei allem Verständnis für die vorbehaltlose Unterstützung von Dimitroff und den anderen Mitangeklagten - wenig ehrenvoll war. Das unter Leitung von Willi Münzenberg entstandene und in seiner weltweiten politischen Wirkung nicht zu überschätzende »Braunbuch« denunzierte van der Lubbe als angeblichen Homosexuellen und Nazisympathisanten, der wissentlich im Auftrag bzw. nach Absprache mit den Faschisten gehandelt habe. Lediglich einige niederländische Rätekommunisten und Freunde des Angeklagten solidarisierten sich mit dem ehemaligen Mitglied der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei Hollands (KPH), der sich seit 1928 auf Wanderschaft durch Europa befunden hatte und Anfang 1933 wieder nach Deutschland gekommen war, um die deutschen Arbeiter in fataler Verkennung der neuen politischen Situation durch infantile Brandstiftungen zum Kampf gegen Hitler wachzurütteln. Als publizistische Antwort auf das »Braunbuch« veröffentlichte das »Internationaal van der Lubbe-Comité« 1933 eine Verteidigung in niederländischer Sprache. In deutschsprachiger Ausgabe erschien dieses »Rotbuch«, das van der Lubbes Persönlichkeit als eine »fast kindliche Natur« nachzeichnete, erst 50 Jahre später bei der Edition Nautilus. Am 10. Januar 1934, drei Tage vor seinem 25. Geburtstag, wurde Marinus van der Lubbe im Lichthof des Leipziger Landgerichts früh 7.30 Uhr durch den Scharfrichter Engelhardt aus Schmölln enthauptet. Neben dem Oberreichsanwalt Dr. Karl Werner ließen sich auch sechs Dezernenten Leipzigs und mehrere Stadtverordnete die Teilnahme an der Hinrichtung nicht nehmen. Entgegen der Strafprozeßordnung verweigerten die NS-Behörden den Angehörigen zunächst die Herausgabe des Leichnams, da sie eine mögliche toxikologisch-chemische Untersuchung der sterblichen Überreste befürchteten. Am 15. Januar wurde van der Lubbe auf dem Leipziger Südfriedhof in einem anonymen Grab in doppelter Tiefe beigesetzt; Den eichernen Sarg mit Zinkeinsatz bedeckte zusätzlich ein riesiger Stein. Mitte der fünfziger Jahre wurde die Grabstelle Nr. 257 (VIII. Abteilung, 8. Gruppe) geöffnet und die Korrektheit aller im Friedhofsarchiv überlieferten Informationen festgestellt. Ein Jahrzehnt später regte das Georgi-Dimitroff-Museum die Exhumierung der Leiche van der Lubbes an, um die Vergiftungsthese gerichtsmedizisnich überprüfen zu lassen. Auf Grund wirklicher oder vermeintlicher diplomatischer Rücksichtnahmen gegenüber den Niederlanden wurde damals eine auch heute noch vorstellbare - durch die erneute Belegung des Grabes und den inzwischen verstrichenen Zeitraum allerdings wesentlich verringerte - Chance vergeben, eines der großen Rätsel im Reichstagsbrandprozeß wissenschaftlich überzeugend zu lösen. 1967 begann das juristische Nachspiel des Falles Marinus van der Lubbe. 33 Jahre nach seiner Hinrichtung verurteilte ihn das Berliner Landgericht auf Antrag seines Bruders und unter Aufhebung des vormaligen Todesurteils in einem neuen Verfahren wegen »menschengefährdender Brandstiftung« zu acht Jahren Zuchthaus. Im Dezember 1980 erkannte das gleiche Gericht sogar auf Freispruch. Gegen dieses Urteil legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Daraufhin entschied das zuständige Kammergericht, das Wiederaufnahmeverfahren von 1967 sei nicht zulässig gewesen, weil es in der Bundesrepbulik Deutschland kein Nachfolgegericht für das frühere Reichsgericht gäbe. Der ehemalige Ankläger im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß, Robert Kempner, beantragte im Auftrag des Bruders von van der Lubbe am 25. Februar 1983 ein erneutes Wiederaufnahmeverfahren beim Bundesgerichtshof. Während in der Bundesrepublik bislang der Versuch scheiterte, Gerechtigkeit für van der Lubbe zu erkämpfen, wurde sein Name in den Niederlanden rehabilitiert: Am 10. Januar 1980, genau 46 Jahre nach der Hinrichtung, weihte sein Jugendfreund Koos de Vink gemeinsam mit ehemaligen rätekommunistischen Mitstreitern in Leiden den »Marinus van der Lubbe«-Hof ein. Auf deutschem Boden steht eine öffentliche Stätte der Erinnerung und damit ein Mindestmaß an postumer Rehabilitierung für Marinus van der Lubbe immer noch aus. Volker Külow |
Literatur:
Carl Dirks / Karl-Heinz Janßen
Der Krieg der Generäle
Hitler als Werkzeug der Wehrmacht
Berlin: Propyläen Verlag, 1999
ISBN 3-549-05590-0
DM 39,90
Neue Archivfunde der beiden Zeithistoriker belegen, daß das deutsche Militär nicht erst nach 1933, sondern spätestens 1923 mit der Vorbereitung für einen neuen Weltkrieg begann. Detailliert analysieren die Autoren die geheimen Rüstungsprogramme der 1920er Jahre, die Umwandlung der vom Versailler Vertrag verordneten Rumpfarmee in ein Angriffsheer und die Weltmachtträume der Militärs. Sie zeigen, daß die deutschen Generalität schon lange vor Hitler einen neuen Krieg plante und vorbereitete - Mobilmachung, Anforderungen an die Rüstungsindustrie, Planspiele für den Ostfeldzug -, der im Zweiten Weltkrieg Realität wurde.
Dietrich Eichholtz / Wolfgang Schumann (Hg.)
Anatomie des Krieges
Neue Dokumente über die Rolle des deutschen Monopolkapitals bei der Vorbereitung und Durchführung des zweiten Weltkrieges
Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1969 (nur noch antiquarisch oder über Bibliotheken erhältlich)
Erhard Moritz (Hg.)
Fall Barbarossa
Dokumente zur Vorbereitung der faschistischen Wehrmacht auf die Aggression gegen die Sowjetunion (1940/41)
Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1970
(nur noch antiquarisch oder über Bibliotheken erhältlich)
Gerhart Hass / Wolfgang Schumann (Hg.)
Anatomie der Aggression
Neue Dokumente zu den Kriegszielen des faschistischen deutschen Imperialismus im zweiten Weltkrieg
Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1972
(nur noch antiquarisch oder über Bibliotheken erhältlich)
Wolfgang Schumann (Hg.)
Griff nach Südosteuropa
Neue Dokumente über die Politik des deutschen Imperialismus und Militarismus gegenüber Südosteuropa im zweiten Weltkrieg
Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1973
(nur noch antiquarisch oder über Bibliotheken erhältlich)
Wolfgang Schumann / Ludwig Nestler (Hg.)
Weltherrschaft im Visier
Dokumente zu den Europa- und Weltherrschaftsplänen des deutschen Imperialismus von der Jahrhundertwende bis Mai 1945
Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1975
(nur noch antiquarisch oder über Bibliotheken erhältlich)
Manfred Menger / Fritz Petrick / Wolfgang Wilhelmus (Hg.)
Expansionsrichtung Nordeuropa
Dokumente zur Nordeuropapolitik des faschistischen deutschen Imperialismus 1939 - 1945
Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1987 ISBN 3-326-00215-7 (nur noch antiquarisch oder über Bibliotheken erhältlich)
Von DDR-Historikern sorgfältig ausgewählte und kommentierte Dokumentensammlungen mit Strategiepapieren und Stellungnahmen deutscher Unternehmer, Politiker und Militärs zu den Plänen des deutschen Imperialismus mit Schwerpunkt auf die Zeit des Zweiten Weltkrieges. Die umfangreiche Edition ist ein Grundlagenwerk, das die Praxis der deutschen "Neuordnung" anhand zahlreicher "Dokumente aus den verschiedensten Instanzen des faschistischen Machtapparats" belegt. In den äußerst sorgfältig edierten Bänden sind die wichtigsten Selbstaussagen zur wirtschaftlichen Ausplünderung und detaillierte Befehle zur Massenvernichtung in den besetzten Ländern versammelt.
, Vertreibungen, ...), Bruch aller Religionsregeln.
Literatur:
Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.)
Vernichtungskrieg
Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1945. Ausstellungskatalog
Hamburg: Hamburger Edition, 1996
ISBN 3-930908-24-7
DM 40,-
1945, kaum daß Nazi-Deutschland besiegt war, begann die Verbreitung einer Legende - der Legende von der "sauberen Wehrmacht", die Distanz zum NS-Regime gehalten, mit Anstand und Würde ihre soldatische Pflicht erfüllt habe und über die Greueltaten von Himmlers Einsatztruppen allenfalls nachträglich erfahren hätte. Die Ausstellung zeigt an drei Beispielen,. daß die Wehrmacht 1941 bis 1944 auf dem Balkan und in der Sowjetunion keinen "normalen" Krieg führte, sondern einen Vernichtungskrieg gegen Juden, Kriegsgefangene und Zivilbevölkerung, dem Millionen Menschen zum Opfer fielen.
Hannes Heer / Klaus Naumann (Hg.)
Vernichtungskrieg
Verbrechen der Wehrmacht 1941 - 1944
Hamburg: Hamburger Edition, 1995
ISBN 3-930908-04-2
DM 68,-
Der Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung dokumentiert die Beteiligung des deutschen Militärs an drei Großverbrechen: an der Vernichtung der Juden, am Massenmord an den Kriegsgefangenen und am Terror gegen die Zivilbevölkerung. Diese Verbrechen, die außerhalb des Völkerrechts und jenseits aller Regeln der Kriegführung verübt wurden, bestimmten vor allem den Charakter des Krieges gegen die Sowjetunion, fanden aber auch an anderen Fronten statt, so auf dem Balkan und in Italien. Wie gering in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft das Interesse an Aufklärung und Strafverfolgung war, welche Entschuldungen in den Medien verbreitet wurden und wie bereitwillig die militärgeschichtliche Forschung der 1950er und 1960er Jahre die Legende fortschrieb, thematisieren weitere Aufsätze dieses Bandes.
Gerhard Schreiber
Deutsche Kriegsverbrechen in Italien
Täter, Opfer, Strafverfolgung
München: Beck Verlag, 1996
ISBN 3 406 39268 7
24,. DM
Der Autor, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, untersucht die Behandlung der über 600.000 italienischen Soldaten, die nach Italiens Kriegsaustritt 1943 als "Militärinternierte" in deutsche Kriegsgefangenschaft gerieten. "Ohne Übertreibung konnten die gezwungenermaßen Arbeit leistenden Militärangehörigen als Militärsklaven bezeichnet werden. Die Behandlung der Militärinternierten im deutschen Machtbereich führt dazu, daß sich die Auseinandersetzung mit ihrem Schicksal unausweichlich zu einer Dokumentation für Inhumanität, Menschenverachtung, Erniedrigungen, die eine sadistische Phantasie zu nicht endenden Exzessen trieb, für seelische und körperliche Qualen sowie erbarmungslose Ausbeutung entwickelt. Über diese besondere Gruppe von Gefangenen des ´Dritten Reiches` schreiben, das heißt, von ihrer Mißhandlung seitens der Bewacher und Aufseher sprechen; von Orten erzählen, wo Menschen durch Nahrungsentzug, Isolierung, körperliche Züchtigungen, fehlende medizinische Versorgung und das Versagen des religiösen Beistands zerbrochen werden sollten; vom Haß berichten, mit dem ihnen die Mehrheit der deutschen Bevölkerung - soweit sie Kontakt mit ihr besaßen - entgegentrat; von Auswirkungen reden, die Krankheiten sowie psychische und physische Entkräftung mit sich brachten; und von allzu häufigen natürlichen, obwohl keineswegs normalen, sowie nicht selten gewaltsamen Todesfällen Zeugnis geben."
Friedrich Andrae
Auch gegen Frauen und Kinder
Der Krieg der deutschen Wehrmacht gegen die Zivilbevölkerung in Italien 1943 - 1945
München: Piper Verlag, 1995
ISBN 3-492-03698-8
DM 45,-
Der Autor beschreibt die deutsche Besatzung in Italien, die 1944, als sich die deutsche Herrschaft in Italien dem Ende zuneigt, in einen mit größter Brutalität geführten Krieg der Wehrmacht gegen die Zivilbevölkerung mündet. Mit allen Mitteln, inklusive Geiselerschießungen und Zerstörung ganzer Dörfer, versucht die Wehrmacht, die deutsche Herrschaft aufrecht zu erhalten.
Christoph Diekmann / Matthias Hamann u.a. (Hg.)
Repression und Kriegsverbrechen
Die Bekämpfung von Widerstands- und Partisanenbewegungen gegen die deutsche Besatzung in West- und Südeuropa
Berlin: Verlag der Buchläden, 1997 (Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik Band 14) ISBN 3-924737-41-X DM 26,-
Thema des Heftes sind die polizeilichen und militärischen Strategien der Bekämpfung von Widerstands- und Partisanenbewegungen gegen die deutsche Besatzung in West- und Südeuropa. Widerlegt wird der Mythos, die Deutschen hätten dort eine moderate Besatzungspolitik verfolgt - im Gegensatz zur Vernichtungspolitik und den Massenverbrechen der Wehrmacht in Ost- und Südosteuropa. Die Beiträge rekonstruieren die deutschen Kriegs- und Besatzungsverbrechen, die aus dem antideutschem Widerstand allein nicht erklärt werden können, sondern auf den aggressiven Charakter der deutschen Expansionspolitik verweisen.
Hannes Heer
Tote Zonen
Die deutsche Wehrmacht an der Ostfront
Hamburg: Hamburger Edition, 1999
ISBN: 3-930908-51-4
DM 48,-
Der Krieg gegen die Sowjetunion war ein besonderer Krieg, deutlich unterschieden von dem im Westen und Norden Europas. Er war definiert als "Kampf zweier Weltanschauungen" und wurde von der Wehrmacht als Vernichtungskrieg geführt. Das Ergebnis war der millionenfache Mord an Kriegsgefangenen, Juden und anderen Zivilisten. Der Historiker Heer analysiert den Judenmord und den Partisanenkrieg im Osten und geht der Frage nach, wie es möglich war, daß Soldaten der Wehrmacht zu Massenmördern wurden und wie sie ihr Tun legitimierten. Viele Soldaten der Wehrmacht teilten die rassistische Weltsicht und identifizierten sich mit den Eroberungszielen im Osten; unter den Bedingungen des Vernichtungskrieges wurden sie zu Massenmördern. Indem sie den Rotarmisten zur "Bestie" erklärten und den Juden in einen "Partisanen" verwandelten, gelang es ihnen, das Kriegsverbrechen als angemessene Reaktion und den Völkermord als militärische Notwendigkeit zu legitimieren. Nach dem Scheitern des Blitzkrieges und unter dem Eindruck des permanenten Rückzugs wurde das eigene Tun als "Pflicht" gedeutet und zur Tugend veredelt. Dieses Selbstbild wurde zum Kern der Legende der "sauberen Wehrmacht", die nach 1945 die öffentliche Diskussion bestimmte und in den Zeiten des Kalten Krieges zum offiziellen Geschichtsbild wurde.
Omer Bartov
Hitler`s Army
Soldiers, Nazis, and War in the Third Reich
Oxford University Press 1992
Omer Bartov
Hitlers Wehrmacht
Soldaten, Fanatismus und die Brutalisierung des Krieges
Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag, 1995
ISBN 3-499-60793-X
DM 16,90
Die deutsche Wehrmacht sei - so zahlreiche Historiker - an manchen Orten in Unmenschlichkeiten verwickelt gewesen, aber dennoch eine Armee von preußischen Traditionen geblieben: unpolitisch und idiologiefern, Handwerker des Krieges. Der Militärhistoriker Bartov schildert anhand von Kriegstagebüchern, Briefen und unbekannten Dokumenten, wie die Wehrmacht bis zum Ruinenkampf in Berlin in großen Teilen, vom General bis zum einfachen Soldaten, erfaßt blieb von der nationalsozialistischen Ideologie und ihrem alle Realität verzerrenden Fanatismus. Die Gegner, dämonisiert und entstellt aus politischem und rassistischem Glauben, waren für die Wehrmacht keine Menschen mehr, während Adolf Hitler bis zum Ende eine vergötterte Figur blieb.
Walter Manoschek (Hg.)
Die Wehrmacht im Rassenkrieg
Der Vernichtungskrieg hinter der Front
Wien: Picus Verlag, 1996
ISBN 3-95452-295-9
DM 39,80
In diesem Band dokumentieren internationale Wissenschaftler, daß die Wehrmacht in der Sowjetunion und auf dem Balkan keinen "normalen" Krieg, sondern gemeinsam mit der SS einen Rassenkrieg gegen Juden, Sinti und Roma, Kriegsgefangene und Zivilisten führte, dem Millionen Menschen zum Opfer fielen. Unter der Formel "Kreuzzug gegen den jüdischen Bolschewismus" beteiligte sich die Wehrmacht aktiv an der Verwirklichung der Hauptziele des Nationalsozialismus: "Schaffung von Lebensraum im Osten" durch Dezimierung und Versklavung der "slawischen Untermenschen" und die physische Vernichtung der Juden, Sinti und Roma.
Christian Streit
Keine Kameraden
Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941 - 1945
Bonn: Verlag J.H.W. Dietz, 1997
ISBN 3-8012-5023-7
DM 49,80
Die Untersuchung belegt - "unanfechtbare Beweise gleich in Mengen aufeinandertürmend" (Süddeutsche Zeitung) - den maßgeblichen Anteil der deutschen Wehrmacht am Massenmord an den sowjetischen Kriegsgefangenen. Die Behandlung dieser Kriegsgefangenen wurde von dem Ziel bestimmt, einen Ausrottungskrieg gegen "Bolschewismus und Judentum" zu führen. Auf dieses Programm hatte sich die Generalität der Wehrmacht bei der Planung des Überfalls auf die Sowjetunion verpflichtet. Mehr als die Hälfte der 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen wurde erschossen, verhungert oder starb an den Folgen unmenschlicher Zwangsarbeit.
Paul Kohl
Der Krieg der deutschen Wehrmacht und der Polizei 1941 - 1945
Sowjetische Überlebende berichten
Frankfurt (Main): Fischer Taschenbuch Verlag, 1995
ISBN 3-596-12306-2
DM 19,90
Der Autor bereiste 1985 die Sowjetunion und befragte erstmals Überlebende des Vernichtungsfeldzuges der deutschen Wehrmacht und der Polizei. Kohl folgt den Spuren dieses völkerrechtswidrigen Angriffskrieges, welcher der Eroberung von "Lebensraum im Osten" diente, die Vernichtung des "jüdischen Bolschewismus" anstrebte und die Dezimierung der als rassisch minderwertig geltenden russischen Bevölkerung in Angriff nahm. In den eroberten Gebieten sollten die deutschen Herrenmenschen die slawische Bevölkerung in einem sklavenähnlichen Zustand halten und sie wirtschaftlich ausbeuten.
Rolf-Dieter Müller
Hitlers Ostkrieg und die deutsche Siedlungspolitik
Die Zusammenarbeit von Wehrmacht, Wirtschaft und SS
Frankfurt (Main): Fischer Taschenbuch Verlag, 1991
ISBN 3-596-10573-0
DM 19,80
"Lebensraum im Osten" - dieses Ziel war bereits im deutschen Kaiserreich verfolgt worden, erfaßte im "Dritten Reich" große Teile der deutschen Führungseliten und fand auch in der deutschen Bevölkerung Widerhall: rund 10 Millionen Deutsche führten zwischen 1941 und 1944 in den Weiten Rußlands einen Kampf zur Versklavung und Vernichtung der dort lebenden Bevölkerung, angespornt durch die Aussicht, als Siedler und "Wehrbauern" in den künftigen Ostkolonien die Herrenschicht zu bilden. Das Buch analysiert und dokumentiert die deutschen Planungen und Maßnahmen zur Ostsiedlung, die Initiativen von Professoren, Ministerien und Wirtschaftsverbänden, an deren Spitze sich die SS mit ihrem "Generalplan Ost" setzte.
Christian Gerlach
Kalkulierte Morde Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weissrussland 1941 bis 1944
Hamburg: Hamburger Edition, 1999
ISBN: 3-930908-54-9
DM 98,-
Wie kaum ein Gebiet unter deutscher Herrschaft ist Weißrußland im Zweiten Weltkrieg zerstört und die Zahl seiner Bevölkerung durch brutale Mordaktionen dezimiert worden. Nach drei Jahren deutscher Besatzung Weißrusslands (1941 bis 1944) war nichts mehr wie zuvor. Nahezu 1,7 von zehn Millionen Einwohnern waren ermordet, fast 400.000 als Zwangsarbeiter verschleppt worden. Die Städte des Landes waren zum Großteil in Ruinenfelder verwandelt, drei Millionen Menschen waren obdachlos. Die industrielle Kapazität tendierte gegen Null, und der Viehbestand war um 80% gesunken. Weißrussland schien fast ausgelöscht.
Der Historiker Gerlach untersucht auf breiter Quellenbasis die Praxis der Vernichtungspolitik und den Zusammenhang mit militärischen, wirtschaftlichen und politischen Zielen und Handlungen der deutschen Besatzer. Eindrucksvoll belegt wird die praktische Zusammenarbeit zwischen Organen und Akteuren verschiedener Ebenen, von Reichsministerien, SS, Wehrmacht, Zivilverwaltungen, Wirtschaftsgesellschaften und einheimischer Hilfspolizei. Trotz Rivalitäten unter den beteiligten Institutionen blieb eine gemeinsame Strategie des Terrors bestimmend, die vor allem auf der untersten Handlungsebene effektiv und in einer für die Opfer unheilvollen Weise funktionierte. Sie ging aus von der Umsetzung des Plans, Millionen Zivilisten und Kriegsgefangene in der Sowjetunion verhungern zu lassen. Dabei zeigt sich: Zwischen Wirtschaftsinteressen und Massenmord bestanden enge Verbindungen.
Christian Gerlach
Krieg, Ernährung, Völkermord
Forschungen zur deutschen Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg
Hamburg: Hamburger Edition, 1998
ISBN 3-930908-39-5
DM 24,-
Der Autor untersucht, von welchen Motive sich die NS-Führung leiten ließ, als sie in den Jahren 1941 und 1942 der Entscheidung zum Völkermord faßte. Dabei zeigt sich, in welchem Umfang auch Reichsbehörden, Parteidienststellen und vor allem Militär- und Zivilverwaltungen in den besetzten Gebieten - insbesondere im Osten - am Vernichtungskrieg teilhatten.
Carl Dirks / Karl-Heinz Janßen
Der Krieg der Generäle
Hitler als Werkzeug der Wehrmacht
Berlin: Propyläen Verlag, 1999
ISBN 3-549-05590-0
DM 39,90
Neue Archivfunde der beiden Zeithistoriker belegen, daß das deutsche Militär nicht erst nach 1933, sondern spätestens 1923 mit der Vorbereitung für einen neuen Weltkrieg begann. Detailliert analysieren die Autoren die geheimen Rüstungsprogramme der 1920er Jahre, die Umwandlung der vom Versailler Vertrag verordneten Rumpfarmee in ein Angriffsheer und die Weltmachtträume der Militärs. Sie zeigen, daß die deutschen Generalität schon lange vor Hitler einen neuen Krieg plante und vorbereitete - Mobilmachung, Anforderungen an die Rüstungsindustrie, Planspiele für den Ostfeldzug -, der im Zweiten Weltkrieg Realität wurde.
Dietrich Eichholtz / Wolfgang Schumann (Hg.)
Anatomie des Krieges
Neue Dokumente über die Rolle des deutschen Monopolkapitals bei der Vorbereitung und Durchführung des zweiten Weltkrieges
Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1969 (nur noch antiquarisch oder über Bibliotheken erhältlich)
Erhard Moritz (Hg.)
Fall Barbarossa
Dokumente zur Vorbereitung der faschistischen Wehrmacht auf die Aggression gegen die Sowjetunion (1940/41)
Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1970
(nur noch antiquarisch oder über Bibliotheken erhältlich)
Gerhart Hass / Wolfgang Schumann (Hg.)
Anatomie der Aggression
Neue Dokumente zu den Kriegszielen des faschistischen deutschen Imperialismus im zweiten Weltkrieg
Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1972
(nur noch antiquarisch oder über Bibliotheken erhältlich)
Wolfgang Schumann (Hg.)
Griff nach Südosteuropa
Neue Dokumente über die Politik des deutschen Imperialismus und Militarismus gegenüber Südosteuropa im zweiten Weltkrieg
Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1973
(nur noch antiquarisch oder über Bibliotheken erhältlich)
Wolfgang Schumann / Ludwig Nestler (Hg.)
Weltherrschaft im Visier
Dokumente zu den Europa- und Weltherrschaftsplänen des deutschen Imperialismus von der Jahrhundertwende bis Mai 1945
Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1975
(nur noch antiquarisch oder über Bibliotheken erhältlich)
Manfred Menger / Fritz Petrick / Wolfgang Wilhelmus (Hg.)
Expansionsrichtung Nordeuropa
Dokumente zur Nordeuropapolitik des faschistischen deutschen Imperialismus 1939 - 1945
Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1987 ISBN 3-326-00215-7 (nur noch antiquarisch oder über Bibliotheken erhältlich)
Von DDR-Historikern sorgfältig ausgewählte und kommentierte Dokumentensammlungen mit Strategiepapieren und Stellungnahmen deutscher Unternehmer, Politiker und Militärs zu den Plänen des deutschen Imperialismus mit Schwerpunkt auf die Zeit des Zweiten Weltkrieges. Die umfangreiche Edition ist ein Grundlagenwerk, das die Praxis der deutschen "Neuordnung" anhand zahlreicher "Dokumente aus den verschiedensten Instanzen des faschistischen Machtapparats" belegt. In den äußerst sorgfältig edierten Bänden sind die wichtigsten Selbstaussagen zur wirtschaftlichen Ausplünderung und detaillierte Befehle zur Massenvernichtung in den besetzten Ländern versammelt.
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Historisches zum Ost-West Gegensatz
DIE GENESIS DES HAUPTFEINDES
Die Geschichte der internationalen "Beziehungen" der Sowjetunion ist das glatte Gebenteil dessen, was sie beweisen soll. Bis herab zum arbeitslosen Jugendlichen mit Sonderschulabschluß weiß in Westdeutschland jedermann, die "Sünden" der"Russen" herzusagen, auch wenn er bis auf Polen keinen einzigen Ländernamen richtig buchstabieren könnte.
Im Bereich der höheren Bildung versteht man es, den Schandtaten der UdSSR auch noch die der Zaren hinzuzufügen, indem man in lustvollen Vergleichen im "ewig russischen Drang ans Meer" das naturgegebene Staatsinteresse oder den russischen Volkscharakter am Wirken sieht und in der sowjetischen Osteuropapolitik den "Panslawismus" auferstehen läßt. Ihren Vorsprung an Bildung beziehen solche Dummheiten gegenüber den oben erwähnten daraus, daß sie nicht einfach von "den Russen" sprechen, sondern gerade über die "Differenzierung" von damals und heute zu einer viel "fundierteren" Denunziation "sowjetischer Aggressivität" gelangen. Einer weit vornehmeren Gedächtnispflege erfreuen sich die Gewalttätigkeiten kapitalistischer Staaten - soweit sie ins vordemokratische Zeitalter fallen, werden sie als "Zeitalter des Imperialismus bis 1918" gegeilßelt. Um nicht alle von den Staaten der "Freien Welt" (die faschistischen Großtaten gar nicht eingerechnet) inszenierten Massaker, Putsche, Drohungen usw. aufführen zu müssen, soll an vier wesentlichen Daten gezeigt werden, wie mit dem historischen Ärgernis umgesprungen wurde, ehe seine Beseitigung zu dem einheitlichen und einmütig beschlossenen Gegenstand der gesamten Weltpolitik erklärt wurde.
1918: Intervention
"Für uns gibt es zur Zeit keine Alternative, als die Truppen, die wir haben, einzusetzen, so gut es geht, und dort, wo wir keine Truppen haben, Waffen und Geld zu liefern." (Lord Balfour, Britischer Außenminister)
Das erste demokratische Wort an die Sowjetmacht war der Einmarsch englischer, amerikanischer, japanischer und französischer Truppen in Rußland, nachdem diese der unerhörten Aggression gegen die Ententemächte für schuldig befunden worden war, den Krieg gegen das Deutsche Reich einfach zu beenden. Sechs Tage nach dem Annexionsfrieden von Brest-Litowsk hatte es die revolutionäre Macht anstelle der deutschen mit alliierten Truppen zu tun, weil die Ententemächte den Bündnispartner mit Gewalt zur Einhaltung seiner Bündnispflichten anhalten, auf jeden Fall die Vernachlässigung der Ostfront nicht ungestraft hinnehmen wollten. Daß es dabei jedoch von Anfang an weniger gegen das "Dekret über den Frieden", also um den erwünschten Beitrag Rußlands im Krieg gegen Deutschland ging, sondern um die bolschewistische Mißachtung des geheiligten Eigentums, also gegen das "Dekret über die Aufteilung des Bodens", zeigt nicht nur die Tatsache, daß die Entente nun einen Krieg an zwei Fronten - gegen die Mittelmächte einsetzte. Das zeigt vielmehr auch die umstandslose Verpflichtung des geschlagenen Feindes auf den Kampf gegen den Bolschewismus, indem nach Artikel 12 des Waffenstillstandsvertrags mit Deutschland, die Truppen erst dann aus den besetzten Gebieten (Baltikum, Ukraine usw.) zurückgeführt werden durften, als "die Allierten, unter Berücksichtigung der inneren Lage dieser Gebiete, den Augenblick für gekommen erachten". Daß hier ein Staat sich einrichten wollte, der die ewige Ordnung des Privateigentums außer Kraft setzte, war eine Unerhörtheit, die die siegreiche Entente nicht dulden wollte!
"Die Ententemächte erklären..., daß sie entschlossen sind, keine Störungen in ihrer Tätigkeit für die Wiederherstellung der Ordnung in Rußland und für die Reorganisation des Landes zu dulden, der Tätigkeit, die von den russischen Patrioten mit energischer Unterstützung der Alliierten begonnen worden ist. Die Wiederherstellung Rußlands als einer Macht, die zum siegreichen Block der demokratischen Ententeländer gehört, wird entsprechend den Wünschen aller Patrioten und überhaupt all der Elemente vor sich gehen, die für Ordnung in Rußland sind. Was die südrussischen Gebiete anbetrifft, sowohl die von den Deutschen besetzten, wie die nicht besetzten, aber von den Bolschewiki bedrohten, so erklären die Ententemächte ihren unbeugsamen Willen, auch dort für Ordnung zu sorgen. Diesem unerschütterlichen Beschluß werden in kürzester Zeit Truppen folgen in einer Stärke, wie sie die Umstände erfordern. Außerdem erklären sie, daß sie von nun an alle Partei- und Organisationsführer, ganz unabhängig von ihrer politischen Färbung, die Verwirrung oder Anarchie ins Volk tragen, verantwortlich machen werden." (Erklärung der Vier)
Diese Entschlossenheit setzte den Bolschewiki so zu, daß Lenin trotz des Wissens um die erpresserische Seite einer "Hilfe durch Handel" mit Kapitalisten seine Feinde eben darum ersuchte und weitgehende Zugeständnisse anbot, um Land und Leute nicht noch mehr durch den Krieg zu ruinieren. Daß das kapitalistische Lager aber nicht nur am Handel, sondern vor allem an seinen so schönen politischen Folgen interessiert war, zeigt die Zurückweisung durch die amerikanische Regierung ebenso wie die Befürwortung durch die Opposition: Die US-Regierung ließ das sowjetische Angebot, alle russischen Auslandsschulden anzuerkennen, Kapitalisten russische Rohstoffe ausbeuten zu lassen und enteignetes ausländisches Eigentum zu entschädigen, deswegen scheitern, weil Lenin auf einer Mitsprache bei der Regelung bestand. Die Befürworter des Handels spekulierten gleich ganz offen auf die Hungerwaffe:
"Wenn die Blockade aufgehoben wird und die Sowjetmacht sich mit allem Notwendigen versorgen kann, so wird man dem russischen Volk die Hände mit der Furcht vor einer Einstellung der Hilfesendungen weitaus besser binden als mit der Blockade." (Bullitt)
Daß die Entschlossenheit der alliierten Regierungen nicht den angestrebten Erfolg zeitigte (obwohl am Ende auch noch Polen zu einem Eroberungskrieg ermuntert worden war) und durch erneute britisch-französisch-amerikanische Intervention mit einer Annexion russischen Gebiets belohnt wurde, daß also der Geschichtsfehler nicht gleich korrigiert wurde, lag in erster Linie daran, daß damals der gemeinsame Zweck der kapitalistischen Staaten, überall auf dem Globus ihrem Kapital dem Privateigentum angemessene und darum eindeutig einseitig geordnete Verhältnisse zu schaffen, eben nicht in einem praktischen Willen existierte, der sich und den anderen diesen Zweck als Hauptaufgabe auferlegt. Die Gemeinsamkeit der kapitalistischen Staaten in der Feindschaft gegen die Sowjetunion fand ihre Grenze an der Konkurrenz um die Vorherrschaft bei der imperialistischen Nutzung des Erdballs.
Ebenso wie für den Sieg gegen Deutschland hätten die Ententemächte für ihr Vorhaben der Hilfe der USA bedurft, die an der Ausdehnung der Intervention zu einem regelrechten neuen Weltkrieg nicht interessiert waren. Vielmehr setzten sie auf die zerstörerischen Wirkugen der Intervention, die den friedlichen Vorstellungen von Handel und Wandel seitens der Opposition erst die realistische und vielversprechende Basis verschaffen sollten:
"Ich glaube, man sollte sie (die Russen) ihre eigene Rettung ausarbeiten lassen, auch wenn sie sich dabei eine Weile im Chaos wälzen. Ich stelle mir das so vor: Das ist ein Haufen unmöglicher Leute, die sich untereinander bekämpfen. Mit denen kann man keine Geschäfte machen. Drum sperrt man sie alle in einen Raum, schließt die Tür und sagt ihnen: Wenn ihr euch beruhigt habt, sperren wir wieder auf und machen Geschäfte."
In der Rolle des strengen Aufsehers einer Kinderbewahranstalt, der kräftig am Schaden seiner Lieblinge arbeitet, um ihre Klugheit zu befördern, offenbart der amerikanische Präsident Wilson (Der "Vater des Völkerbundes"), daß der Maßstab der "Vernunft" in der Weltpolitik noch allemal einer der imperialistischen Ordnung ist und daß auch die bloße Zerstörung von Land und Leuten nicht ohne "Sinn", sondern geradezu der Schaden anderer Nationen zu Nutz und Frommen der eigenen gereichen kann.
Auch wenn der Traum von der Öffnung der Weiten Rußlands sich bis heute nicht so recht erfüllt hat, erfolglos war die Intervention nicht: Sie war eine brutale Demonstration, um welchen Preis die Verabschiedung aus der Welt des Privateigentums nur zu haben ist und daß das Lösegeld, wie sich das für Erpressungen gehört, dem Opfer noch lange keine Ruhe beschert. Deshalb waren auch die Worte des Britenpremiers Lloyd George kein Eingeständnis von Schwäche, sondern kündigten die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln an:
"Der Gedanke, den Bolschewismus mit Waffengewalt vernichten zu können, ist glatter Unsinn."
1922: Isolation
"Es ist uns nicht gelungen, Rußland mit Gewalt wiederherzustellen. Aber ich bin überzeugt, daß wir mit Hilfe des Handels dies tun und so Rußland retten können." (Lloyd George, Britischer Premierminister, 1920)
Die "Rettung" und "Wiederherstellung Rußlands" bleibt also westliches Programm. Logisch, daß die Einstellung der militärischen (Ordnungs-)Hilfe nicht das Ende der Ruinierung des Sowjetstaates bedeuten konnte, schließlich sollte mit "Hilfe des Handels" der gleiche Zweck weiterverfolgt werden. Und das geschieht dadurch, daß man zuerst einmal die Früchte der Zerstörung einzufahren gedenkt und den Handel so einsetzt, daß man ihn nicht gewährt, bzw. das Angebot von Warenlieferungen nicht von ihrer Bezahlung, sondern von Bedingungen abhängig macht, die auf einer Selbstaufgabe des sozialistischen Staates beharren. Die Aufhebung der Goldblockade - bis 1920 war es den Banken verboten, russisches Gold anzunehmen - bedeutete noch lange nicht, daß der Sozialismus aus dem Interesse der kapitalistischen Staaten an der Aufstockung ihrer Goldreserven einen Nutzen hätte ziehen können. So wurde alles daran gesetzt, das Handelsmonopol des Staates zu brechen, indem zwar die Blockade eingestellt, den eigenen Kapitalisten aber zur Auflage gemacht wurde, nur mit den Genossenschaften, also nicht mit dem Staat in Verbindung zu treten. Die englisch-französischen Auflagen für die Herstellung diplomatischer Beziehungen zur Verbesserung des Handels dokumentieren den Willen der demokratischen Staaten, die "Freiheit" in Rußland wieder zu installieren.
Neben der Anerkennung der Auslandsschulden verlangten sie die "Wiederherstellung des ausländischen Eigentums" und den Ausschluß westlicher Kapitalisten von der sozialistischen Gesetzgebung, ein Anspruch, den sich kein kapitalistischer Staat von einem anderen aufmachen läßt:
"Unternehmen, die Ausländern gehören oder sich in deren Verwaltung befinden, sollen unter den Bedingungen völliger Freiheit betrieben werden können."
Die Klage über den "Rückzug Rußlands aus dem Welthandel", über die "Verschlossenheit seiner Märkte" erweist sich angesichts dessen, daß die Sowjets nur einen Bruchteil dessen bekamen, was sie gewollt und mit Gold oder Rohstoffen bezahlt hätten, als die Ideologie des Kapitals, das offen bekundet, daß sein Handel nicht mit dem einfachen Austausch von Gütern zu verwechseln ist, sondern auf Bedingungen pocht, die sein segensreiches Wirken profitabel machen - wie z.B. der Ungültigkeit des sowjetischen Arbeitsrechts für ausländische Ausbeuter.
Aus Einsicht in den erpresserischen Charakter dieser Geschäftsangebote vernichtete die Sowjetunion auf die dringend benötigten Lieferungen; der Handel mit den kapitalistischen Staaten hielt sich in engen Grenzen. Zum Haupthandelspartner wurde der Verlierer des Weltkrieges. Grundlage war der Vertrag der "Parias der Staatenwelt", der Rapallo-Vertrag. Nicht daß im deutschen Reich die russische Seele, noch dazu in bolschewistischer Gestalt, besondere Sympathien genossen hätte - immerhin drohten deutsche Politiker den Siegermächten immer mal wieder, wenn man Deutschland weiter so schlecht behandele, werde es dem Bolschewismus erliegen - und dann gnade ihnen Gott! Die Anbiederung der Deutschen als antibolschewistisches Bollwerk wurde bei den Siegermächten zwar nicht ungern vernommen, aber dafür den eben erst besiegten Konkurrenten um die Hegemonie in Europa zu stärken, lag weder im Interesse der beiden europäischen Großmächte, noch hatten sie die Mittel dazu. Und die USA hatten zwar den Weltkrieg entschieden, aber eben zugunsten der Großmächte England und Frankreich, die jetzt sogar mehr Territorium beherrschten als vorher. Mit dem von ilinen geförderten und eingerichteten Cordon sanitaire (Staaten zwischen UdSSR und Deutschland) wollten etwa die Franzosen zwei Gegner schlagen: den Erbfeind und den sich abzeichnenden Hauptfeind.
Aus dem praktischen Gegensatz der Großmächte, der noch nicht dem einen Gegensatz untergeordnet war, resultiert also, daß Deutschland auch als Verlierer behandelt und nicht gleich als Brückenkopf aufgebaut und gefördert wurde wie später die BRD. Mit Mangel an "Weitsicht" (=Haupfeind nicht gesehen, deshalb nicht sofort vernichtet) hat das nur bei Historikern zu tun, die bei atomarer Überlegenheit, Marschallplan und NATO ins Schwärmen geraten und nach 1945 eine höhere Vernunft der Geschichte Werke sehen als nach 1918, obwohl auch dann eigentlich noch viel zu spät. Der Versailler Vertrag war eben nicht der "gescheiterte Versuch einer europäischen Friedensordnung", sondern das diktierte Interesse der Siegermächte.
Von deutscher Seite aus war Rapallo erstens ein diplomatisches Druckmittel an die Adresse der Sieger, Versailles zu revidieren, und zweitens ein Mittel, seine Bestimmungen zu unterlaufen. Schon der gleichberechtigte Handel war da ein Vorteil angesichts der Bestimmung, daß Deutschland allen Siegermächten Meistbegünstigung zu gewähren hatte, ohne sie selbst zu erhalten. Aulßerdem verzichteten die Sowjets auf Reparationen, die die Sieger ihrem "wiederhergestellten Rußland" freundlicherweise mit in den Vertrag geschrieben hatten. Und schließlich erlaubte der geheime Zusatz die Umgehung der militärischen Beschränkungen (Waffenbau und Ausbildung der Reichswehrkader in der RSFR).
Dafür verzichtete Deutschland auf Ansprüche auf enteignete deutsche Kapitalien und Guthaben, jedoch nicht ohne sich die Zukunftsoption zu bewahren:
"Vorausgesetzt, daß die Weigerung der Russischen Föderativen Sowjetrepublik auch ähnliche Ansprüche dritter Staaten nicht befriedigt." (Art. 1 des Rapallo-Vertrages)
Die Gegensätze im imperialistischen Lager waren also die Grundlage dafür, daß der damalige Handel tatsächlich nur zum "gegenseitigen Vorteil" geriet und nicht zum Hebel der Wiederherstellung Rußlands durch die Ruinierung der SU wurde. Das Interesse der europäischen Siegermächte hatte Deutschland in einen Zustand versetzt, in dem es jenseits aller prinzipiellen Gegnerschaft darauf angewiesen war, sich ein paar Selbstverständlichkeiten eines souveränen Staates heimlich zu genehmigen, anstatt die Bedingungen zu diktieren.
1939: Hitler-Stalin-Pakt
"Wollte man in Europa Grund und Boden, dann konnte dies im großen und ganzen nur auf Kosten Rußlands geschehen, dann mußte sich das neue Reich wieder auf der Straße der einstigen Ordensritter in Marsch setzen, um mit dem deutschen Schwert dem deutschen Pflug die Scholle, der Nation das tägliche Brot zu geben." (Hitler, Mein Kampf, 1924)"Sollte der Krieg beginnen, so werden wir nicht untätig zusehen können - wir werden auftreten müssen, aber wir werden als letzte auftreten. Und wir werden auftreten, um das entscheidende Gewicht in die Waagschale zu werfen." (Stalin, 1925)
Ausgerechnet dieses Stalinzitat dient ganzen Historikergenerationen als Beleg für den sowjetischen Willen zu Aggression und Expansion. Dabei dokumentiert es nichts als den Fehler der Stalinutischen Außenpolitik. Während Lenin der Auffassung war, daß "Gegensätze und Widersprüche zwuchen zwei kapitalistischen Mächten" den Druck auf die Sowjetunion vorübergehend abmildern könnten, beginnt mit Stalin der Eintritt der Sowjetunion in die Weltpolitik mit der gefährlichen Illusion, sie könne als Schiedsrichter und Nutznießer innerimperialistischer Händel gewinnen. Daß die Sowjets den Sozialismus in einem Lande aufbauen mußten, kann ihnen nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß sie daraus aber ein politisches Programm verfertigten, ist ein Fehler, der den Opportunismus Stalins gegenüber den kapitalistischen Ländern ebenso begründet wie das taktische Verhältnis gegen die Kommunisten in aller Welt, die er für eben diese außenpolitischen Zwecke funktionalisierte. Mit dieser Entscheidung war an die Stelle der Festlegung der KPR (B) auf die Weltrevolution ("die Außenpolitik der RFSR ist das Programm der Kommunistischen Internationale") die Außenpolitik eines sozialistischen Staates getreten, der die Prinzipien des Umgangs zwischen Staaten zur Richtschnur seiner Außenp olitik gemacht hatte und die antikapitalistische Opposition immer dann anordnete und wieder unterband, wenn es ihm in seine Bündniserwartungen paßte. Daß die Rechnung zumindest insofern aufgegangen ist, daß die SU nach dem 2. Weltkrieg ihren Machtbereich erweitern konnte, ist keineswegs die Rechtfertigung dieser Hoffnung.
Einen Nicht-Angriffs-Pakt mit dem erklärten und vielfach bewährten Feind des Kommunismus zu schließen, ist schon ein Fehler. Er war sicher kein Mittel, sich Hitler noch für eine Zeit vom Hals zu halten. Auf eine Unterstützung der Westmächte brauchte er nicht zu rechnen. Die hatten ihn an der "Verteidigung" Polens gegen Hitler beteiligen wollen, ohne die SU in Polen Krieg führen zu lassen (Verweigerung der Durchmarschrechte durch Polen). Deswegen sich in dem Vertrag auch noch über die beidseitigen Annexionen zu einigen, hat mit dem Ziel der Sicherung der UdSSR nichts zu tun. Eher dagegen mit einer Taktik "Friedlicher Koexistenz" bis zur letzten Konsequenz.
Ebensowenig wie die Lüge vom machthungrigen Aggressor trifft also die sowjetische Legende vom gelungenen Zeitgewinn für die Vorbereitung des "Großen Vaterländischen Kriegs" den Kern des Pakts. Tatsächlich hat die SU an diesen Pakt geglaubt und gehofft, die imperialistischen Mächte möchten sich selbst zerfleischen. Darum drängte Stalin auf die Einhaltung der Termine für Lieferungen von Rohstoffen und Getreide an die Deutschen noch im Monat vor dem deutschen Überfall, während diese mit ihren Maschinenlieferungen immer mehr in Verzug gerieten. Über Nacht wurde die antifaschistische Propaganda in der Sowjetunion eingestellt und es wurde der Versuch unternommen, die französischen Kommunisten zur Neudefinierung ihrer Hauptkampflinie zu bewegen.
Die Vorbereitung der Sowjetu nion gegen einen Überfall bestand jetzt auch darin, Territorien zu annektieren (Bessarabien, Baltikum und das finnische Karelien). Man hielt sich an die mit den Deutschen vereinbarte Grenze der Interessensphären, an die jene sich - zumindest auf dem Balkan - schon nicht mehr hielten.
1941: Krieg gegen die UdSSR
"Wenn wir sehen, daß Deutschland den Krieg gewinnt, sollten wir Rußland helfen, und wenn Rußland gewinnt, sollten wir Deutschland helfen. Auf diese Weise sollen sie sich so viel wie möglich gegenseitig umbringen." (Truman nach dem deutschtn Überfall auf die Sowjetunion)
Derselbe Truman soll dann 1945 als frischgebackener US-Präsident aus lauter Unerfahrenheit die frühzeitige Realisierung des Ziels der amerikanischen Nachkriegspolitik vergeigt haben, anstatt auf den Rat des erfahrenen Churchill zu hören, nicht das "falsche Schwein" zu "schlachten"! Tatsache ist es, daß die USA eben nach obigem Motto schon unter Roosevelt gehandelt haben: Die Sowjetunion ist als Mittel im Kampf gegen Hitler einzusetzen, wobei sie gerade soweit zu unterstützen ist, daß sie Deutschland einen Schaden zufügt, der den des Westens in Grenzen hält.
Erstens wurde dementsprechend die Lieferung von Material reguliert. Unterbrechungen ergaben ach "zwangsläufig" aus der "Gefährdung der Transporte durch deutsche U-Boote". Die sowjetischen Proteste gegen die Verschleppung versprochener Lieferungen legen davon Zeugnis ab. Die Unterstützung der SU war gebunden an diese ihre Dienstleistung. Die Teilhabe daran sollte sie sich erst verdienen: Auf ein Ersuchen der Sowjets um 6 Mrd. Dollar Nachkriegskredite erklärte US-Botschafter Harriman noch mitten im Krieg:
"Den Russen muß klar gemacht werden, daß unsere Bereitschaft zur ehrlichen Zusammenarbeit bezüglich ihrer schwierigen Probleme beim Wiederaufbau abhängig ist, von ihrem Verhalten in internationalen Fragen." (Januar 1945)
Der Yankee dachte dabei an Segnungen der Freiheit, wie die Mitarbeit im Gatt, also die Anerkennung amerikanischer Handelsbedingungen, und an einen hervorragenden US-Einfluß in Osteuropa. Die sofort nach Kriegsschluß erfolgte Kündigung des Lendlease-Programms seitens der Amerikaner ließ an diesbezüglicher Klarheit nichts zu wünschen übrig. Zweitens aber sorgen die erfolgten Materiallieferungen durchaus dafür, daß der Krieg in Rußland weitergeht, während die von Stalin dringend verlangte, für 1942 versprochene "Zweite Front" im Westen erst 1944 mit der Landung in der Normandie verwirklicht wird, als die Entscheidung im Osten schon gefallen ist, die deutschen Truppen sich auf dem Rückzug befinden.
Die Bindung der deutschen Truppen durch die Russen erlaubt drittens den Krieg der Westmächte im Atlantik, Pazifik, Nordafrika - angeblich zwecks "Sicherung der Lieferungen für die Sowjetunion". Die USA errichten systematisch ihr weltweites Netz von Stützpunkten durch Eroberung oder auch dadurch, daß sie sich die Materiallieferungen an die Briten durch deren Verpachtung entgelten lassen. Die Briten erkennen schon früh die Bedeutung der Südflanke der NATO und intervenieren in Griechenland, aber weder gegen die Deutschen - die befinden sich gezwungenermaßen auf dem Rückzug - noch gegen eine sowjetische Bedrohung - Churchill verweist darauf, daß Stalin sich an die Abmachungen bezüglich der Aufteilung des Balkans gehalten und sich nicht in Griechenland eingemischt hat. Die Briten intervenieren gegen die griechische Befreiungsfront, die zwar nicht sowjetfreundlich war, aber für die strategische Bedeutung Griechenlands nicht das nötige Maß an Zuverlässigkeit bot. Im Fernen Osten wurde sogleich der Wert eines geschlagenen Gegners erkannt: Gefangene Japaner wurden in Korea und Indochina in amerikanische Unifomien gesteckt und beim Kampf gegen nationalistische und Hungeraufstände eingesetzt: Am 8. Mai 1945 ist die Sowjetunion bis an die Elbe vorgedrungen und - von allen Seiten eingekreist! Von einem Partner, der die Ernsthaftigkeit seines Werbens um freundschaftliche Beziehungen mit einer eindrucksvollen Demonstration unterstrichen hat: Zwei Bomben und Hunderttausende von Toten.
In der bürgerlichen Geschichtsschreibung wird die Propagierung des "Großen Vaterländischen Krieges" (verbunden mit der Einführung zaristischer Uniformien, Orden und heldenhafter Vorbilder: Im Film treibt Peter der Große seine leibeigenen Soldaten in den Kampf gegen die Schweden mit dem Ruf: "Vorwärts, Genossen!") als trickreicher Einfall des "teuflischen Georgiers" behandelt, der damit das hehre Ideal des Nationalismus für das Ziel der kommunistischen Weltrevolution mißbraucht habe. Tatsächlich vollendete er damit den mit der Theorie vom "Sozialismus in einem Land" begonnenen Abschied von der Absicht, die Welt zu revolutionieren, und etablierte die Sowjetunion als Vaterland, das mit den anderen Vaterländern um Macht und Einfluß in der Welt konkurriert. Deren Zufriedenheit, sich als Nummer 2 etabliert zu haben und deshalb allenthalben ihre "Friedensliebe " herauszukehren, ist konfrontiert mit der weltweiten Bedrohung durch die Nummer 1 und ihre Bündnispartner, die Tag für Tag in vielen Sprachen ihre Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Weltordnung proklamieren und den Umsturz der bestehenden Verhältnisse tatkräftig vorantreiben.
Kapital - Verbrechen |
Raubzüge |
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Kapitel 1 : Wozu sind Kriege gut? |
Kapitel 2 : Das Wesen des Zweiten Weltkriegs |
Kapitel 3 : Kriegsmotive |
Kapitel 4 : Trilaterale Raubzüge |
Kapitel 5 : Schluß |
Wozu sind Kriege gut?Jingle Alltag und Geschichte Kuriose Meldungen vernebeln unsere Wahrnehmung des neuen deutschen Militarismus. Die Bundeswehr wird als chaotisch-inkompetente und schlecht ausgerüstete Truppe hingestellt, um den Umbau zu einer Söldnerarmee mitsamt High-Tech-Ausstattung zu beschleunigen. Scharpings Alleingang mit Transportfliegern, die nach dem jetzigen Stand der Dinge nicht benötigt würden, lassen erahnen, daß neue Einsätze in weiteren neu erschaffenen Krisenherden bevorstehen. Die folgende Meldung jedenfalls verschleiert wieder einmal, daß die Bundeswehr längst auf Menschenjagd gegangen ist. Im neuesten SPIEGEL ist zu lesen: Unmut über ungewöhnliche Aufgaben regt sich bei den deutschen Heeresfliegern in Kabul. Seit Wochen müssen die Hubschrauberbesatzungen ihre Helikopter auf dem Flugplatz von Kabul rund um die Uhr selbst bewachen. Als Grund wird angegeben, daß die für Schutzaufgaben eingesetzten Fallschirmjäger überlastet sind und allenfalls zeitweilig aushelfen können. Zusätzliche Mannschaften könne die Bundeswehr jedoch nicht einfliegen, weil das Bundestagsmandat nur insgesamt 1200 Soldaten genehmigt habe. [SPIEGEL 20/2002, Seite 19] Das kann ich nur sagen: schlecht geplant, Herr Scharping. Derweil plagen die Bundesregierung ganz andere Probleme. Wieder sind die leidigen Menschenrechte im Weg. Auch hier vermeldet der SPIEGEL: Die Bundesregierung läßt durch Rechtsexperten des Verteidigungs-, des Justiz- und des Außenministeriums die Rechtsgrundlage des KSK-Einsatzes in Afghanistan prüfen. Nach einem vorläufigen Gutachten sei die Teilnahme an der [Menschen-]Jagd auf Taliban und [Al] Qaida-Verdächtige von der UNO-Charta zwar gedeckt, aber die [US-] amerikanische Regierung müsse den Status der Gefangenen und deren Haftbedingungen klären. Die Juristen sind zu dem Schluß gekommen, daß ein "zeitlich unbegrenztes Festhalterecht ohne richterliche Überprüfung" mit "zwingenden internationalen menschenrechtlichen Mindeststandards unvereinbar" sei. Besondere Schwierigkeiten bereitet die Möglichkeit, daß den mit deutscher Hilfe Festgenommenen auch die Todesstrafe drohen könne. Das Gutachten vertritt die Auffassung, daß die Übergabe von Verdächtigen an die USA dann unzulässig sei, wenn "bereits von vornherein erkennbar" sei, daß ihnen dort die Todesstrafe drohe. [SPIEGEL 20/2002, Seite 147] Also - solche Menschenrechtsprobleme möchte ich einmal haben. Haben Fischer, Scharping, Schröder und Co. die gute alte US-amerikanische Menschenrechtsdoktrin vergessen, daß nur ein toter Afghane ein guter Afghane sei? Und dann macht ihr euch ernsthaft Probleme um die mögliche Todesstrafe für diejenigen, die eure Menschenjagd mit Thermobomben und Urangeschossen überlebt haben? Unglaublich! Aber so ist sie eben, die blaßrosarot-olivgrüne Menschenrechtsfraktion. Bleibt nur noch die Frage zu klären: mit welchem Einsatzbefehl habt ihr die an den Hubschraubern vermißten Fallschirmjäger losgeschickt? Nun gut (oder in diesem Fall eher: nun schlecht!) - Deutschland führt Krieg. Damit gibt es ja gewisse historische Erfahrungen. Manchmal waren deutsche Soldaten auf der falschen Seite und haben verloren. Doch Schröder, Fischer, Scharping und Co. machen es diesmal besser. In einer Allianz gegen den Terror (und damit meinen sie nicht den Terror der Ökonomie, den sie mitgestalten) sind sie immer auf der Seite der Guten. Doch gibt es überhaupt gute Kriege? Jacques Pauwels untersucht in einem Buch über den 2. Weltkrieg den nach Kriegsende gepflegten Mythos vom guten Krieg. Schon im 2. Weltkrieg war für manche Beobachterinnen und Beobachter nicht so genau zu unterscheiden, auf welcher Seite die Guten und auf welcher die Bösen waren. Anders gesagt: schauen wir auf die Motive der kriegsführenden Mächte. Der Schutz der von der Vernichtung bedrohten Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, von Behinderten und sogenannten Untermenschen gehörte jedenfalls nicht dazu. Und wenn wir schon bei guten Kriegen sind - dann sollten wir vielleicht auch einmal in die aktuellen Diskussionen der Reichen und Mächtigen dieser Erde hineinhören. Ein Bericht an das Zentralorgan der westlichen Welt, die Trilaterale Kommission, untersucht den Kaspischen Raum vor den Herausforderungen der Globalisierung. Debattiert wird darin die Verantwortung der Trilateralen Staaten für die Stabilität der Region. Was sich hinter diesem Wortgeklüngel verbirgt, dazu mehr im Verlauf dieser Sendung. Es gibt nur eine Antwort auf die Frage, wozu Kriege gut sind, aller Menschenrechtsrhetorik zum Trotz. Und Joschka Fischer, den die NATO-BündnisGRÜNEN als ihren Strahlemann für den Bundestagswahlkampf aufgebaut haben, weiß dies nur zu gut. 1994 sagte er aus aktuellem Anlaß: "Das ist mein großes Problem, wenn ich sehe, wie die Bundesregierung den Bundestag an der Nase, an der humanitären Nase, in den Bosnienkrieg führen will." [zit. nach Jürgen Elsässer (Hg.) : Nie wieder Krieg ohne uns, Konkret Literatur Verlag, Seite 7] Allerdings ist zu ergänzen, daß sich der Bundestag auch an der Nase herumführen lassen will. Das ist ja kein Haufen von Ahnungslosen. Und wenn es heute noch BündnisGRÜNE gibt, die an den Weihnachtsmann glauben, dann kann ich ihnen nur raten, erwachsen zu werden und die Realität zur Kenntnis zu nehmen. Doch wer lieber an den Weihnachtsmann glauben möchte, ohne zur Kenntnis zu nehmen, was Menschenrechte im Kapitalismus bedeuten, was Zivilgesellschaft bedeutet und was Frieden in einer wahnhaft gewalttätigen Profitgeierwelt bedeutet, die oder der zieht auch im Namen von Menschenrechten und der Zivilgesellschaft humanitär intervenierend in den Krieg, um eine ganz banale imperialistische Blutspur zu hinterlassen. Das ist - in Abwandlung eines Begriffs aus der Friedensbewegung - Frieden mit olivgrünen Waffen zu schaffen. Nur verstecken sie sich dann immer noch feige hinter ihren Floskeln oder heucheln Gewissensbisse, anstatt dazu zu stehen und zu sagen: "Ja, wir sind die Guten. Und wir bestimmen, was gut für andere ist. Mit Waffen eben. Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt." Und so liegt Fischers Bosnien zunächst im Kosovo und heute in Afghanistan; und morgen womöglich im zentralasiatischen Raum. Doch dazu komme ich noch zu sprechen. Für die Redaktion Alltag und Geschichte bei Radio Darmstadt begrüßt euch Walter Kuhl. Also jetzt: what is it good for? Laibach : War |
Das Wesen des Zweiten WeltkriegsDer wohl bedeutendste marxistische Wirtschaftstheoretiker des 20. Jahrhunderts, Ernest Mandel, beschrieb den Charakter des 2. Weltkrieges als eine Verschränkung von fünf gleichzeitigen, zum Teil miteinander verbundenen Kriegen weltweit. Erstens, so schrieb er in einem Aufsatz 1985, als sich Helmut Kohl und Ronald Reagan auf dem SS-Soldatenfriedhof in Bitburg die Hand gaben, war es ein Krieg zwischen den imperialistischen Mächten Deutschland, Italien und Japan auf der einen, USA, Großbritannien und Frankreich auf der anderen Seite. Zweitens gab es den chinesischen Verteidigungskrieg gegen die japanische Aggression, also der Besetzung der Mandschurei und Teilen von Nordchina. Dieser Krieg begann schon Anfang der 30er Jahre und wurde als innerchinesischer Bürgerkrieg 1949 mit dem Sieg der Arbeiterinnen, Bauern und Kommunisten unter der Führung Mao Zedongs beendet. In diesem Bürgerkrieg stand Chiang Kaishek als Verbündeter der nächsten imperialistischen Macht, nämlich der USA, die schon ein begehrliches Auge auf China geworfen hatte, auf der Verliererseite. Drittens war die Sowjetunion nicht Teil der innerimperialistischen Auseinandersetzung, sondern führte einen Verteidigungskrieg gegen die Nazi-Aggression. Stalins Problem war während des gesamten Zeitraums 1939 bis 1945, ob sich die Imperialisten beider Lager letztlich nicht doch zusammenraufen würden, um gemeinsam gegen die Sowjetunion vorzugehen. Auch um dies zu verhindern, verbündete sich Stalin zunächst 1939 mit Hitler und anschließend mit den westlichen Alliierten. Allerdings gab es selbst 1945 noch Planspiele einer westlichen Allianz mit den Nazis gegen die Sowjetunion. Daß Stalin so ganz nebenbei diesen Krieg benutzt hat, um die Grenzen der Sowjetunion nach Westen zu verschieben, ändert nichts daran, daß die Sowjetunion nicht der Aggressor, sondern das Opfer war. Viertens, oftmals vergessen, gab es die nationalen antikolonialen Befreiungskriege in Asien und Afrika auch während dieser innerimperialistischen Auseinandersetzung. Für die Menschen des Südens war es relativ uninteressant, welche der Raubritterfraktionen die Oberhand gewinnen würde. Von keiner Seite war etwas Positives zu erwarten. Vietnam ist das beste Beispiel dafür. Hier gaben sich die Imperialisten beider Lager die Klinke in die Hand. Die Japaner vertrieben die Franzosen aus Indochina zu Beginn des 2. Weltkriegs, den die USA dann gegen Japan gewannen. Die Franzosen kehrten wieder zurück, um selbst 1954 in Dien Bien Phu von der vietnamesischen Armee vernichtend geschlagen zu werden. Und danach kam die US Army, um die Menschenrechte standesgemäß durchzusetzen. 1975 hatten mehr als drei Millionen Vietnamesinnen und Vietnamesen ihr Menschenrecht auf Leben verloren. Ein wichtiger Grund übrigens für Konrad Adenauer, Willy Brandt und Helmut Kohl, ihre Sympathien für die US-Regierung zu zeigen. So wie Willy Brandt die Freiheit des Westens in Berlin verteidigen wollte, zogen die USA für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte nach Vietnam. Mit den richtigen Vokabeln läßt sich jedes Verbrechen begründen. Übrigens: deutsche Firmen haben an diesem Massenmord gut verdient. Etwa das Chemie- und Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim, das der US Army den Grundstoff für den chemischen Kampfstoff Agent Orange geliefert hat. Agent Orange wurde in Vietnam flächendeckend eingesetzt und führt noch heute zur Geburt mißgebildeter Kinder. Geschäftsführer dieses Unternehmens war ein gewisser Richard von Weizsäcker. Zur Belohnung für seinen tapferen Einsatz für Freiheit und Demokratie wurde er später zum Bundespräsidenten gewählt. Aber antikoloniale Befreiungskriege gab es während des 2. Weltkrieges auch in Indien, auf den Philippinen, in Indonesien und Burma. Der fünfte Krieg war ein besonderer, nämlich ein internationaler Klassenkrieg. Dazu Ernest Mandel: Ich würde sagen, daß er im gesamten vom Nazi-Imperialismus besetzten Europa vonstatten ging, aber ganz besonders fand er in zwei Ländern statt, in Jugoslawien und Griechenland, weitgehend in Polen und in seinen ersten Stadien in Frankreich und Italien. Das war ein Befreiungskrieg der unterdrückten Arbeiter und Bauern und der städtischen Kleinbourgeoisie gegen die deutschen Nazi-Imperialisten und deren Handlanger. [was tun 405, 9.5.1985, Seite 9] Wir ersehen daraus, daß der 2. Weltkrieg mehr war als ein Krieg gegen die Nazis und ihre Verbündeten. Daß im Anschluß daran eine ideologische Verklärung stattfand, wonach die Guten gegen das Reich des Bösen gesiegt hätten, ist logisch. Denn die Sieger bestimmen immer die Geschichtsschreibung. Dennoch ist es wichtig festzuhalten, daß die USA in den europäischen Teil dieses 2. Weltkriegs nicht eingegriffen haben, um die Menschenrechte wiederherzustellen. Krieg ist vor allem und zuerst eine ökonomische Frage. Und für die USA gab es in diesem Krieg viel zu gewinnen. Doch bevor ich auf das Buch von Jacques Pauwels mit dem Titel Der Mythos vom guten Krieg zu sprechen komme, möchte ich zwei Vorbemerkungen machen. Erstens legitimieren die mit dem Eintritt in den damaligen Krieg verbundenen Absichten der US-Regierung keinesfalls die Kriegsführung und Kriegsziele der anderen Seite, also vor allem Nazideutschlands. Und zweitens ist es wichtig zu begreifen, warum und worum Kriege geführt werden, und warum und worum nicht. Die Tatsache, daß die Judenvernichtung den westlichen Alliierten bekannt war, ohne daß sie dies zum moralischen Antrieb ihrer Kriegsführung gemacht hätten, zeigt nur, daß Ernest Mandel mit seiner Einschätzung des 2. Weltkrieges als einer innerimperialistischen Auseinandersetzung nicht allzu falsch liegen kann. |
KriegsmotiveJürgen Elsässer hat seinem Buch Kriegsverbrechen, das von den tödlichen Lügen der Bundesregierung und ihren Opfern im Kosovo-Konflikt handelt, ein Vorwort vorangestellt, das vom newspeak nicht nur der deutschen Menschenrechtsregierung handelt. O-Ton : Jürgen Elsässer liest aus seinem im Konkret Literatur Verlag erschienenen Buch Kriegsverbrechen Um Interpretationen geht es auch im Buch von Jacques Pauwels. Er hat mit seinem im PapyRossa Verlag erschienenen Buch Der Mythos vom guten Krieg zwar keine neue Fakten zusammengetragen, sondern eine neue Interpretation des 2. Weltkriegs als einer innerimperialistischen Auseinandersetzung unter Einschluß eines sowjetrussischen Verbündeten versucht. Einiges davon hätte ich mir klarer und nicht durch eine leicht antiamerikanische Brille gewünscht. Dennoch hat das Buch seine Stärken, weil es die Fakten neu bewertet und zu Schlüssen gelangt, die der herrschenden Geschichtsschreibung widersprechen. Es wird allgemein angenommen - schreibt Pauwels -, daß die Kriegsziele der Vereinigten Staaten und ihres britischen Partners am besten in der sogenannten Atlantikcharta zusammengefaßt wurden, jenem Dokument, dessen Inhalt Präsident Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill bei ihrem Treffen auf einem Kriegsschiff in den Küstengewässern von Neufundland am 14. August 1941 der Welt gemeinsam verkündeten. [...] In dieser Charta erklärten die beiden angelsächsischen Partner, es gehe beim Kampf gegen Hitler-Deutschland um das Selbstbestimmungsrecht aller Völker sowie um die sogenannten vier Freiheiten, d.h. Meinungsfreiheit, Glaubensfreiheit, Freiheit von materiellem Mangel und Freiheit von Furcht [...]. Wir müssen die schönen und ziemlich verschwommenen Worte jedoch nicht rundweg für bare Münze nehmen. Bestimmt lag es nicht in der Absicht Washingtons und Londons, die Bevölkerung der eigenen kolonialen Besitzungen und Protektorate (wie beispielsweise Britisch Indien oder die von den USA dominierten Philippinen) in den Genuß all dieser Freiheiten kommen zu lassen. Und in den Vereinigten Staaten selbst sollte nach dem gemeinsamen Sieg, der sozusagen im Namen all dieser [Freiheiten] erkämpft worden war, so gut wie nichts unternommen werden, um das Problem des bitteren materiellen Mangels [...] für Millionen schwarzer und auch weißer Amerikaner zu lösen. [...] Die Atlantikcharta trug jedenfalls dazu bei, die Vorstellung ins Leben zu rufen, die USA kämpften gemeinsam mit ihrem britischen Bundesgenossen allein für Recht und Freiheit. [...] Die offizielle Sprache schuf somit eine offizielle Wahrheit - oder besser gesagt, eine offizielle Mythologie -, derzufolge rein idealistische Motive die Rolle der Vereinigten Staaten im Zweiten Weltkrieg bestimmt hätten. [Pauwels, Seite 17-18] Gut - solche Mythen gehören auch heute zum imperialistischen Menschenrechtskriegsalltag. Oder zur Antiterrorbekämpfung. Der russische Präsident Wladimir Putin beispielsweise spielt diese Klaviatur hervorragend, während seine Truppen in Tschetschenien keinen Unterschied zwischen Rebellen und Zivilbevölkerung machen. Das Demoralisieren der Zivilbevölkerung ist ja bekanntlich ein wichtiges Ziel moderner Kriegsführung. Doch kommen wir auf den 2. Weltkrieg bzw. seine Vorgeschichte zurück. US-Firmen haben sich besonders in den 20 Jahren in Deutschland engagiert. Opel wurde von General Motors übernommen, IBM besaß die Lochkartenfirma DEHOMAG, Ford hatte eine Filiale in Köln, um nur einige zu nennen. Und sie hatten durchaus gewisse Sympathien für Hitler und dessen Politik, insbesondere für die Politik, aktive Gewerkschafter, Sozialdemokraten und Kommunisten auszuschalten. IBMs deutsche Filiale lieferte den Nazis dann auch die Lochkartentechnik, um sowohl Eisenbahnen pünktlich fahren zu lassen und Jüdinnen und Juden zum Zweck der Enteignung zu erfassen. Denn es gibt bekanntlich nur eine Freiheit, und das ist die Freiheit des Kapitals, das ist die Freiheit, unter allen Umständen Profit zu machen. Das ist das Menschenrecht schlechthin. Aber auch DuPont, der Konzern, der General Motors finanziell kontrollierte, hatte in deutsche Waffenfabriken investiert. Zur Verbesserung der Konzernbilanz wurden darüber hinaus über die Niederlande Waffen und Munition nach Deutschland geschmuggelt. Ähnlich wie Krupp im 1. Weltkrieg profitierten hier US-Konzerne auch von der deutschen Kriegsführung. Auch am Antisemitismus Hitlers und seiner faschistischen Konsorten störte man sich seinerzeit in den USA wenig oder gar nicht. Antisemitismus war in den 20er und 30er Jahren nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Vereinigten Staaten groß in Mode. In den eleganten Clubs und Hotels beispielsweise waren Juden häufig nicht zugelassen. Der bekannteste Antisemit der USA war der Industrielle Henry Ford, [...] der Hitler bewunderte, finanziell unterstützte und sogar mit seinem antisemitischen Buch The International Jew, das schon in den 20er Jahren erschienen war, inspirierte. [Pauwels, Seite 35] Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob Jacques Pauwels mit diesen zugegebenermaßen drastischen Beispielen wirklich die Stimmungslage des US-Kapitals exakt widergibt. Sicher, Henry Ford stand nicht alleine da, und auch der Flieger Charles Lindbergh war mit Hermann Göring befreundet, was beim medial inszenierten Jubiläumsflug seines Enkels vor einigen Wochen natürlich nicht Erwähnung fand. Aber von einzelnen Stimmen auf die gesamte Stimmungslage in den USA zu schließen, halte ich für problematisch. Dennoch ist es ist richtig, wenn Jacques Pauwels darauf verweist, daß wegen Hitlers antisemitischer Worte und Taten die USA sicher nicht bereit [waren], einen Kreuzzug in Europa zu führen. Übrigens erhielten nur bitter wenige jüdische Flüchtlinge aus Deutschland die Genehmigung, sich in den USA niederzulassen [...]. Einem mit jüdischen Flüchtlingen überfüllten Schiff aus Deutschland - der St. Louis - wurde noch im Frühjahr 1939 von den US-Behörden die Genehmigung verweigert, seine Passagiere von Bord gehen zu lassen. Das Schiff mußte nach Deutschland zurückkehren, erhielt jedoch im letzten Moment von den dortigen Behörden die Genehmigung, Antwerpen anzusteuern. [Pauwels, Seite 35-36] Interessant wird jedoch die Interpretation von Jacques Pauwels, wenn es um die US-Interessen am 2. Weltkrieg ging. Zurecht weist er darauf hin, daß das keynesianische Infrastrukturprogramm Franklin Delano Roosevelts, der New Deal, letztendlich die Wirtschaftskrise von 1929 nicht entscheidend lösen konnte. Nur ein gigantisches Rüstungsprogramm war in der Lage, neue Bedingungen zu schaffen, um den US-Konzernen und der US-Wirtschaft Absatzmärkte und Profit zu ermöglichen. Nachdem Hitlers Armeen blitzkriegartig die europäische Landkarte 1939/40 verändert hatten, blieb nur Großbritannien als Absatzmarkt in Europa übrig. Spannender war jedoch der Gedanke, einen langfristigen Absatzmarkt in Europa zu schaffen, wenn es gelang, das Kriegsende entscheidend herauszuzögern. Nachdem klar war, daß die Wehrmacht England nicht erobern konnte, konnte man dieses Programm auch gelassen verfolgen. Dahinter steckte natürlich auch der Gedanke, die Nazis und die Sowjets sich gegenseitig bekämpfen zu lassen. Daß die Nazis auf diese Weise Herrscher über den europäischen Kontinent blieben und überall ihre neue Ordnung verkündeten, ließ Washington eigentlich ziemlich kalt. Je länger der europäische Krieg dauerte, desto besser für die Vereinigten Staaten; und wie dieser Krieg letzten Endes ausgehen würde, darum würde man sich später sorgen. [Pauwels, Seite 59] Insofern wurde nicht etwa in Frankreich eine neue Front eröffnet, mit dem erst 1944 verfolgten Ziel, Richtung Deutschland zu marschieren, sondern an einer Stelle, die garantiert kein schnelles Ende des Krieges versprach - in Nordafrika. Abgesehen davon, hatten die USA noch ein Problem im Pazifik zu lösen, nämlich Japan daran zu hindern, sich ein eigenes Imperium aufzubauen. Die dortigen Rohstoffe und Märkte hatten die USA schon in den 30er Jahren als ureigenstes nationales Interesse definiert. Erst als nach der Schlacht um Stalingrad abzusehen war, daß Stalins Armeen siegreich nach Westen marschieren würden, begann man umzudenken. Stalin Deutschland zu überlassen, war im Drehbuch nicht vorgesehen. Und so wurde im Sommer 1944 in der Normandie eine zweite Front aufgebaut, die weniger Hitler daran hindern sollte, sich gegen die Sowjetarmeen zu behaupten, sondern vor allem Stalin daran hindern sollten, zuerst Berlin zu erreichen. Doch man kam zu spät, bekam mit einer eigenen Besatzungszone aber dennoch ein Stück vom Kuchen. Doch bis es soweit war, mußte die US-amerikanische Rüstungsproduktion geschmiert werden. Also begann man Deutschland aus der Luft zu bombardieren. Jacques Pauwels verweist zwar darauf, daß es darauf ankam, die deutsche Industrie an der Rüstungsproduktion zu hindern, und vor allem darauf, die deutsche Bevölkerung zu demoralisieren. Aber es weist auch darauf hin, daß die deutschen Filialen der US-Konzerne weitestgehend verschont blieben oder erst dann bombardiert wurden, nachdem die wichtigsten Komponenten ausgelagert worden waren. Denn der Kontakt zwischen deutschen Filialen und US-amerikanischen Konzernzentralen riß nie ab. Doch überhaupt galten die Bombenangriffe mehr den Städten als der kriegswichtigen Industrie. Denn diese wollte man nach einem gewonnenen Krieg schließlich selbst nutzen. Untersuchungen zeigen, daß die deutschen Industriekapazitäten 1945 (also nach dem verlorenen Krieg) trotz oder wegen der gezielten Bombardements größer waren als 1937. Statt dessen wurden gezielt die deutschen Städte bombardiert. Krieg gegen die Zivilbevölkerung eben. Nur daß diese im Falle Deutschlands alles andere als unschuldig war. Jacques Pauwels weist hierbei möglicherweise zurecht darauf hin, daß die Bombardierung Dresdens Stalin zeigen sollte, was der Sowjetunion blühen könnte, falls er sich nicht kooperativ bei der Aufteilung Europas zeigen würde. Eine ähnliche Funktion hatten im übrigen die Atombombenabwürfe auf Hiroschima und Nagasaki, die keine kriegswichtige Funktion hatten, aber Stalin vor Augen hielten, daß die USA eine Waffe besaßen, gegen die die Sowjetunion schutz- und machtlos sein würde. Jacques Pauwels' Buch Der Mythos vom guten Krieg ist bei aller Detailkritik ein Beispiel dafür, wie hilfreich es sein kann, hinter die Kulissen der Macht zu schauen. Er demontiert die ideologischen Nebelschleier von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten, oder was sonst auch immer angeführt wird, um einen banalen kapitalistischen Raubzug zu begründen. Dabei ist es jedoch wichtig zu begreifen, daß die schonungslose Kritik am Imperialismus der einen kriegsführenden Partei nicht Parteinahme für die andere Seite bedeutet und bedeuten darf. Der 2. Weltkrieg war für die USA ein guter und erfolgreicher Krieg. Er legte den Grundstock für das Wirtschaftswunder bis weit in die 60er Jahre hinein. Der Kalte Krieg war die beste Gewähr dafür, daß die militärkeynesianische Rüstungsproduktion weiterhin auf vollen Touren laufen konnte. Absatz und Gewinn waren garantiert. Doch auch dieses Modell geriet unweigerlich in eine Krise. 1967 fand die erste globale Rezession nach dem 2. Weltkrieg statt und markierte das Ende dieses Wirtschaftswunders. Hier erweist es sich dann als konsequent, wenn die USA zur Sicherung des eroberten Deutschlands auf Nazis in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft setzten. Denn moralische Probleme hatten die führenden Kreise in den USA - wie schon gezeigt - mit der Nazi-Ideologie nicht. Und dann ist es überhaupt kein Zufall (manchmal kommt eben alles zusammen), wenn schon wieder der SPIEGEL in der neuesten Ausgabe auch diese Kollaboration benennt. Dort heißt es: General Reinhard Gehlen, damals designierter Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), hegte im Frühjahr 1956 staatsstreichartige Pläne. Dies belegt die Gesprächsnotiz eines hochrangigen CIA-Verbindungsmanns, die der US-Geheimdienst jetzt freigegeben hat. [...] Die SPD, so befürchtete der zuvor in Hitlers Generalstab für den Aufklärungsdienst Fremde Heere Ost zuständige Gehlen, könne sich mit Adenauer-Gegnern der nationalistischen Rechten zu einer neutralistischen Koalition verbünden. Eine derartige Regierung aber werde früher oder später dem Einfluß des Ostens erliegen. Falls es soweit komme, fühle er sich moralisch berechtigt, alle denkbaren Gegenmaßnahmen zu ergreifen - einschließlich der Bildung eines illegalen Apparats in der Bundesrepublik zur Bekämpfung der deutschen Anhänger einer prosowjetischen Politik. Einen entsprechenden Plan wollte Gehlen in Washington im kleinsten Kreis konspirativ erörtern. Ob es dazu kam, ist ungeklärt. Im April 1956 wurde Gehlen zum BND-Chef ernannt [...]. [SPIEGEL 20/2002, Seite 20] Wir könnten jetzt darüber spekulieren, ob der Bundesnachrichtendienst dieser illegale Apparat war und ist. Es wäre zumindest naheliegend, denn Gehlens Bundesnachrichtendienst war in das antikommunistische geheime Terror-Netzwerk namens Gladio integriert, welches, o Wunder!, von einer geheimen NATO-Zentrale in Brüssel koordiniert wurde. Gladio soll übrigens nach seinem Auffliegen 1990 aufgelöst worden sein. Wer's glaubt ... Zeitgleich mit dem angeblichen Ende von Gladio, mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, also dem Wegfall des aufgebauschten Kalten-Kriegs-Grundes, ergeben sich neue Chancen, Märkte und Kriegsgründe, um die Claims neu abzustecken. Doch das ist eine andere Geschichte, die ich zumindest noch kurz anreißen möchte. Der Mythos vom guten Krieg von Jacques Pauwels ist im PapyRossa Verlag erschienen und kostet 16 Euro 50. Jennifer Rush : Silent Killer |
Trilaterale RaubzügeDer 11. September, bei dem schon gar nicht mehr gefragt wird, warum auch das Pentagon ein völlig logisches Ziel von Osama bin Laden oder wem auch immer war, eröffnete den kriegsheischenden Politikerinnen und Militärs in West und Ost ungeahnte Perspektiven. Endlich hatten die USA wieder einen greifbaren Feind. Endlich konnte man die Rüstungsproduktion wieder ankurbeln, um die lahme US-Wirtschaft aufzupäppeln. George W. Bush, früherer Geschäftspartner des bin Laden-Clans, ergriff die Gelegenheit beim Schopfe. Nun ist der Krieg gegen Afghanistan nicht erst am 11. September 2001 geplant worden. Die Taliban waren den US-Kriegsherren schon vorher ein Dorn im Auge. Wobei Afghanistan selbst von seinen Ressourcen her uninteressant ist, und die Menschen, die unter den Mudschaheddin verschiedenster Fraktionen zwei Jahrzehnte lang zu leiden hatten, sowieso. Schließlich wurden diese Mordgesellen von den USA und ihrem Geheimdienst CIA selbst an die Macht gebracht, um ihr blutiges Handwerk zu verrichten. Nein, wie immer geht aus hier um Öl, genauer: um eine geplante Ölpipeline durch Afghanistan. Und zwar für Öl aus dem Kaspischen Raum. Weitgehend unbemerkt von der westlichen Medienöffentlichkeit wurden dort in den 90er Jahren ein gigantisches Reservoir an Erdöl und Erdgas gefunden und Erdölfelder ausgebeutet. Das Ölvorkommen im Kaspischen Raum wird von seiner Dimension her in der gleichen Liga wie der Arabische Golf angesiedelt. Das Problem ist der Transport des Öls nach Europa, Japan und in die USA. Denn das Kaspische Meer liegt geostrategisch etwas ungünstig. Die vorhandenen Pipelines führen durch Tschetschenien, den Iran oder durch Rußland - Gebiete also, die nicht so recht unter westliche Kontrolle zu bringen sind. Und darüber machen sich Konzerne, Politiker und Militärs natürlich so ihre Gedanken. Ein wichtiger Think Tank, vielleicht sogar der wichtigste, ist die Trilaterale Kommission. Ihr gehören Vertreter und einige wenige Vertreterinnen der drei wichtigsten Zentren des kapitalistischen Weltmarktes an. Sie kommen vorzugsweise aus den USA, aus Japan und den Ländern der Europäischen Union. Und es sind nicht irgendwelche drittklassigen Vertreter, sondern die creme de la creme. Handverlesen. Die Trilaterale Kommission wurde 1973 gegründet, um die unterschiedlichen Interessen der drei wirtschaftlichen Machtblöcke zu bündeln. In den Führungsgremien sitzen derzeit - nur um die Funktionen zu nennen - ein früherer Sprecher des US-Repräsentantenhauses und Botschafter in Japan, der Vorsitzende des Erdölgiganten BP Amoco oder ein früherer südkoreanischer Außenminister. Frühere Führungsleute waren ein Notenbankchef der USA, David Rockefeller, Graf Lambsdorff oder ehemalige japanische Premierminister. Natürlich finden wir dort auch Namen wie Zbigniew Brzezinski, Thorvald Stoltenberg, Gerhard Schröder, Helmut Schmidt, Volker Rühe, Kurt Biedenkopf, Bill Clinton oder George Bush sr. Ein illustrer Kreis eben, dessen Zusammensetzung die Verschwörungstheoretiker in aller Welt zu den wildesten Spekulationen verführt hat. Gibt man und frau im Internet in eine beliebige Suchmaschine den Begriff Trilaterale Kommission ein, landet sie oder er sofort bei Illuminaten und anderen finsteren Mächten, die die Welt in ihrem Griff haben. Dabei funktionieren Kapitalismus und kapitalistische Machtpolitik völlig anders. Mag sein, daß da mitunter auch die eine oder andere Verschwörung mit im Spiel ist. Aber das ist eine Sichtweise, die mehr auf Karl und Lieschen Müller (oder die Anhängerinnen und Anhänger von Tobi Blubb) zugeschnitten ist. Eine ernsthafte Analyse hilft da doch weiter. Manchmal ist es sogar nützlich, die Schriften der Trilateralen Kommission zu studieren. Daraus ist mehr zu lernen als aus albernen Verschwörungstheorien. Sherman W. Garnett, Alexander Rahr und Koji Watanabe, die drei Autoren des Berichts Der Kaspische Raum vor den Herausforderungen der Globalisierung, standen jedoch vor einem Problem. Sie mußten die unterschiedlichen Sichtweisen und Interessen der drei Machtblöcke USA, Japan und Westeuropa miteinander in Einklang bringen. Offensichtlich war dies nicht möglich, weshalb ihr Bericht an die Trilaterale Kommission eigentlich aus drei Teilen und unterschiedlichen Sichtweisen besteht. Nun ist dies auch im trilateralen Denken kein Schaden. Auf diese Weise werden Probleme pointierter herausgearbeitet, um dann dennoch eine gemeinsame Strategie für die Ausbeutung einer Region zu finden. Natürlich sprechen sie nicht von Ausbeutung oder gar Ausplünderung. Sie sprechen davon, daß alle Beteiligten, inklusive der Auszuplündernden, zu den Gewinnern gehören sollen. Sie sprechen von Reformen und Demokratisierung, von politischer und wirtschaftlicher Stabilität. Aber letztlich geht es dann doch nur um Einfluß, Macht und Öl. Sherman W. Garnett, Rußlandexperte und ehemaliger Mitarbeiter des US-Kriegsministeriums, versucht daher erst einmal klarzulegen, worin die US-amerikanischen Interessen in der zentralasiatischen Region bestehen könnten. Offensichtlich genießt diese Region nicht gerade höchste Priorität, weshalb sich Garnett eine Strategie überlegt, wie US-amerikanische Interessen trilateral so definiert werden können, daß andere die Kastanien für die USA aus einem möglichen Feuer holen könnten. Koji Watanabe war in den 90er Jahren erst japanischer Botschafter in Italien und anschließend in Rußland. Heute dient er den Spitzenverbänden der japanischen Wirtschaft als Berater. Da auch Japan keine wirklich eigenständigen Interessen in Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan, Turkmenistan oder Usbekistan besitzt, sieht er Japans Rolle in der Region eher als eine begleitende. Sozusagen als Infrastrukturmaßnahme, damit sich die Länder der Region an das rauhe westliche kapitalistische Klima gewöhnen können. Ein bißchen Wirtschaftshilfe hier, ein bißchen Förderung des Gesundheitswesens dort. Klingt alles harmlos, hat aber Methode: Das Hauptziel der [japanischen] Wirtschaftshilfe ist die aktive Unterstützung der Anstrengungen dieser Länder zur Einführung marktorientierter Volkswirtschaften. Ein besonderes Schwergewicht wird bei der technischen Hilfe auf die Entwicklung menschlicher Ressourcen und bei der finanziellen Hilfe auf die Abmilderung der mit dem wirtschaftlichen Reformprozeß verbundenen Schwierigkeiten gelegt. [Trilaterale, Seite 73] Das liest sich wie eine Drohung. Entwicklung menschlicher Ressourcen, wahrscheinlich weniger durch Klonen, als vielmehr durch die Erziehung der Menschen zu richtigem marktkonformen Denken und Handeln. Und daß der Reformprozeß abgemildert werden muß, ist schon entlarvend genug; doch welche menschlichen Tragödien mit diesem Reformprozeß verbunden sein mögen, das können wir nur erahnen, wenn wir Drittwelt-Verhältnisse zum Maßstab nehmen. Dies abzumildern ist also die japanische Aufgabe bei der Ausplünderung Zentralasiens. Was machen dann die Europäer? Alexander Rahr, ebenfalls Rußlandexperte, entwirft das leicht konfliktträchtige Szenario aus europäischer Sicht. Und da seit Ende der 60er Jahre mit Beginn der sog. Entspannungspolitik eine Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und später mit Rußland die außenpolitische Option der EU-Staaten schlechthin ist, sieht Rahr nur die Möglichkeit, mit den Russen zusammen die Region auszubeuten. Konsequent schreibt er: Europa muß seine Politik gegenüber [den] anderen Regionalmächten - Iran, Türkei, China, ganz zu schweigen von Rußland - deutlicher machen, selbst wenn diese Politik mit der amerikanischen im Konflikt liegt. [Trilaterale, Seite 89] Denn: Die Suche nach Erdöl und Erdgas ist aber nicht die Hauptsache in dem neuen Great Game in der Region. Der wahre geopolitische Wettbewerb konzentriert sich auf die Pipeline-Strecken, und dieser Wettbewerb erfordert einen stärkeren politischen Einsatz von der EU. [Trilaterale, Seite 88] Und das ist ja auch wahr: wer die Pipelines kontrolliert, hat den Hebel am Ölhahn in der Hand. So werden hier vorsichtig unterschiedliche geostrategische Interessen angedeutet. Insbesondere in der Frage der Erdölpipelines. Während die USA ein Projekt befürworten, nämlich eine Pipeline vom Kaspischen Meer zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan unter Umgehung russischen und iranischen Territoriums, ist Rahr pragmatischer. Deutschland hat sowohl gute Kontakte zu Rußland wie auch zum Iran. Und die sollen nicht gefährdet werden. Damit dieses geostrategische Interesse aber in der öffentlichen Diskussion richtig behandelt wird, müssen andere Vokabeln thematisiert werden: der wahnsinnig gefährliche Drogenschmuggel aus Afghanistan über Zentralasien beispielsweise. (Dabei dachte ich immer, daß die CIA der größte Drogenhändler sei.) Deshalb müsse der Drogenschmuggel an der Quelle bekämpft werden. Als Vorbild nennt Rahr die Antidrogenpolitik der USA in Kolumbien, die ja in Wirklichkeit die Unterstützung der terroristischen Politik des kolumbianischen Militärs gegen jede fortschrittliche Stimme darstellt. Dann überhaupt der Terrorismus und der Islam - die Schreckgespenster des 21. Jahrhunderts. Hinzu kommt das Bevölkerungswachstum und Migrationsbewegungen aus diesem Gebiet. Und da muß ein Sicherheitsexperte wie Alexander Rahr den Schilys und Stoibers dieser Republik konsequent zuarbeiten. "Diese Themen", so sagt er, "stehen den Alltagssorgen europäischer Bürger so nahe", daß hier dringender Handlungsbedarf besteht. Doch auch hier müssen die Vokabeln richtig übersetzt werden. Das Migrationsproblem ist ja eher das Problem der hermetisch abgeriegelten Festung Europa und nicht das Alltagsproblem von mir oder meinen Hörerinnen und Hörern. Doch mit Rassismus läßt sich eben leicht Politik machen. Woraus für Alexander Rahr folgt, daß sich die europäische Politik stärker mit der zentralasiatischen Region beschäftigen muß. Zwar gibt es außer Erdöl und Erdgas nicht viel zu holen, aber die Kontrolle der Region sollte man nicht undurchsichtigen korrupten Regimes überlassen, die nicht die richtige Gewähr dafür bieten, die Interessen des Westens angemessen zu beachten. Oder in Orwellscher newspeak: Demokratie, Menschenrechte und Wohlstand. Zu ergänzen: für die lokalen Machteliten und die internationalen Konzerne. Und letztlich ist dies auch der Tenor dieses Berichtes an die Trilaterale Kommission. |
SchlußJingle Alltag und Geschichte - heute mit einer Sendung, die ich unter das Motto Raubzüge stellen möchte. Hierin habe ich zwei Bücher vorgestellt, nämlich zum einen das Buch Der Mythos vom guten Krieg von Jacques Pauwels, das die Rolle der USA im 2. Weltkrieg kritisch beleuchtet. Dieses Buch ist im PapyRossa Verlag erschienen und kostet 16 Euro 50. Zum anderen der Bericht an die Trilaterale Kommission, verfaßt von Sherman W. Garnett, Alexander Rahr und Koji Watanabe. Sein Thema ist Der Kaspische Raum vor den Herausforderungen der Globalisierung. Darin wird die Verantwortung der Trilateralen Staaten für die Stabilität der Region umrissen. Dieses zum Verständnis neuer ideologischer Begründungen für ganz banale Raubzüge nicht uninteressante Buch ist im Verlag Leske + Budrich zum Preis von 14 Euro 90 erschienen. Und wer mehr über Gladio - Die Geheime Terrororganisation der NATO erfahren möchte, sollte einen Blick in das gleichnamige von Jens Mecklenburg im Elefanten Press Verlag herausgegebene Buch werfen. http://www.alltagundgeschichte.de/schema.html ist überhaupt die Homepage unserer Redaktion mit Hinweisen auf unsere nächsten Sendungen auf Radio Darmstadt.
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